„San Romero de las Américas“

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Am 24. März jährt sich die Ermordung von Óscar Arnulfo Romero zum 30. Mal. Die Salvadorianer haben ihren Märtyrer-Erzbischof längst heiliggesprochen.

Wer einmal in El Salvador war, wird es bestätigen: Óscar Arnulfo Romero y Galdámez ist allgegenwärtig. Das Foto des Erzbischofs hängt in vielen Kirchen, es ziert T-Shirts und hängt (im Gegensatz zum Bild des Papstes) in vielen Häusern – keineswegs nur in Armenvierteln. Sein Konterfei prangt auf Mauern, auf öffentlichen Gebäuden, in Parks, auf Plakaten am Straßenrand, als Grafitto, tausendfach, oft neben dem Bild von Che Guevara in Kämpferpose. Salvadorianer (jeder Konfession) verehren ihn als nationale Ikone. Für viele, nicht nur für die arme Bevölkerung, ist er „San Romero de las Américas“, Märtyrer und Patron Amerikas.

Lehrer und Leitfigur El Salvadors

El Salvador – etwa so groß wie Vorarlberg, Tirol und Salzburg zusammen – ist das entwickeltste Land Zentralamerikas. Trotzdem müssen 40 Prozent der 5,7 Millionen Einwohner von weniger als zwei Dollar pro Tag leben. Täglich sterben zwölf bis 15 eines gewaltsamen Todes – die höchste Kriminalitätsrate ganz Lateinamerikas. Der seit März 2009 amtierende Präsident Mauricio Funes hat Monseñor Romero als „Lehrer und Leitfigur“ bezeichnet. Er will den Mord an ihm untersuchen lassen: „Wir hoffen, dass sich die Dinge jetzt ändern, denn die ganze Welt weiß, wer Erzbischof Romero war; das Volk hat ihn schon heiliggesprochen, und es fehlt nur noch das Wort der Kirche.“ Das Parlament hat den 24. März, Romeros Todestag, zum nationalen Gedenktag erklärt.

So ändern sich die Zeiten: Unter dem vom CIA ausgebildeten Major Roberto D’Abuisson Rietta († 1992), der die ultrarechte ARENA-Partei gründete, die 1989–2009 sämtliche Präsidenten stellte, galten Priester als „verkleidete Kommunisten“. Aus Helikoptern der Todesschwadronen wurden damals über San Salvador Flugblätter mit „Sei ein Patriot, töte einen Priester!“ abgeworfen.

März 1977. Eine Autostunde von San Salvador entfernt wurde der Jesuit Rutilio Grande auf dem Weg zu einem Gottesdienst zusammen mit zwei Begleitern, darunter ein Ministrant, ermordet. Er hatte Bauern das Lesen beigebracht und sie ermutigt, Gewerkschaften zu gründen. Sein Tod sollte eine Politisierung der Kirche stoppen – ein Signal an den neuen Erzbischof von San Salvador: Óscar Romero.

Die Ermordung Rutilio Grandes wurde jedoch zur Wende in Romeros Leben, der bis dahin als eher konservativer, dem Opus Dei nahestehender Kirchenmann galt. Schockiert vor den aufgebahrten drei Leichen stehend, wurde er zum Anwalt der Armen. In seinen Predigten und Radioansprachen prangerte er fortan Ungerechtigkeit, Terror und Korruption an. Am Ende jeder Predigt verlas er die Liste mit den Namen derer, die ermordet worden waren. Er hielt sich nicht zurück. In einem offenen Brief bat er US-Präsident Jimmy Carter, die Militärhilfe für die Junta einzustellen. Der Vatikan war irritiert, US-Außenminister Cyrus Vance reagierte positiv.

Lebensgefährliche Predigten

Ein Bischof, der politische Reformen einforderte, durfte nicht auf ein langes Leben hoffen. In seiner letzten Predigt in der Kathedrale von San Salvador am 23. März 1980 sagte er: „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt. Einem amoralischen Gesetz ist niemand unterworfen. Es ist an der Zeit, dass ihr euer Gewissen wiederentdeckt und es höher haltet als die Befehle der Sünde. Die Kirche, Verteidigerin der göttlichen Rechte und Gottes Gerechtigkeit, der Würde des Menschen und der Person, kann angesichts dieser großen Gräuel nicht schweigen.“

Romero rechnete mit seinem Tod. Er wohnte nicht in einem Palais, sondern in einem kleinen Haus auf dem Gelände des von Karmelitinnen geführten Spitals „Divina Providencia“ in San Salvador, wo er in der Kapelle regelmäßig die Messe feierte. Am 24. März war die Kapelle voll besetzt. Der Auftragskiller fuhr im Wagen vor das geöffnete Portal und zielte mit einem Hochgeschwindigkeitsgewehr Kaliber 22 auf den Erzbischof, der gerade bei der Wandlung war. Ein einziger Schuss des Schützen genügte.

An Romeros Beerdigung nahm fast eine Million Menschen teil. Die Armee richtete dabei ein Blutbad an, es gab über 40 Tote. Wenige Stunden nach Romeros Ermordung stockten die USA die Militärhilfe auf. Romeros Tod wurde zum Auftakt des zwölfjährigen Bürgerkriegs zwischen der Armee und den rechten Paramilitärs auf der einen und der linksgerichteten Guerilla, die sich 1980 im „Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional“ FMLN vereinigte, auf der andere Seite. 75.000 Tote (davon 70.000 Zivilisten) fordete das Morden. Seit 2009 ist der FMLN Regierungspartei und stellt den Präsidenten.

Seit den 90er-Jahren läuft ein Seligsprechungsprozess für Romero. Er zieht sich in die Länge. An der Westfassade der – anglikanischen – Westminister Abbey in London wurde er unter die „Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ aufgenommen und steht dort zwischen Martin Luther King und Dietrich Bonhoeffer. Warum Romero 30 Jahre nach seinem Tod – anders als etwa Opus-Dei-Gründer Josemaría Escrivá (1902–75), der in Rekordzeit selig- (1992) und heiliggesprochen (2002) wurde – immer noch auf die „Ehre der Altäre“ wartet, verstehen viele nicht. Seine Seligsprechung wäre ein Zeichen. Óscar Romero hat die Augen der Kirche auf die Armen gelenkt: „Die Ehre Gottes ist, dass der Arme lebt“ – das war seine Kurzformel des Glaubens.

* Der Autor ist in München Chefredakteur der „Stimmen der Zeit“ und leitet das Rahner-Archiv

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