Scheitern an den gefrorenen Herzen

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Eine "wiener roh(fleisch)fassung" auf der Bühne des Wiener Akademietheaters: Alexander Wiegold inszeniert Ferdinand Schmalz' "der herzerlfresser" lakonisch und ohne viel Schnickschnack - und lässt so die Metaphern ihre doppelbödige Wirkung entfalten.

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Eine "wiener roh(fleisch)fassung" auf der Bühne des Wiener Akademietheaters: Alexander Wiegold inszeniert Ferdinand Schmalz' "der herzerlfresser" lakonisch und ohne viel Schnickschnack - und lässt so die Metaphern ihre doppelbödige Wirkung entfalten.

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Im Jahr 1786 hat sich im Mürztal eine der grausigsten Mordserien der steirischen Rechtsgeschichte zugetragen. Der Knecht Paul Reininger, dem Trinken sowie dem Glücksspiel über die (vor allem finanziellen) Maßen zugetan, soll dort sechs Frauen, die zum Teil noch Mädchen im Kindesalter waren, umgebracht und ihnen die noch warmen Herzen aus dem Leib gerissen und verspeist haben.

Er gab zu Protokoll, ein alter Aberglaube sei es gewesen, der ihn zu diesen abscheulichen Taten angestiftet habe, denn durch sieben Frauenherzen würde er doch ewiges Glück im Spiel haben, die Frauenherzen ihm nur so zufliegen und darüber hinaus ihn auch noch unsichtbar machen, damit "das unglück mich nicht findet mehr."

Kannibalistische Mordsgeschichte

Diese kannibalistische Herzerlfressergeschichte hat der 1985 in Graz geborene und gegenwärtig hoch gehandelte Dramatiker Matthias Schweiger (der sich als Dramatiker lieber Ferdinand Schmalz nennt) als große Metapher in die Gegenwart transportiert. Er hat daraus ein Stück geformt, das wie ein munterer, federleichter, zeitgenössischer Nachkomme der Volkstücke von Ödön von Horváth, Marieluise Fleißer, Werner Schwab oder gar Elfriede Jelinek anmutet.

"der herzerlfresser" ist ein Auftragswerk des Schauspiel Leipzig und dort im November des letzten Jahres auch uraufgeführt worden. Schmalz schließt damit seine Verdauungsdramentrilogie ("am beispiel der butter" und "dosenfleisch") ab.

Alexander Wiegold, der letztes Jahr im Vestibül schon Ferdinand Schmalz' "am beispiel der butter" inszenierte, hat nun die "wiener roh(fleisch)fassung"(so der Untertitel des Stückes) auf die größere Bühne des Akademietheaters gebracht. Seine Inszenierung hat etwas Lakonisches. Ganz unaufgeregt, ohne viel Schnickschnack vertraut er auf die Qualität der Sprache, auf die Pointen und Anspielungen des Textes, ohne große Angst vor den Kalauern. Er lässt so die Metaphern ihre doppelbödige Wirkung entfalten.

Die Bühne von Katrin Brack, ein Wald aus Lamettagirlanden, rückt das Volksstück ebenfalls in eine Sphäre, die nicht nur hübsch zur Künstlichkeit von Schmalzens Sprache passt, sondern auch als Metapher der eisigen Verhältnisse taugt.

Denn das Leben der fünf Protagonisten an diesem namenlosen Ort am Rande einer Moorlandschaft dreht sich um die vergebliche Sehnsucht nach Liebe und das Scheitern an den gefrorenen Herzen. Jeder "will doch nur, dass ein anderer einen will".

Da gibt es den Bürgermeister, für den zunächst weniger die Fußpflegerin Irene, die früher einmal René hieß, die Herzensangelegenheit darstellt, als vielmehr das neue Einkaufszentrum, das auf dem eigens dafür trocken gelegten Sumpf entstehen soll. Als dieses erste Risse zeigt und dem Bürgermeister dazu noch eine Moorleiche ohne Herz vor die Füße plumpst, macht der sonst so global Denkende daraus kurzerhand ein subregionales Problem, denn "schlechte Kunde, keine Kunden".

Buchstäblich genommen

Der Wachmann Gangsterer soll den Mord undercover aufzuklären, was auch schnell gelingt. Der Fleischer mit dem verzehrenden Liebeskummer war's. Dem Mann mit der Sehnsucht nach "einer berührung, die keine trennung kennt", riet Irene einst, das Herz einer Frau zu erobern. Über die Buchstäblichkeit, dass eine Frau ihr Herz an ihn verlor, erschrickt sie derart, dass ihr das ihre in die Hose plumpst. Der Herzerlfresser begründet seine Tat mit den Worten: "wer dauern will, muss sich in mich verdauen lassen. und wird so wieder fleisch von meinem fleisch. mein magen ist das paradies, das wir verloren haben." Der etwas selbstverliebte Text von Schmalz ist noch nicht der große Wurf, aber eine Talentprobe allemal.

der herzerlfresser

Akademietheater 21., 30. Oktober; 7., 12., 23. November

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