Salman Rushdie - © FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Zum Fall Salman Rushdie: Satanische Kunst und Literatur?

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Vor 25 Jahren erschienen "Die satanischen Verse". Der Fall Salman Rushdie ist immer noch aktuell - auch die Frage nach dem Umgang mit respektloser Darstellung religiöser inhalte in Literatur und Kunst.

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Vor 25 Jahren erschienen "Die satanischen Verse". Der Fall Salman Rushdie ist immer noch aktuell - auch die Frage nach dem Umgang mit respektloser Darstellung religiöser inhalte in Literatur und Kunst.

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"Wo kein Glauben ist, da gibt es auch keine Gotteslästerung." Der Roman, in dem dieser bestreitbare Satz fällt, erschien genau am 26. September 1988. Sein Titel - "Die satanischen Verse" - nimmt Bezug auf eine angebliche Textlücke im Koran nach Sure 53:19f. Dort ist von drei Göttinnen aus altarabischer Zeit die Rede, deren "Fürbitte" (wie die Überlieferung berichtet) Mohammed per Zuflüsterung des Teufels nahegelegt worden sei. Bei Salman Rushdie wird eine auf den Propheten hin durchsichtige Figur, Mahound, diese Intuition zuteil, die sich von der Botschaft Allahs zurück zum Polytheismus wendet. Weitere teils kritische, teils obszöne Schlaglichter mit Blick auf Entstehung und Inhalte des Islams kommen hinzu, Anzügliches nicht zuletzt gegen den Führer der iranischen Revolution.

Anhaltende Relevanz

Nachdem der Text des damals 41-jährigen indisch-britischen Schriftstellers von Anfang an Proteste ausgelöst hatte, veröffentlichte eben jener (von ihm als "Geisterbeschwörer" dargestellte) Ajatollah Khomeini am 14. Februar 1989 einen weitreichenden Erlass. "Der Verfasser des Buches (...), das gegen den Islam, den Propheten und den Koran erdichtet, gedruckt und verlegt worden ist", tat seine Fatwa den "glaubenseifrigen Muslimen in der ganzen Welt" kund, "ebenso die, die an seiner Publikation beteiligt sind und den Inhalt kennen, sind zum Tod verurteilt. Von allen glaubenseifrigen Muslimen wünsche ich, daß sie jene, wo immer sie sie finden, unverzüglich exekutieren, damit kein anderer in die Versuchung gerät, die heiligen Güter der Muslime verächtlich zu machen (...)."

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Viel zu ernst habe man ihn genommen, fand Rushdie später. Zehn Jahre hindurch war er genötigt, sich an wechselnden Orten zu verstecken. Anschläge auf Übersetzer des Romans, auf Buchläden und literarische Veranstaltungen forderten Menschenleben. Nach zwischenzeitlicher Rücknahme und Erneuerung durch die iranischen Autoritäten ist der aktuelle Status der Fatwa nicht ganz klar. Freier bewegen kann der Autor sich inzwischen jedenfalls. An der anhaltenden Relevanz seines Falles ändert dies wenig. Die Mobilisierung aggressiven "Glaubenseifers" gegen missliebige Ansichten bleibt ein Menetekel für religiös unterfütterte Kulturkonflikte in der globalisierten Welt. Zur dauerhaften Hinterlassenschaft der "Affäre" zählt aber auch die Frage nach der Legitimität von und dem Umgang mit respektlosen Darstellungen religiöser Inhalte in Kunst und Öffentlichkeit einer liberalen Gesellschaft.

Anfälligkeitsunterschiede der Religionen scheinen hierbei offensichtlich. Nicht nur der dänischen Mohammed-Karikaturenstreit oder das Video "Die Unschuld der Muslime", gegen welche keineswegs nur radikale Gläubige auf die Straße gingen, zeugen davon, dass die Empfindlichkeit beträchtlicher Teile des Islams rasch provozierbar ist. Ohnehin obliegt in muslimischen Ländern dem Staat die Aufgabe, die wahre Religion zu schützen. Bei der Schriftstellerin Talima Nasrin oder zuletzt dem Rapper Shahin Nadjafi wiederholte sich gar das "Modell Rushdie". Doch auch unter Christen kommt es nach wie vor zur Empörung über "blasphemische" Kunstwerke und Äußerungen, wobei höchste Kirchenvertreter ihren Unmut nicht verhehlen.

