Scheint der Mond auf Brüssels Dirnen

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Stefan Herheim, bekannt für seine überbordende Phantasie, deutet Antonín DvoÇráks „Rusalka“ neu. Eine zweischneidige Sache an der Grazer Oper.

Antonín DvoÇrák und sein Librettist Jaroslav Kvapil schufen 1901 ein lyrisches Märchen über Liebe, Enttäuschung und Liebestod der Waldnixe Rusalka im böhmischen Volkston. Die Tochter des Wassermanns verliebt sich darin in einen prinzlichen Jägersmann und möchte ihm in die Menschenwelt folgen, koste eine menschliche Seele, was es wolle. Der Wassermann warnt, doch die Hexe JeÇzibaba luchst Rusalka ihr gleißendes Nixenschuppenkleid ab und treibt sie in die Arme des Geliebten. Der wird der unerfahrenen stummen Schönen schnell überdrüssig und vergnügt sich mit der lüsternen Fremden Fürstin. JeÇzibaba erklärt Rusalka, sie könne ihr Liebesleid in der falschen Lebensform nur dadurch beenden, dass sie rächend ihren Prinzen tötet.

Das Mondlied auf der Litfaßsäule

So steht es im Libretto und auch in der Inhaltsangabe der Grazer Oper. Herheim hat seine Interpretation der bekannten Geschichte im Winter 2008 in Koproduktion mit der Grazer Oper am Brüsseler Théâtre de la Monnaie herausgebracht, seit Dezember 2009 ist sie nun in Graz zu sehen. Und da erlebt man wahrlich eine ganz andere Welt.

Ins Vorspiel hinein prasselt Regen vom Tonband, jault eine Polizeisirene. Drei Nymphen kommen auf Freierfang aus der Brüsseler Metro. Warten im Eissalon „Lunatic“ auf spendable Herren. Rusalka geht im Regen an der Straßenecke anschaffen. Kontrolliert wird sie von einem Alten mit Pferdeschwanzerl, dem Wassermann, der wiederum von einer fetten Alten im Haus über einem Sextoy-Shop überwacht wird, die sich später zur Fremden Fürstin mausert.

Rusalkas Träume sind zuerst ein Glamour-Plakat auf einer leuchtenden Litfaßsäule. Später fährt sie auf dieser sitzend hoch, um ihr Mondlied zu singen. Vier Satellitenschüsseln wenden sich ihr zu. Denn im Soho von Brüssel scheint kein Mond für die Liebenden.

Später wird in dieser Litfaßsäule, ein Theatercoup der Bühnenbildnerin Heike Scheele, Rusalkas glitzernder Fischschwanz sichtbar. Als Rusalka mit JeÇzibaba verhandelt, greift ihr diese Bordsteinschwalbe heftig in den Schritt. Auch ein Streifenpolizist wird von ihr beglückt.

Kafka als Kronzeuge missbraucht

Der Prinz erscheint im Matrosenanzügerl der Wiener Sängerknaben. Das erträumte Hochzeitsfest verkommt zum karnevalistischen Aufmarsch. Man trinkt Gösser Bier. Die Nonnen im Faschingszug enthüllen unter ihren Habits alle Stadien von Cellulitis, Fettsucht und Hängebusen. Der Prinz vergnügt sich in der Horizontale, Rusalka flieht. JeÇzibaba drückt ihr einen Springdolch in die Hand.

Wer dann wen in den Liebestod schickt, wird nur teilweise klar, als der Wassermann seine Koberin/Ehefrau mit einem Beil erschlägt. Das „Märchen“ endet in einem CSI-artigen Polizeiauftrieb.

Stefan Herheim und das Grazer Programmheft schwadronieren über Chiffren und Codes des „gespaltenen männlichen Wesens“ und geben vor, mit der geschilderten Bühnenoptik, -hektik und Ekelerotik „Subtexte einer Traumfabrik“ begreifbar zu machen. Sogar Franz Kafka wird als Kronzeuge missbraucht. Das Ergebnis und der Geist, der hinter Herheims Frauenbild weht, erscheinen fragwürdig. Die eine Hälfte des Premierenpublikums jubelte, die andere sorgte mit lautstarkem Buh-Orkan für einen Kontrapunkt.

Kein musikalisches Trostpflaster

Schade, dass man sich so ausführlich mit einer im Detail durchaus diskutablen Ideenschaukel von Regie befassen muss, denn die musikalische Realisierung ist diesmal kein Trostpflaster. Johannes Fritzsch musiziert straff, ohne den Lyrismen der Partitur oder gar ihrem Zukunftsgestus den nötigen akustischen Raum zu geben. Das Grazer Orchester spielt makellos und könnte auch tiefere Schichten zum Klingen bringen.

Besetzungsglück hat die Grazer Oper vor allem bei der Titelheldin. Gal James, eine junge Israeli, besitzt lyrischen Schmelz, ein noch jugendliches Timbre und auch die Kraft für einige Aufschwünge. Dubravka Musovic als JeÇzibaba ist agil, dämonisch und zeigt auch Talent fürs Groteske. Nicht das Wasser reichen kann ihnen Lisa Livingston als Fremde Fürstin, denn ihr fülliger Sopran trägt hörbare Spuren ihres Wagner-Repertoires. Lyrisches Schmachten fällt Maxim Aksenov leichter als tragische Verzweiflung. Der junge Tenor des Marinsky-Theaters in St. Petersburg sollte nicht verheizt werden.

Schlicht unterbesetzt mit dem Slowaken Gustáv BeláÇcek ist der Wassermann, dem in der Tiefe fehlt, was ihm auch in der Höhe nicht mehr zu Gebote steht, ein vokales Ärgernis.

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