Schicke Kleidung - hoher Preis

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Die Weltmarktfabriken in den freien Produktionszonen boomen überall. Dort wird unsere Bekleidung zu Produktionsbedingungen des 19. Jahrhunderts hergestellt. Eine weltweite Gegenbewegung versucht, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten modernen Sozialstandards anzupassen.

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Die Weltmarktfabriken in den freien Produktionszonen boomen überall. Dort wird unsere Bekleidung zu Produktionsbedingungen des 19. Jahrhunderts hergestellt. Eine weltweite Gegenbewegung versucht, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten modernen Sozialstandards anzupassen.

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Hier heißt es hart arbeiten", brüstet sich Gilberto Wong seiner Unternehmermoral. "Aber wer etwas leistet, verdient auch gut." In der Praxis sieht diese Leistung etwa so aus: Juana B. steht täglich um 4 Uhr auf, kocht Kaffee, weckt die Kinder, bereitet ein bescheidenes Frühstück, bringt die Jüngsten zu ihrer Mutter, die tagsüber aufpaßt. Dann geht es mit dem Bus in die 20 Kilometer entfernte Freihandelszone Las Mercedes, in der Nähe des Flughafens von Managua, der nicaraguanischen Hauptstadt - Herr Wong ist der Chefverwalter dieser Zone. Um sieben Uhr ist Arbeitsbeginn, zehn Stunden später offiziel Arbeitsende, doch bei guter Auftragslage wird bis 20 oder 22 Uhr gearbeitet. Sechs Tage die Woche. "Am Ruhetag ist man einfach erschöpft. Manchmal sage ich mir, lieber tot sein, als so ein hartes Leben weiterzuführen", faßt die 24jährige Juana ihre Lebenserfahrung zusammen.

Oscar Rivas Artola freute sich sehr, als er Anfang des Vorjahres einen Job in derselben Freihandelszone erhielt. Eine Tätigkeit an der Zentrifuge in einer Wäscherei, für die er monatlich umgerechnet etwa 900 Schilling erhielt - bei Lebenshaltungskosten, die nur unwesentlich unter den mitteleuropäischen liegen. Er hatte schon mehrmals dem Betriebselektriker Unregelmäßigkeiten an der Maschine angezeigt. "Sie sind ein Faulpelz", hatte daraufhin der Vorarbeiter den jungen Arbeiter gerügt. Schließlich versetzte ihm im vergangenen November die Maschine einen derart starken Stromstoß, daß er auf dem Weg in die Klinik verstarb.

Im Büro von Herrn Wong hängt ein Foto, worauf er dem nicaraguanischen Präsidenten Arnoldo Aleman strahlend die Hand schüttelt. In seiner Familie wurde immer schon hart gearbeitet. Bruder Juan etwa war Leiter der Leibwache von Anastasio Somoza III., dem gefürchteten Sohn des letzten Somoza-Diktators. Und um willige und billige Arbeitskräfte braucht er sich nicht zu sorgen: bei einer Arbeitslosigkeit von rund 60 Prozent gibt es viele, die auf den Posten des jungen Oscar warten und Juana um ihren Job beneiden.

Investitionsanreize Nicaragua ist kein Ausnahmefall. Heute überzieht ein ganzes Netz von solchen "Freien Produktionszonen" Lateinamerika, Asien und Afrika. Entstanden ist diese Form der Zulieferbetriebe in den sechziger Jahren in Mexiko, wo sich, angelockt von den billigen Arbeitskräften und Steuervorteilen, US-amerikanische Unternehmen in der Grenzregion ansiedelten. Maquilas oder Maquiladoras nennt man diese Fabriken: Maquila hieß in der Kolonialzeit das Mahlgeld, das der Müller für seine Arbeit einsteckte - gemeint ist also im weiteren Sinn die Entlohnung für eine Teilarbeit im Produktionsprozeß.

