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Mit einem Feuerwerk des Dunklen und Leisen beeindruckte Beat Furrers Musiktheater "Begehren" in der neu adaptierten List-Halle zur Eröffnung von Graz 2003.

Nicht nur als anerkennenswertes Verdienst um die Neue Musik, sondern als fulminanter Erfolg erwies sich die Entscheidung, Beat Furrers Musiktheater "Begehren", bereits vergangenes Jahr beim steirischen herbst uraufgeführt, zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres Graz 2003 nochmals, und nun szenisch zu realisieren: Wurde doch die mehrdimensionale Auffächerung dem vielschichtigen Werk in weit höherem Maße gerecht als die letztjährige konzertante Aufführung im Grazer Schauspielhaus. Die für musikalische Veranstaltungen adaptierte Industriehalle erwies sich als akustisch überaus geeigneter und zudem stimmungsvoller Raum, wenn auch die Sichtverhältnisse aufgrund der großen Breite der Bühne deutlich zu wünschen übrig ließen.

Orpheus im 20. Jahrhundert

Das kompromisslos avantgardistische Stück transformiert den archaischen Mythos um Orpheus und Eurydike in die Kühle des 20. Jahrhunderts, wobei eine bereits aus anderen musiktheatralischen Werken des gebürtigen Schweizers bekannte Thematik ins Zentrum tritt: die bedeutungsvolle Dialektik von Dunkel und Licht. Das zum Scheitern verurteilte Begehren des Orpheus steht auch für den Schaffensimpuls des heutigen Künstlers. Das auf Texten von Ovid, Vergil, Hermann Broch, Cesare Pavese und Günter Eich basierende Libretto ist dialogisch angelegt. Nach antiker Manier wird die Konfrontation der sich nach Nähe sehnenden Eurydike und des Vergangenheit suchenden Orpheus vom Chor kommentiert.

Der Utopie verpflichtet

Die Aufführung bestach zuerst durch musikalische Präzision und Transparenz: Mit bewundernswerter Klarheit bewegte sich das Vokalensemble Nova (Leitung: Colin Mason) zwischen geräuschhaft aufgelöster Sprache und Gesang. Präzise und virtuos realisierte das ensemble recherche unter der Leitung des Komponisten die vielgestaltige Partitur mit zahlreichen ungewöhnlichen Klangwirkungen. Eindrucksvoll auch die beiden Solisten: Zu Petra Hoffmanns technisch sicherem und aussdrucksstarkem Sopran gab Johann Leutgeb einen wortdeutlichen männlichen Widerpart. Trotz ihrer starken Affinität zur Stille fehlte es Furrers Musik nie an dramatischer Kraft und gestischer Konkretheit.

Dass sie in ihrer Strahlkraft dennoch Schattenmusik, Musik des Todes ist, machte nicht zuletzt die Inszenierung deutlich. Zaha Hadid und Patrik Schumacher gestalteten die Bühne als interaktiven Spielraum: weiße unregelmäßige Vierecke bilden ein Podium, werfen sich mit dem Fortgang der Handlung zu Bögen auf, lassen Gräben entstehen, Gebirge. Reinhild Hoffmanns Choreographie setzt die musikalischen Gesten in körperliche Ausdrucksbilder um: Fragile Bewegungen der in lange, archaisch anmutende Gewänder gehüllten Tänzer und Choristen (Kostüme: Anna Eiermann) erschöpfen sich in beharrlich behutsamem Bemühen um Nähe, symbolisieren unentrinnbare Verflochtenheit von Erinnern und Vergessen, Sinnlichkeit und Tod. Schlagschatten und nüchtern gleißendes Gegenlicht visualisieren die Transparenz und Ohnmacht der Musik, die zugleich ihre Stärke ist (Licht: Reinhard Traub). Utopie erscheint in allen Dimensionen dieses Theaters als unerreichbarer Ort, dem sich die Kunst dennoch verpflichtet weiß. Die gesamte Produktion ist nicht auf vordergründige Effekte angelegt. Gerade dadurch erregt sie Aufmerksamkeit. Ein Auftakt, der auf Fortsetzungen - nicht nur im Europajahr - hoffen lässt.

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