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Exklusive Geschäfte, Einschusslöcher vom Krieg, latente Konflikte und friedliche Reminiszenzen. Ein Lokalaugenschein von Peter Pawlowsky

Wir steigen die steile Alifakovac-Straße am frühen Abend hinauf. Der weitläufige muslimische Friedhof auf dem südöstlichen Hügel Sarajevos ist seit dem Krieg der Stadt entgegengewachsen. Die schmalen weißen Stelen leuchten in der Dämmerung. Im Blick zurück auf die Stadt stützen sie das goldgelb angestrahlte alte Rathaus, unten am Ufer der Miljacka.Aber das Rathaus mit seiner neo-maurischen Fassade ist eine Ruine. Dort gab die Stadt 1914 dem österreichischen Thronfolger einen Empfang, von dort fuhr er das kurze Stück zur Latinska Brücke und wurde erschossen. Man hatte ihm abgeraten, Sarajevo gerade am 28. Juni zu besuchen, dem Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld. Später wurde das Rathaus in die Nationalbibliothek umgewandelt. Während der Belagerung vor zwölf Jahren haben es die Serben in Brand geschossen.

Hauptstadt als Fiktion

Eine beleuchtete Fassade also. Die Hauptstadt jenes Staates, den der Dayton-Vertrag 1996 nach Ende des Bosnienkrieges geschaffen hat und noch nicht in die Selbständigkeit entlassen kann, ist seit dem Krieg schöner geworden und doch so etwas wie eine Fiktion geblieben. Von der Marsala Tita, dort wo das Ewige Feuer zum Gedenken an die Befreiung von 1945 brennt, zweigt die Fußgängerzone ab. Sie ist die Kärntnerstraße Sarajevos, gesäumt von Geschäften teurer internationaler Modemarken. Aber ein paar Schritte in die Nebenstraßen, und das Bild ändert sich. Die Fassaden aus der Gründerzeit verfallen, kaum ein Haus ohne Einschusslöcher von den Straßenkämpfen im Bosnienkrieg. Die Hauptpost, damals von serbischen Postbeamten angezündet, wurde renoviert, das große Hotel Europa in der Altstadt ist immer noch eine Ruine.

Im Rücken der katholischen Kathedrale, an der Mula Mustafe Baleskije, hat sich ein altes Hamam mit zwei gedrungenen Kuppeln erhalten. Aus dem türkischen Bad von ehedem und einem neuen mehrstöckigen Zubau aus Stahl und Glas ist das Bonjacki Institut geworden. Im Vortragssaal unter den Kuppeln findet über drei Tage ein Symposion zum Gedenken an Smail Balic (1920-2002) statt. Der Bosnier war Fachmann für arabische Schriften an der Nationalbibliothek in Wien und einer der Gründer der österreichischen Islamischen Glaubensgemeinschaft.

Balic weltoffener, europäisch orientierter Islam aus der bosnisch-österreichischen Tradition hat nicht nur Freunde. Im jüngsten Krieg mussten sich die Bosnier gegen Serben und Kroaten verteidigen, weil Tudjman und Milosevic Bosnien unter sich aufteilen wollten. Die serbische Propaganda stempelte die bosnischen Muslime zu gefährlichen Fundamentalisten. Sie waren es nie; dass sie aber Widerstand leisten konnten, verdanken sie auch dem Geld und den Legionären aus Saudi-Arabien. Damit erst kam der extreme saudische Islam der Wahabiten ins Land. Mit Geldprämien wurden Frauen zum Tragen des Kopftuchs angehalten. Unser Fremdenführer, ein pensionierter Deutschprofessor, verriet uns, woran man die Wahabiten erkennt: Sie tragen Bärte, und ihre Hosen reichen kaum bis zu den Knöcheln. Tatsächlich, im Basar laufen sie uns wie beschrieben über den Weg. Ihre Kopftuchmission scheint aber nur mäßig erfolgreich. Einige junge Frauen tragen es, viele nicht, Freundinnen flanieren eingehängt, die eine mit dem Hijab, die andere mit offenem Haar.

Saudischer Islam-Import

An der Kreuzung zu Beginn der Saraci, die zum Hauptplatz des Basars führt, bleibt unser Begleiter stehen und weist in alle vier Himmelsrichtungen. Ein paar hundert Meter nach Norden steht die alte serbisch-orthodoxe Kirche, nach Süden die Synagoge, nach Osten die Bacarijska-Moschee, nach Westen die Kirche des katholischen Kardinals. Auf der anderen Seite des Miljacka dient die Kaisermoschee dem Oberhaupt der bosnischen Muslime als Residenz, während wenige Schritte dahinter die Franziskaner zu Hause sind.