Anfang dieses Jahrzehnts begann dann der große Boom; durch Investitionsanreize der Regierungen, die hohe Arbeitslosigkeit und die staatlich sanktionierte Mißachtung der bestehenden Arbeitsgesetze - sprich: "freie" Ausbeutung - hat sich die Zahl der Maquila-Betriebe in kurzer Zeit vervielfacht. In Mittelamerika wird zu 80 Prozent für die internationale Bekleidungsindustrie produziert. Ob in Nicaragua oder in Vietnam, in Mexiko oder in Thailand - die Verhältnisse sind ähnlich: tägliche Arbeitszeiten von zwölf bis 14 Stunden, und das meistens sechs Tage hindurch; gewerkschaftliche Organisierung wird mit Hinauswurf geahndet. "Wir tun unser Bestes, um uns den Anforderungen der USA anzupassen", versicherte etwa Le Van Bang letztes Jahr, damals gerade designierter vietnamesischer Botschafter in Washington, als eine US-Wirtschaftsdelegation unter Führung von Finanzminister Robert Rubin den einstigen Kriegsgegner Vietnam besuchte. Und von diesem guten Willen profitieren immer mehr Unternehmen. Der Sportschuh-Hersteller "Nike" etwa. Er unterhält vier Produktionsanlagen in Vietnam mit insgesamt etwa 35.000 Arbeitern, die meisten davon junge Frauen. Der Tageslohn beträgt umgerechnet 1,60 Dollar - auch in Vietnam nicht genug, um eine Familie erhalten zu können. Dasselbe Markenunternehmen, das genauso wie "Adidas" und "Reebok" keine Schuhe selbst produziert, sondern nur entwirft und vermarktet, wendet zum Beispiel für den Basketballspieler Michael Jordan in einem Jahr 20 Millionen Dollar für Werbe- und Promotiontätigkeit auf.

Es ist abzusehen, daß die Weltmarktfabriken auch in Zukunft weiter expandieren werden - eine globale Entwicklung, der auch nur im weltweiten Maßstab entgegengetreten werden kann. Von Seiten der Regierungen und der Politiker, auch der der Industriestaaten, ist kaum Abhilfe zu erwarten. Selbst die Sozialklauseln - internationale Abkommen auf Regierungsebene, die auf verbesserte Arbeitsbedingungen abzielen - sind ein zweischneidiges Schwert, da sie von den reichen Staaten auch zum Schutz vor der Konkurrenz aus dem Süden eingesetzt werden können. So hat sich bei Menschen in aller Welt, die diese unmenschlichen Produktionsbedingungen ihrer eigenen Kleider oder Schuhe oder sonstiger Gebrauchsgegenstände nicht mehr hinnehmen wollen, die Überzeugung durchgesetzt, daß sie die Sache selbst in die Hand nehmen müssen.

In den USA etwa sind Verbraucherverbände, Menschenrechtsgruppen, kirchliche Organisationen und Gewerkschaften seit Jahren damit beschäftigt, durch Aufklärungsarbeit und öffentlichen Druck auf die großen Unternehmen der Bekleidungsbranche diese dazu zu bringen, von ihren Zulieferbetrieben in der Dritten Welt die Einhaltung bestimmter sozialer und arbeitsrechtlicher Mindeststandards zu verlangen. Und in Europa hat sich in den letzten Jahren eine zivilgesellschaftliche Gegenstrategie entwickelt, die in der internationalen "Clean Clothes Campaign" (CCC, Kampagne für saubere Kleidung) ihren fortschrittlichsten Ausdruck gefunden hat.

"Saubere Kleidung" Diese Kampagne entstand 1990 in den Niederlanden, mittlerweile haben sich zahlreiche europäische Länder angeschlossen. Via Konsumenten-Information soll auf die großen Bekleidungshändler und Textilfirmen Druck ausgeübt werden, damit diese durch die Unterzeichnung einer von der CCC ausgearbeiteten Sozialcharta die Einhaltung sozialer Produktionsstandards in den Zulieferfirmen garantieren.

Auch in Österreich hat sich im vergangenen Jahr eine entsprechende Initiative entwickelt. Der ursprünglich von der "Informationsgruppe Lateinamerika" (IGLA), "Frauensolidarität" und "Südwind-Agentur" getragenen Bewegung haben sich im Laufe des Jahres noch zahlreiche katholische Organisationen angeschlossen. Gegenwärtig wird noch an der Verbreiterung des Netzes von unterstützenden Organisationen und von Interessenten gearbeitet, die sich aktiv für dieses Anliegen einsetzen wollen. Zur Zeit läuft eine an die Firma Hennes & Mauritz und an die Bundesregierung gerichtete Postkartenaktion der österreichischen "Weltläden"; die Karten und Informationsmaterial liegen in diesen Geschäften des fairen Handels auf, von denen es in Österreich bereits über sechzig gibt.

Weitere Informationen: Berggasse 7/3, 1090 Wien.

Der Autor ist Redakteur der Zeitschriften "Südwind" und "Lateinamerika anders" und Mitbegründer der österreichischen "Clean Clothes Campaign".

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