Schiffbruch einer Illusion

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An Europas Küsten zerschellen Körper und Hoffnungen von Flüchtlingen - und die EU muss sich vom Wunschdenken verabschieden, dass Einwanderungspolizei Einwanderungspolitik ersetzen kann.

Tourismusverantwortliche auf den Kanaren, in Spanien und Süditalien beklagen Buchungsstornierungen von Gästen, die sich von angeschwemmten Flüchtlingsleichen in ihrem Urlaubsidyll gestört fühlen. Vor den Stränden ins Wasser gelassene Fangnetzen sollen jetzt die toten Körper abfangen: "Wir haben das Algenproblem gelöst", erklärt der Fremdenverkehrsdirektor von Las Palmas, "wir werden auch das Flüchtlingsproblem meistern."

Dieses Zitat sowie das ganze Vorhaben ist (noch) erfunden, stimmt (noch) nicht - im aktuellen Magazin Refugees des un-Flüchtlingshochkommissariats unhcr findet sich jedoch ein nicht gestelltes Foto, das derartig zynische Szenarios nicht mehr unmöglich erscheinen lässt: Ein junges Pärchen sitzt da mit Sonnenschirm, Badetuch und Kühlbox an einem spanischen Mittelmeerstrand; und keinen Steinwurf entfernt liegt der tote Körper eines angeschwemmten Flüchtlings - die beiden schielen verschämt zur Leiche; aber nicht mit blankem Entsetzen lässt sich ihre Reaktion und die ganze Stimmung des Fotos beschreiben, sondern vor allem mit Ratlosigkeit.

Ratlos, hilflos, überfordert sind auch die spanische und italienische Regierung und mit ihnen die ganze eu. Über 400 Flüchtlinge haben letzten Sonntag wieder die süditalienische Insel Lampedusa erreicht; auf den Kanaren waren es vier Boote mit 160 Menschen, insgesamt sind heuer bereits mehr als 8000 Afrikaner auf den spanischen Inseln im Atlantik gelandet - lebend, von den Toten gibt es kaum Zahlen. Westafrika und der Maghreb sind zum Mexiko Europas geworden - und gleich dem us-amerikanischen Vorbild versucht nun auch die eu mit Sicherheitstechnik dem Problem Herr zu werden: Mehr Flugzeuge, mehr Patrouillenboote und ein ursprünglich zur Ortung von Fischschwärmen entwickeltes Computerprogramm sollen die Flüchtlingsboote bereits nahe der afrikanischen Küsten aufspüren und zurückschicken - im Wissen, dass es die harragas ("die ihre Vergangenheit verbrennen") demnächst wieder versuchen: "Ich werde es wieder probieren. Wenn ich sterbe, bin ich ein Wirtschaftsmärtyrer. Ich tue es für meine Familie", sagte ein Marokkaner, der aus dem Meer gefischt wurde, und ein anderer meinte: "Hören Sie, dies ist die Meerenge der letzten Hoffnung. sie ist die letzte Grenze zwischen der Hölle und einer angeblich besseren Welt."

Beide Zitate könnten eins zu eins von einem Mexikaner stammen, der in den usa seine Zukunft sucht, und den davon nichts und niemand abhalten kann. Und wenn es die Amerikaner nicht schaffen, wird sich auch Europa mit noch so ausgeklügelter Festungstechnik nicht gegen "sein Mexiko" abschotten können. Das Risiko für die Flüchtlinge wird nur immer größer, und die Toten an den Stränden werden immer mehr.

Zudem steckt - so wie in den usa - hinter der europäischen Abwehrhaltung gegenüber den afrikanischen Einwanderern eine gehörige Portion Heuchelei. Die International Herald Tribune brachte letzte Woche einen Bericht, in dem Unternehmer auf den Kanaren ihre Regierung ersuchen, die Afrikaner im Land zu lassen, weil sie als (sehr billige) Arbeitskräfte gebraucht werden. Und sie finden Gehör: "Nur jeder zwanzigste Illegale wird abgeschoben", schimpft die Opposition - aber nicht sehr laut, denn auch in ihrem Klientel gibt es Fraktionen, denen ein ethnisch hierarchisierter Arbeitsmarkt sehr gelegen kommt. Aber was bleibt als Ausweg, wenn Abschottung nicht funktioniert und teilweise nicht gewünscht ist? Soll die illegale Einwanderung weitergehen? Sollen in ihrem Gefolge Rechtsradikale - wie auf den Kanaren - Zulauf bekommen? Und werden diese bald Flüchtlingslager anzünden, anstatt wie bisher Flüchtlingsboote?

Auf all diese Fragen Nein. Ein Ja hingegen zu der Einsicht, dass der Kampf gegen illegale Einwanderung nicht an den Grenzen gewonnen werden kann, sondern nur in den Heimatländern und in den Köpfen derer, die allein im Fortgehen einen Ausweg sehen. Dieser Heimatkampf wird dauern, wird nicht von heute auf morgen die Flüchtlingsboote am Auslaufen hindern - deswegen braucht es für alle, die jetzt kommen, mehr eu-Einwanderungspolitik statt mehr Einwanderungspolizei. Den zweitere können nur jene angeschwemmten Leichen wegräumen, die erstere verhindern soll.

wolfgang.machreich@furche.at

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