Religiöse Vielfalt bedroht

Sarajevo präsentiert auf engstem Raum ein architektonisches Ensemble religiöser Vielfalt. Immer noch funktioniert der nach dem Krieg gegründete interreligiöse Rat aus Katholiken, Orthodoxen, Muslimen und Juden. Aber die Serben wandern in die Republika Srpska aus, die Kroaten zieht es in die Herzegowina, die Juden wurden vom Hitler-freundlichen Ustasa-Regime ausgerottet - nur wenige haben überlebt. Die große Zeit friedlichen Zusammenlebens ist zur Reminiszenz geworden. Der Balkankenner Erhard Busek meinte, dass es dort immer nur Friede und Toleranz gab, wenn eine Macht von außen die Hand über Bosnien hielt: die Türken, die Österreicher, Tito. Wie lange der Hohe Repräsentant der EU diese Rolle spielen kann, ist eine offene Frage.

Die Österreichische Botschaft liegt am Veliki-Park, einem ehemaligen türkischen Friedhof. Unter den alten Bäumen haben sich ein paar schief stehende Grabsteine mit steinernen Turbanen erhalten. Das Haus, angemietet nach dem Krieg, war der Sitz des höchsten Zivilbeamten zur Zeit der Monarchie. Erst spätere Recherchen haben das ergeben, aber an Zufälle muss ja nicht geglaubt werden. Der Empfang gilt den Teilnehmern des Balic-Symposions, zwischen Wien und Sarajevo wurde eine engere Zusammenarbeit von Professoren und Studenten vereinbart, der Dekan der islamwissenschaftlichen Fakultät hält eine knappe Dankesrede.

Hoffnung auf Amerika

Alte Verbindungen leben wieder auf, aber die Hoffnungen der Bosnier richten sich über den Atlantik. Nicht nur weil aus Amerika Geld kommt; die Europäer haben im Krieg keine gute Figur gemacht, das Massaker von Srebrenica nicht verhindert, und es waren die Amerikaner, die die serbische Belagerung der Stadt sprengten. Geld haben auch die Saudis. Zwar wurden gerade Dutzende saudische Söldner ausgewiesen, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Bosnien eingeschlichen hatten. Aber die Saudis haben Geld, weil sie Öl haben, das die Amerikaner brauchen. Bosnien, ein Land mit knapp vier Millionen Menschen im Schnittpunkt weltpolitischer Interessen, auf die es keinen Einfluss hat.

Gewalt ist nicht erloschen

Am Tag darauf noch eine Stadtwanderung. Die Markthalle, obwohl darin auch Eier und Gemüse verkauft wird, riecht intensiv nach dem dunklen, stark geräucherten Rindfleisch, das als bosnische Spezialität gilt. Draußen auf der Straße verkaufen Bäuerinnen aus der Umgebung Betttücher und handgestrickte Socken. Die Arbeitslosigkeit geht kaum zurück, niemand investiert in ein unsicheres Land. Ein Serbe und ein Kroate, erfahre ich, hatten eine gemeinsame Handelsfirma gegründet, um ihre Beziehungen in die verschiedenen Landesteile zu nutzen. Das Geschäft florierte, bis ein fanatischer Serbe es in die Luft sprengte.

Beim Überqueren der Straße fallen rote Flecken im Asphalt auf. Sie erinnern an die Granaten, die auf dem Marktplatz einschlugen und über hundert Menschen töteten. Weiter oben zur Kathedrale hin gibt es einige Kaffeehäuser; in eines davon weigert sich unser Begleiter zu gehen. Es gehört einem Mann, der einen Hochzeitszug aufhalten wollte, der mit serbischen Fahnen in die Innenstadt einzog. Die Provokation führte zu einem Handgemenge, bei dem der Vater des Bräutigams erschossen wurde. Das erklärten die Serben zum Kriegsgrund. Während der Täter über den Krieg reich wurde, ist der Prozess gegen ihn noch immer nicht zu Ende.

Die Gewalt ruht in Sarajevo, aber sie ist nicht erloschen. Immerhin gibt es Tricks, sie hintanzuhalten. Die bosnischen Autonummern bestehen aus sechs Ziffern mit einem wahllosen Buchstaben in der Mitte. Erst seit sie eingeführt wurden, herrscht Freizügigkeit in allen Landesteilen, kann sich ein bosnisches Auto im serbischen Landesteil, ein kroatisches in Bosnien bewegen, ohne attackiert zu werden; die Nummern verraten nicht, woher der Wagen kommt.

Der November war mild in Sarajevo. Bis vor wenigen Tagen konnte man seinen Kaffee noch im Freien genießen. Einen bosnischen, versteht sich, den man hier weder türkisch noch griechisch nennen darf, obwohl er sich in nichts von seinen Namensvettern unterscheidet. Unterscheiden sich die Menschen? Sie nennen sich anders, das ist Sprengstoff genug. Es ist wieder kalt geworden. Der erste Schnee liegt auf den Bergen ringsum.

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