Politischer Kontext

Innerhalb der langen chronique scandaleuse der letzten hundert Jahre haben einige Namen besondere Prominenz erlangt: so die "katholischen Atheisten" Joyce und Buñuel (bei denen Lästerung als ästhetisches Prinzip fungiert), Herbert Achternbuschs Film "Das Gespenst" oder Martin Kippenbergers gekreuzigter Frosch, bis hin zu Pussy Riots sogenanntem "Punkgebet" und Romeo Castelluccis Stück "Über das Konzept des Angesichts von Gottes Sohn" - vom Genre der Comedy ganz zu schweigen, wo Kirche und Religion in ihrer schädlichen Rückständigkeit beliebte Themen des Spotts sind.

Rushdies glaubenslose Blasphemie war mit einem politischen Kontext verbunden. Wesentlich zielte sie gegen den Anspruch des im Iran revitalisierten Islams, seine repressive Ordnung der gesamten Gesellschaft überzustülpen. Ganz anders stellt sich dem gegenüber die Situation im säkularisierten Westen dar. Hier ist das einstmals ähnlich machtbewusst auftretende Christentum zu einem Minderheitenphänomen geschrumpft (das aber nach wie vor gewisse soziale Privilegien genießt). Angesichts des neuen Nebeneinanders im Alltag von Menschen verschiedener Bekenntnisse mit solchen ohne Konfession hat das rechtlich-religiöse Konfliktmanagement mancher Staaten nur mehr die Wahrung "öffentlichen Friedens" im Blick. Ausschließlich Beleidigungen, die diesen potenziell gefährden, sind demnach strafbar. Hieran bemisst sich wohl auch die Erheblichkeitsschwelle der Erregung eines "berechtigten Ärgernisses" gemäß § 188 ÖStGB. Während international besonders islamische Staaten auf eine Art "Ehrschutz" von Religionen dringen, wird im deutschen Sprachraum bisweilen das strafrechtliche Verbot der Blasphemie ins Gespräch gebracht. Von intellektueller Seite argumentierte Martin Mosebach unlängst, derlei sei sowohl dem Risikocharakter künstlerischen Schaffens als auch dem sozialen Klima dienlich.

Schillerndes Phänomen

Im Selbstverständnis der westlichen Moderne ist Kunst autonom und darf sich mithin sogar Freiheiten herausnehmen, die andere in ihren Überzeugungen kränken oder verletzen mögen. Religionskritik noch mit krassen Stilmitteln zählt dazu, dasjenige eben, was die kaum mehr angewandten Gesetzestexte als "Beleidigung", "Herabwürdigung" oder "Verächtlichmachung" eines Glaubens bezeichnen. Widerspruch dagegen gilt verbreitet als Ausweis der Unaufgeklärtheit und/oder eines autoritären Charakters. Gern wird die Kapitulation freiheitlich verfasster Gesellschaften vor intolerantem Dogmatismus beschworen.

Nun hat man in der Sache zweifellos ein schillerndes Phänomen vor sich, welches durchaus komplexe Anforderungen an das Unterscheidungsvermögen stellt. Absichten und Ausdrucksweisen von Blasphemie in den Künsten können sehr unterschiedlich sein: die Reaktion auf absurde Wirklichkeitserfahrungen etwa und ein lustvolles Spiel mit der Nichtigkeit alles Göttlichen sollte man ebenso wenig über einen Kamm scheren, wie Attacken auf die Gefährlichkeit bestimmter Züge des Glaubens oder den Frevel im dialektischen Sinne als vielleicht extremste Möglichkeit der Beziehung zu einem abwesenden Gott, der herausgefordert werden soll, sich zu zeigen. Paul Celans lyrische Gegen-Gebete sind dafür Exempel, in denen, so die rumänische Germanistin Delia Esian, der Lästernde als "Gottgequälter" sozusagen "dem Mystiker verwandt" ist.

Reflexhaft die Vermutung großer Kunst anzustellen (wozu "progressiv" angehauchte Theologen neigen mögen), besteht grundsätzlich allerdings kein Anlass. Natürlich vermögen Blasphemien seicht und stillos zu sein, bisweilen folgen sie bloß einem strategischem Kalkül, um das knappe Gut Aufmerksamkeit zu erregen und spekulieren auf Reklame durch Entrüstungspotential: eine Form von Marketing, die allemal Erfolg und öffentliche Unterstützung verspricht.

Plurale Gesellschaften

Schon ein kurzer Ausflug in die Geschichte (anhand der materialreichen Darstellung von Alain Cabantous) würde deutlich machen, wie der Vorwurf der Blasphemie häufig willkürlich, perspektivisch, speziell aber als Instrument der Einschüchterung abweichend Denkender und Gläubiger eingesetzt zu werden vermag. Christen (die allzu oft Täter waren) sind davon gegenwärtig ebenfalls betroffen: in Pakistan etwa ist ihre Minorität aufgrund des staatlichen Blasphemiegesetzes immer wieder der Gewalt ausgesetzt.

