Schlacht als Romanstoff, Literatur in Technicolor

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Aspern, 1809: Ein französischer Autor stellt Österreichs Schicksalsschlacht akribisch nach.

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Aspern, 1809: Ein französischer Autor stellt Österreichs Schicksalsschlacht akribisch nach.

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Die Schlacht" von Patrick Rambaud, ein in Frankreich preisgekröntes und hoch gelobtes Romanepos, beschreibt nicht irgendeine Schlacht, sondern die erste Niederlage Napoleons - bei Aspern. Die Schlacht bei Aspern war nicht das erste Aufeinandertreffen der Napoleonischen Armeen mit den Österreichern. Doch die österreichischen Geschichtsbücher verzeichnen "Aspern 1809" als jene Schlacht, in welcher der mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit ausgestattete Napoleon vom österreichischen Feldherrn Erzherzog Carl, einem Bruder von Kaiser Franz, geschlagen wurde.

Sie fand sozusagen unter den Augen der Wiener statt und war für die schon damals offensichtlich genusssüchtigen Hauptstädter ein willkommenes Spektakel, dessen politische und menschliche Tragweite und dessen Randerscheinungen ihnen - wie man dem Buch entnehmen kann - möglicherweise mehr oder weniger "wurscht" gewesen sind. Man verlieh an die Wiener um gutes Geld Ferngläser, damit sie dem Abschlachten von 40.000 Männern aus sicherer Entfernung besser zusehen konnten.

Patrick Rambauds Arbeit an seinem Roman ging eine genaue Unterlagenforschung voraus, wie er in einem Anhang ausführt. Militärgeschichtliche, waffentechnische, geographische und selbstverständlich historische Studien sollten eine genaue und wahrheitsgetreue Darstellung sicherstellen. Allein, macht das schon einen gelungenen Roman aus? Ist dieser nicht allemal noch eine literarische Form, die weniger den Historiker als vielmehr den Literaten, Poeten, Menschenschilderer fordert? Bekanntlich trug sich auch Honore de Balzac lange Zeit mit dem Gedanken, diese berühmte Schlacht in einem Buch zu beschreiben.

Nun hat Rambaud das nachgeholt und er stellte sich damit nolens volens einem hohen Vergleichsmaßstab. Freilich wäre es im Jahr 2000 höchst merkwürdig, legte man an ein Werk unserer Zeit den Maßstab des Realisten Balzac an, der vor eineinhalb Jahrhunderten verstorben ist. Ein Werk unserer Zeit muss auch stilistisch und in seiner geistigen Haltung, meine ich, ein Werk unserer Zeit sein. Woraus sich freilich, im positiven Falle, noch immer kein Urteil über die literarische Qualität ableiten lässt.

Rambaud hat also fleißig recherchiert, Schauplätze aufgesucht, Quellenwerke studiert und alles getan, um Anachronismen und grobe Sachfehler zu vermeiden. Das gibt seinem Buch Authentizität und Glaubwürdigkeit, wenngleich die Professorenromane des späten 19. Jahrhunderts mit einer ähnlichen Akribie an ihre Themen herangingen. Von einem Werk unserer Zeit würde ich auch politische und weltgeschichtliche Perspektiven erwarten.

Trotz der peniblen Darstellung der Einzelheiten erfahren wir kaum, was Napoleon 1809 eigentlich in Wien suchte, als er in Schönbrunn logierte. Man erfährt nicht, wo sich eigentlich jener Kaiser befindet, der üblicherweise in Schönbrunn zu residieren pflegte, nämlich Franz I. von Österreich, vormals Franz II. Es ist von einem Kaiser die Rede, der aber immer Napoleon ist. Das braucht aber den österreichischen Leser nicht zu schmerzen, ja nicht einmal besonders zu wundern, wird hier doch alles aus der französischen Perspektive gesehen. Das ist ja auch das gute Recht eines französischen Autors. Ebenso darf der Romanautor Figuren der Geschichte neben erfundene Figuren stellen.

Was die Masse der anonymen Soldaten und das Dutzend aus der Anonymität heraus tretender Offiziere bei Aspern erleben, ist die wahre Kriegshölle. Ein wahres Abschlachten ganzer Truppenteile geht vor sich, das der Autor - aufgrund seiner genauen Recherchen - ausladend darstellt und dem Leser zumindest auf dieser Seite erschöpfend bis zum Widerwillen vor Augen führt. Die Gräuel des Krieges werden fast schon exhibitionistisch vorgeführt: Literatur in Technicolor. Selbst der verbohrteste Militarist wird heute der (leider im Buch nicht ausdrücklich geäußerten) Meinung des Autors sein, dass Kriege keine Probleme wirklich lösen. Fragt sich also nur, ob solche Blutbäder auch heute noch, oder heute schon wieder, genug Leser-Voyeure finden.

Wobei, man muss es noch einmal sagen, der Autor nicht darlegt, welches Problem diesen Feldzug eigentlich auslöste und welches politische Ziel für Frankreich auf dem Spiel stand, sieht man einmal von Napoleons Hegemonieplänen ab. Über die Invasionspolitik Frankreichs, oder besser: Napoleons, wird nur andeutungsweise gesprochen, etwa wenn Generäle mit ihrem obersten Feldherrn die Geduld verlieren oder mit seinen Kriegsvorstellungen "nicht mehr mitkommen".

Dass Henri Beyle (später Stendhal) eine unbedeutende Nebenrolle spielen darf, ohne einen strukturellen Beitrag zur Handlung bieten zu dürfen, sei erwähnt, weil manches, das bedeutungsvoll sein könnte, gleichsam wie zufällig im Buch auftaucht, um letztendlich doch nicht von Wichtigkeit sein. Das mag aber als Stilmittel durchaus seinen Reiz haben.

Das Buch vermittelt einen realistischen Eindruck von einer der brutalsten Schlachten der Neuzeit. Dem 20. Jahrhundert war es vorbehalten, das Grauen noch zu vervielfachen und die Leiden der Soldaten und der Zivilbevölkerung zu vervielfachen. Was die Österreicher durch den Sieg bei Aspern strategisch gewonnen hatten, das ging durch die folgende Schlacht von Wagram gleich wieder verloren. Dass Sieg und Niederlage durch scheinbar nebensächliche Zufälle bewirkt werden können, weiß der Leser seit Stefan Zweig. Hier wird es wieder belegt. Es spricht für den Autor, dass er nicht mehr versprach, als er halten konnte. Doch er hätte mehr bieten können und sollen. Denn dem Historiker wird heute auch in der Belletristik mehr abverlangt als die Aufzählung von Herrscherlisten und Schlachtenabfolgen.

Die Schlacht Roman von Patrick Rambaud, Insel Verlag, Frankfurt/M. 2000, 320 Seiten, geb., öS 350,-/e 25,44

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