Schlafen, weil die Welt zu wach ist

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Günter-Brus-Ausstellung im Rahmen von Graz 2003: ein heller Farbenkosmos des ehemaligen Enfant terrible.

Der Weg zur Günter-Brus-Schau in Graz könnte passender nicht sein. Aus dem belebten Altstadtgetümmel kommend, betritt man den Schlossberg-Stollen, marschiert beinahe im Dunkeln bergwärts, ehe sich auf halber Höhe Licht ausbreitet. Plötzlich steht man inmitten einer märchenhaften Installation voller phantastischer Figuren und leuchtender Farben: Ein Schiff, sich drehende Kugeln, Insekten, Elefanten, überdimensionale Ohren und Hände ragen aus unterschiedlichen Richtungen in den Raum. Sie finden sich gemeinsam mit den Ausstellungsbesuchern auf den Spiegelwänden wieder - im Hintergrund ist leise Franz Schrekers Kammersymphonie zu hören. "Ich schlafe, weil die Welt zu wach ist", hat Günter Brus, der Traumartigem und Unbewusstem einen wesentlichen Platz einräumt, einmal auf eine Zeichnung gekritzelt. Auch im Stollen zeigt er eine Welt, die sich gegen eine funktionalistisch-rationalistische Verengung menschlichen Daseins wendet. Aber die Ausstellung zeigt nur eine Seite des Günter Brus - die dunkel-düsteren Aspekte und der intellektuell hinterfragende Charakter seines Werks finden sich hier nicht.

So manch ein Besucher ist daher mehr als erstaunt, dass ein derart zauberhafter Kosmos aus der Gedankenwerkstatt des ehemaligen Enfant terribles stammt - verbindet man doch mit dessen Namen Erinnerungen an die so genannte "Uni-Ferkelei" und die wilde Aktionskunst der sechziger Jahre. Aber Körperkünstler ist Günter Brus schon lange nicht mehr. 1970 beendete er seine Aktionskunst und erklärte das Papier wieder zum Schauplatz seines exzessiven Arbeitens, Sprach- und Bildzeichen zu Akteuren. Neben den Tausenden Zeichnungen, den literarischen Schriften und den literarisch-bildnerischen Grenzüberschreitungen, genannt Bild-Dichtungen, entstanden auch Theater- und Bühnenbildentwürfe.

Günter Brus selbst sieht keinen Widerspruch zwischen seinen ehemaligen körperverletzenden Aktionen und seinen heutigen literarisch-zeichnerischen Arbeiten. Nur über den Umweg der radikalen Körperkunst habe er sich befreien und zu solch phantastischen Bildwelten finden können: "Ich zeichne das große Bild der Welt. Ich möchte alle Bereiche, die optisch abbildbar sind, einbeziehen. Und das geht vom Märchen bis zu Vorstößen in abstrakte Bereiche und bis zur Selbstbetrachtung als ein Ausgesetzter und um seine Existenz Bangender".

Gebastelt wurde die Installation im Schlossberg aus den erhaltenen und nun neu restaurierten Originalfragmenten des Bühnenbildes, das Günter Brus 1985 für die Uraufführung von Gerhard Roths Theaterstück "Erinnerungen an die Menschheit" im Grazer Schauspielhaus entworfen hat.

An sich ist die Schau eine Notvariante - allerdings gut und medienwirksam aufbereitet. So fällt kaum auf, dass man in der Konzeption der "Kulturhauptstadt Graz 2003" vor allem nach internationalen Größen Ausschau gehalten und zugleich vergessen hat, Günter Brus als bedeutendsten in Graz lebenden bildenden Künstler eine Ausstellung zu widmen oder ihm einen neuen Auftrag für ein Außenraumprojekt zu geben. An sich wäre eine Retrospektive mit allen Aspekten des Brus'schen Werks im Rahmen des 65. Geburtstag angebracht gewesen, aber auf die Idee kam man zu spät, als bereits die Albertina in Wien für Dezember 2003 eine Brus-Retrospektive gebucht hatte. Irgendwie passt die Installation aber sehr gut in die Gesamtkonzeption von Graz 2003, weil das Sinnlich-Lebendige hervorkehrt wird und so für ein breites Publikum leicht konsumierbar ist.

Erinnerungen an die Menschheit

Eine Welt von Günter Brus

Graz, Dom im Berg, bis 23. Februar

tägl. 10-18 Uhr

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