Angemessen wäre ohnehin nur die Rede von einer Verunglimpfung gläubiger Menschen. Ob Gott, der Souveräne und Ewige, (auch bei entsprechender Intention) recht eigentlich beleidigt werden kann, steht dahin - ein Zögern, das, am Rande bemerkt, keineswegs auf die Trivialisierung eines notorisch "lieben" Wesens hinauslaufen muss. Wird ferner unterstellt, angesichts von Ehrverletzungen - "Rufschädigungen", mit der ursprünglichen Bedeutung des Wortes "Blasphemie" - fordere er Sühne, Rache nachgerade, so liegt dem doch eine arg menschliche Vorstellung zugrunde. Gar zu behaupten, dass man Frevler im Namen Gottes Gewalt antun dürfe, ist jedenfalls selbst blasphemisch.

In pluralen Gesellschaften lassen sich religiöse Überzeugungen gegen Kritik - und sei es auch in drastischer, schmähender Form - nicht immunisieren. Wahrscheinlich ist dies nicht einmal wünschenswert. Menschen urteilen verschieden: das gilt für die mögliche Existenz Gott es wie für einzelne Glaubensinhalte. Was dem einen als Wahrheit unantastbar und Ehrfurcht gebietend ist, hält der andere vielleicht für monströsen Nonsens. Das muss man aushalten, damit muss man umgehen können. Über das "Wie" dieser Negation in manchen Spielarten wäre allerdings nachzudenken - nicht ohne möglichen Gewinn für die intellektuelle und ästhetische Geschmacksbildung.

Viele Fragen

Zugestanden, dass der Moderne in ihrer Eigendynamik eine Tendenz zur Entsakralisierung innewohnt. Wäre damit aber schon gerechtfertigt, was Karl Rosenkranz in seiner "Ästhetik des Hässlichen" (1853) "das Frivole" nennt, die "geistige Verliederlichung" jenen gegenüber, welche "den Menschen in ein Verhältnis zum Absoluten setzen", mögen dessen Formen auch wie immer unzulänglich, ja in Teilen problematisch sein? Wären also generalisierende Erniedrigung und Verachtung dessen, was anderen als das Heiligste gilt, tatsächlich zentrale Qualitäten aufgeklärten Bewusstseins à l'ordre du jour? Vertritt man dort eine Ethik, der zufolge andere in ihrem Glauben schlechterdings zur Diffamierung als Dummköpfe oder Bösewichte frei gegeben sind? Wird damit nicht deren Würde, werden nicht ihre wohlbegründeten Rechte berührt? Oder verdienen religiöse Inhalte per se weniger Rücksichtnahme als die säkularen höchsten Werte und Mythen (völlig abgesehen von dem, was unter der Auflage politischer Korrektheit in bester Absicht mit Tabu belegt wird)? Handelt es sich bei dem Versuch, sich der Arbeit des Verstehens auch solcher zu unterziehen, deren geistige Welt einem Schwierigkeiten bereitet, um keine wünschenswerte zivilisatorische Errungenschaft und (siehe Flaubert!) künstlerische Herausforderung zugleich?

Gutes sagen

Gleichwohl sollten religiöse Menschen auf den Ruf nach Machtgeschütztheit ihrer Wertorientierungen verzichten (was keinesfalls bedeutet, dass sie Prinzipien der Gerechtigkeit und Fairness für sich nicht anmahnen dürften). Über seinen eigenen Glauben hinaus erteilt Franz von Assisi einen noch immer gültigen Rat, welcher wohlmeinende Empfehlungen der Geringschätzung und Gelassenheit allemal aussticht. "Und wenn wir sehen oder hören, wie die Menschen Schlechtes sagen oder tun oder Gott lästern", heißt es in seiner nicht bullierten Ordensregel: "- wir wollen Gutes sagen und Gutes tun und Gott preisen, der für die Zeiten der Zeit gesegnet ist. Amen."

Hans-Rüdiger Schwab war Dramaturg am Schauspielhaus Zürich und Leiter der Redaktion "Kunst und Literatur" beim Bayerischen Fernsehen. Seit 1996 Prof. für Ästhetik und Kommunikation an der KFH Nordrhein-Westfalen, Münster. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. "... darüber ein himmelweiter Abgrund." Zum Werk von Thomas Hürlimann (2010).

Joseph Anton. Die Autobiografie. Von Salman Rushdie. Übers. von Bernhard Robben und Verena von Koskull. C. Bertelsmann 2012.720 S., geb., € 25,70

Mohn und Gedächtnis. Gedichte von Paul Celan Deutsche Verlags-Anstalt 2013 101 S., geb., € 20,60

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