Schauplatz im Abseits

Werbung
Werbung
Werbung

"Die letzten Arbeiter" hieß die jüngste Reportage der ORF-Sendung "Am Schauplatz", die sich der einstigen Stahlindustriehochburg Mürzzuschlag widmete. Es war eine düstere Feier der letzten Reste: die letzten Bewohner der Werkshäuser, die letzten Arbeiter-Musiker der Werkskapelle, die letzten Geschäfte im Ort, die letzten Kommunisten. Mit einer gewissen nekrophilen Insistenz haben sich die Gestalter auf den Strukturwandel gestürzt, der in der Obersteiermark in den neunziger Jahren stattfand, und so getan, als hätte man ihn gerade erst entdeckt. Der Bürgermeister beschwert sich in einem offenen Brief, die Sendungsmacher sagen: So ist es eben.

"Am Schauplatz", ein Kleinod des ORF-Fernsehens, ist spezialisiert auf die Darstellung von Außenseitern. Hier hat man eine ganze Kleinstadt marginalisiert. Eine Milieustudie als Stadtportrait. Probleme der Gegenwart - Arbeitslosigkeit und Landflucht - erscheinen als mürzzuschlagspezifisch. Weil die Reporter am Böhlerwerk kleben, interessieren sie sich nicht für konkrete Fehlplanungen - wie das Einkaufszentrum, das der Innenstadt weiter das ökonomische Wasser abgräbt. Genauso wenig interessieren sie sich dafür, was dort in den letzten Jahrzehnten außer der zusammengeschmolzenen Stahlproduktion noch entstanden ist: zum Beispiel Windkraft, zum Beispiel Kultur. Dass "unsere" Literaturnobelpreisträgerin im Abseits von Mürzzuschlag das Licht der Welt erblickte, ist kein Verdienst der Stadt. Aber es gibt auch das überregional bedeutende kunsthaus muerz, das Wintersportmuseum, das Südbahn-Museum, das Brahms-Museum, die Brahms-Tage.

Die rückwärts gewandte Utopie der "Schauplatz"-Reporter zeigt die Stadt hingegen als stählernes Dawson City. In ganz Mürzzuschlag haben sie nur einen "rundum zufriedenen Menschen" entdeckt: einen kurdisch-deutschen Zuwanderer. Auch eine Kunst.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung