Salzburgs Sküß sagt Adieu

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Als Reformer, aber auch als Schelm wird Gerard Mortier bei den Salzburger Festspielen in Erinnerung bleiben.

Als Schelm, der durch gespieltes Narrentum andere lächerlich macht, ist Till Eulenspiegel sprichwörtlich geworden. Als "Till Eulenspiegel der Salzburger Festspiele" will Gerard Mortier in Erinnerung bleiben. Als schlauer und scharfzüngiger Narr, dem mit Regelmäßigkeit das Schelmenstück gelang, halb Österreich gegen sich aufzubringen, der aber auch mit seinen Streichen frischen Wind in die Festspielstadt brachte. Nun packt der Narr seine Mütze und seine Schellen ein, um sie im Ruhrgebiet wieder hervorzuholen. Mit den diesjährigen Salzburger Festspielen geht auch die insgesamt zehnjährige Amtszeit des in Gent geborenen Intendanten zu Ende. Eine Zeit, in der Mortier den wohl bedeutendsten Festspielen der Welt seinen Stempel aufgedrückt hat.

Mit Statements wie Salzburg werde von "Klerus und Kleinhändlern, Taxifahrern und Hoteliers" regiert, brachte er lokale Größen gegen sich auf, wurde sogar als "belgische Laus" verunglimpft. So überspitzt und oft kontraproduktiv seine Äußerungen auch waren, so verbarg sich hinter vielen doch zumindest ein Körnchen Wahrheit, etwa wenn er Salzburg als "eine Art Disneyland" charakterisierte oder seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, die Festspiele könnten sich in einem schwarz-blau regierten Österreich zu einem "Jodelfestival" entwickeln. Mit der FPÖ stand Mortier schon auf Kriegsfuß, bevor sie Regierungspartei wurde und er im Februar des Vorjahres deshalb närrischerweise seinen Rücktritt erklärte - und wieder zurücknahm.

Beim Tarockieren ist der Narr (excuse im Französischen, wovon sich Sküß beziehungsweise Gstieß ableitet, der schnauzbärtige Narr in der österreichischen Vari-ante) der höchste Trumpf. Und auch Mortier wird nicht nur als Spaßvogel, sondern auch als erfolgreicher Intendant in Erinnerung bleiben, als großer Reformer, dem es zu verdanken ist, dass die Salzburger Festspiele nach wie vor das international wohl meistbeachtete Festival sind. Ob in der "New York Times" oder im Pariser "Monde" - was zur Festspielzeit auf Salzburgs Bühnen passiert, wird in alle Welt berichtet.

In den letzten von den mehr als 30 Jahren, in denen Herbert von Karajan die Festspiele geleitet hatte, waren diese von einem künstlerischen zu einem gesellschaftlichen Ereignis verkommen. Nicht das Schauspiel auf der Bühne, sondern das Schauspiel in den Foyers und vor dem Festspielhaus rückte in den Mittelpunkt. Doch da hörte sich für Mortier der Spaß auf: Obwohl auch heute noch Festspiel-Premieren von den Reichen, Berühmten und Mächtigen zur Selbstdarstellung benutzt werden, steht nun wieder das Künstlerische an erster Stelle.

Närrische Einfälle

Die Gründerväter (Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Max Reinhardt, Alfred Roller und Franz Schalk) hatten dem 1920 eröffneten Fes-tival einen durchaus zwiespältigen Gründergeist eingehaucht: einerseits gegen die (Wiener) Moderne gerichtet und auf den österreichisch-süddeutschen Raum fixiert, andererseits - in Rückbesinnung auf die untergegangene Donaumonarchie - kosmopolitisch und multikulturell. Und Mortier setzte auf die internationale Karte.

International - das heißt auch zeitgemäß. Plötzlich gaben sich im Festspielhaus Regisseure die Klinke in die Hand, die ihrer Phantasie freien Lauf ließen: etwa Christoph Marthaler, der geniale Schweizer Narr (Matto heißt so einer dort), der jedes Stück, egal ob "Katja Kabanova" (1998) oder "Le nozze di Figaro" (heuer) als Karikatur des Kleinbürgertums zeichnete. Bei den Sängern setzte Mortier auf Qualität und nicht auf Namen: die Drei Tenöre hätten in Salzburg höchstens im Lehener Stadion auftreten können. Dem Sprechtheater kam unter Mortier eine Bedeutung zu, wie seit den zwanziger Jahren nicht mehr. Mit "Schlachten!" (1999) und "Macbeth" (heuer) etwa machten die Festspiele in den letzten Jahren mit radikalen Shakespeare-Neuinterpretationen Furore.

Nachdem der Salzburger Sküß Mortier nun aus dem Spiel ist, erhofft sich so mancher eine Umkehr: Keine Narreteien mehr mit den Pretiosen der abendländischen Kultur! Doch es gibt kein Zurück zu den konzertanten Opernaufführungen in Kostüm und Maske beziehungsweise den Theateraufführungen, die von Reclams Theaterführer inszeniert scheinen - zumindest nicht bei einem internationalen Festival, das weiterhin in der allerersten Liga vorne mitspielen will.

Auch der andere große Polarisierer des österreichischen Kulturbetriebs, Claus Pey-mann, hat am Wiener Burgtheater vollendete Tatsachen hinterlassen. Mit Klaus Bachler folgte ihm zwar ein stillerer, diplomatischer Intendant nach, doch auch dieser setzt auf modernes, dem Regisseur alle Freiheiten einräumendes Theater - ein Weg, der in diesem Jahr darin gipfelte, dass gleich vier Burgtheater-Produktionen zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden.

Narr oder Tor

In Salzburg folgt mit Peter Ruzicka ein neuer Leiter, der als zurückhaltend, pragmatisch, ja sogar konfliktscheu beschrieben wird - aber der als Verfechter der Moderne sicher nicht die Uhren der Festspiele zurückdrehen wird. Der Klage, die Bundespräsident Thomas Klestil vor zwei Jahren in seiner vielkritisierten Rede zur Eröffnung der Festspiele erhob ("Konfrontation statt Harmonie", "Provokation statt Gleichklang", "Spektakel statt Werktreue", "Stückezertrümmerung statt humanistischem Bildungs-theater") wird wohl auch Ruzicka nicht stattgeben. Dann nämlich wäre er kein Narr, sondern ein Tor.

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