„Schadografie“ und Hyperrealismus

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Christian Schad zählt zu den wichtigsten Vertretern der „Neuen Sachlichkeit“. Das Leopold Museum im Wiener Museumsquartier widmet dem deutschen Maler jetzt eine Retrospektive mit 130 Exponaten, darunter das berühmte Porträt der „Sonja“ aus dem Jahr 1928.

Geheimnisvoll, farbkräftig, kühl. Zugleich ungewöhnliche Sujets: emanzipierte Frauen im Männergewand, sich umarmende junge Männer, Menschen mit deformierten Körpern. Wer einmal ein Original von Christian Schad gesehen hat, dem geht es so schnell nicht mehr aus dem Kopf. Zugleich ist der Meister der Neuen Sachlichkeit aus dem Berlin der 20er und 30er Jahre in der öffentlichen Wahrnehmung lange nicht so präsent wie seine Zeitgenossen Max Beckmann, Otto Dix oder George Grosz. Nach erfolgreichen Ausstellungen in Paris (Musée Maillol, 2002) und New York (Neue Galerie, 2003) gibt es jetzt auch in Wien in einer großen Retrospektive des Leopold Museums die Möglichkeit, das Werk dieses Zwischenkriegsstars näher kennenzulernen.

Unterschiedliche Techniken und Stile

Eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Nicht nur, weil die Schau mit 130 Exponaten auch jene neusachlichen Meisterwerke wie „Selbstbildnis mit Modell“ (1927) oder „Sonja“ (1928) enthält, mit denen Schad Kunstgeschichte schrieb. Auch, weil neben der Blütephase ebenso das Früh- und das wenig geschätzte Spätwerk gezeigt wird und somit ein Künstler mit all seinen Experimenten in unterschiedlichen Techniken und Stilen – sowie mit all seinen Stärken und Schwächen – entdeckt werden kann.

Der chronologisch gehängte Parcours im Untergeschoß des Museums stellt zunächst unbekannte Frühwerke des 1894 in Oberbayern geborenen Künstlers vor, die anfänglich noch von Expressionismus, Dadaismus und Kubismus beeinflusst waren. Durch Italienaufenthalte und die Auseinandersetzung mit der italienischen Renaissancemalerei sowie die Begegnung mit der realistischen Kunst der Gruppe „Novecento italiano“ folgte schließlich die Wende zum Realismus. In Wien, wo Christian Schad zwei Jahre lang lebte (1925–27), und später in Berlin, wohin er 1927 übersiedelte, fand er zu seiner eigenständigen, magisch-realistischen Sprache. Hier entstanden viele seiner bekanntesten Porträts.

Zu seinen Markenzeichen wurden eine feine Malweise mit glatter Oberfläche, eine unnahbar-erotische Ausstrahlung der Dargestellten sowie eine tiefenpsychologische Zeichnung der Porträtierten. Im Zentrum seiner Kunst steht stets der Mensch, wie Schad einmal erzählte: „Der Mensch ist das Wichtigste und Geheimnisvollste. Ein Landschaft erweckt in mir das Gefühl, als fehle etwas, und das ist der Mensch, der in die Landschaft hineingehört.“ Die Dargestellten schauen die Besucher oft durchdringend mit großen Augen an, zugleich wirken die Porträtierten stets isoliert und einsam. Sie nehmen mit den anderen Personen auf dem Bild keine Beziehung auf wie etwa „Sonja“, die maskulin gestylt rauchend in einem Kaffeehaus sitzt, von zwei ebenfalls anwesenden Männern räumlich getrennt.

Spannende Räumlichkeiten

Eine zwiespältige Rolle nahmen Schads Werke im Nationalsozialismus ein. Zum einen wurden sie heftig attackiert, da auf ihnen häufig jüdische Intellektuelle dargestellt waren, zum anderen prangten seine kühlen weiblichen Schönheiten auf Titelblättern von Zeitschriften, wie in einer Vitrine zu sehen ist – und waren sogar in der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ vertreten.

Spannend sind die Räumlichkeiten, die Schads künstlerische Neuorientierung nach dem Krieg präsentieren. Sie spiegeln seine Suche nach neuen Ausdruckssprachen und zeigen, wie schwierig es für ihn als durch und durch gegenständlichen Maler war, sich in einer Zeit zu behaupten, die sich von der Menschendarstellung weitgehend abwandte. Hier finden sich wenig überzeugende Holzschnitte aus den 50er Jahren genauso wie eindrucksvolle Foto-Collagen aus den 60er Jahren, die Künstler der Wiener Gruppe, etwa Gerhard Rühm, beeinflussten.

Überraschend auch die hyperrealistischen Porträts der 70er Jahre, die wie europäische Pop-Art-Pendants wirken und an die frühen Bildnisse des Schweizer Fotorealismus-Papstes Franz Gertsch erinnern. Im Umfeld des 70er-Jahre-Realismus scheint Schad, der erst 1982 starb, wieder ganz in seinem Element zu sein – auch wenn die Formensprache nicht mehr an die Überzeugungskraft der neusachlichen Werke heranreicht.

Kameralose Fotografie

Zu den Highlights des Parcours zählt der Raum, der sich den „Schadografien“ widmet. Mit dieser kameralosen Fotografie – sie entsteht durch Belichtung von lichtempfindlichen Materialien wie Film oder Fotopapier – wurde Schad zu einem Wegbereiter des Fotogramms. Berühmt wurde diese künstlerische Technik allerdings erst durch Man Ray oder Lászlo Moholy-Nagy. Bereits 1917 experimentierte Schad mit dieser innovativen Arbeitsweise, indem er Fundstücke unterschiedlich lang belichtete – vierzig Jahre später griff er diese Technik wieder auf und schuf Werke, die gerade im Kontext des derzeitigen Fotografie-Booms ausgesprochen aktuell erscheinen.

Christian Schad

Retrospektive 1894–1982

Leopold Museum

Museumsplatz 1, 1070 Wien

www.leopoldmuseum.org

bis 6. 1. 2009 tägl. 10 –18 Uhr, Do 10 –21 Uhr

Katalog erschienen im Wienand Verlag, e 29,80

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