Schlafender Soldat in uns

19451960198020002020

"Cemetery of Splendour": Apichatpong Weerasethakuls neuer Film entlarvt Thailands Militärregime eindringlich - und nicht nur dieses.

19451960198020002020

"Cemetery of Splendour": Apichatpong Weerasethakuls neuer Film entlarvt Thailands Militärregime eindringlich - und nicht nur dieses.

Werbung
Werbung
Werbung

Der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul dürfte seit der Goldenen Palme für seinen Film "Uncle Boonme erinnert sich an seine früheren Leben" auch einem größeren internationalen cinephilen Publikum bekannt sein. Schon lange ein immens wichtiger Filmemacher im Weltkino, ist er unverhofft auch zum politischen geworden, was er auch in seiner neuen Arbeit "Cemetery of Splendour" großartig demonstriert.

Dieses Mal wandelt er durch ein still gelegtes Spital, in dem Soldaten liegen, die an einer Schlafkrankheit leiden. Die Krankenschwester Jen (Jenjira Pongpas Widner), baut mittels eines Mediums Zutritt ins Bewusstsein und die Träume des schlafenden Soldaten Itt (Banlop Lomnoi) auf, und es entsteht eine tiefe Verbindung. Plastischer und dringlicher wurde das thailändische Militärregime noch nie dargestellt, aber: Sein Film sei kein Kommentar zum Putsch, sondern zum Soldaten in uns, erklärt Weerasethakul im Gespräch mit der FURCHE.

Die Furche: Sie vermengen in Ihren Filmen die Wirklichkeit mit anderen Realitätsebenen: Träume, Visionen, Erscheinungen aus dem Jenseits etc. Beides tritt gleichrangig auf. Welche Ebene wollen Sie da vor allem vermitteln: die wahrnehmbare oder übersinnliche?

Apichatpong Weerasethakul: Manchmal geht es in einem Film weniger um die Realität als um unsere Existenz und Erinnerungen. Jeder lebt in einer anderen Wirklichkeit. Wenn jemand an Geister glaubt, sind sie Teil seiner Realität. Es geht um verschiedene Wahrnehmungen, die nicht visuell sein müssen. Ich möchte das ebenso darstellen wie etwa den Glauben, Nostalgie oder wissenschaftliche Informationen. So reflektieren meine Filme die Präsenz unsichtbarer Wesen, an die viele Menschen glauben. Der äußere Rahmen kann verschieden aussehen: Manche Leute gehen zur Kirche und betrachten das Abendmahl als Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi. Ich glaube nicht an einen Schöpfergott, aber andere tun das. Diese Vielfalt sollte man anerkennen.

Die Furche: In Thailand ringen seit fast 15 Jahren zwei Strömungen um die Macht: die königstreuen "Gelbhemden" und die "Rothemden" des populistischen Ex-Regierungschefs Thaksin Shinawatra und seiner Schwester Yingluck. Zurzeit herrschen die Militärs, wie schon oft in Thailands Geschichte. Doch die Soldaten in Ihrem Film schlafen. Sind sie also machtlos?

Weerasethakul: Wie viele meiner Landsleute habe ich ein spezielles Verhältnis zur Armee, denn sie spielt in Thailands Politik eine Schlüsselrolle. Manchmal denke ich, dass wir alle Soldaten sind und als solche eingesetzt werden, auch wenn wir keine Uniformen tragen. Ich hege tiefe Sympathie für die Soldaten im Film, die ihr Bewusstsein verloren haben und die Realität nicht kontrollieren können. Das spiegelt wider, dass wir alle einen Soldaten in uns tragen.

DIE FURCHE: Die schlafenden Soldaten sind also kein Kommentar zur jetzigen Armee?

Weerasethakul: Nein, ich sehe das in größerem Zusammenhang; mein Sinn für Geschichte hat sich verändert. Im Film ist von Kämpfen früherer Könige die Rede, die über mächtige Reiche herrschten; sie beeinflussen noch die Gegenwart. Das bezieht sich auf mein Verständnis als Thai. Schon in meiner Schulzeit wurde viel Propaganda vermittelt, das gilt bis heute. Doch durch Internet und andere Informationsquellen ändert sich das Geschichtsbewusstsein. Vieles, was ich daher gelernt habe, hat mein Geschichtsbild erschüttert, etwa über den Einfluss der USA. Ähnliches geschieht im Film mit der Hauptdarstellerin, als sie von den untergegangenen Königreichen erfährt.

DIE FURCHE: Die Soldaten erwachen manchmal kurz, bleiben aber untätig. Repräsentieren sie die thailändische Gesellschaft?

Weerasethakul: Eine Lesart wäre: Wir schlafen alle, und Befreiung ist nur durch Träume möglich. Machtlosigkeit spielt eine Rolle sowie die Notwendigkeit, aufzuwachen. Doch einmal sagt die Hauptdarstellerin: "Wach nicht auf, sondern schlaf weiter, weil du deine Energie für eine bessere Zukunft aufsparen musst." Wenn man erlebt, wie gewaltsam gegen das Volk vorgegangen wird, und weiß, dass man dagegen wenig ausrichten kann, muss man abwarten und beobachten. Manches zerstört sich von selbst.

DIE FURCHE: Einiges im Film erscheint rätselhaft: Vor der Soldatenklinik wird eine Baugrube ausgehoben, eine Filmfigur spricht von einem "geheimen Regierungsprojekt". Zugleich sind auf der Oberfläche des Sees kleine Räder zu sehen, die ständig Wasser umschaufeln.

Weerasethakul: Ich mag Dinge, von denen man nicht genau weiß, welchen Sinn sie im Leben haben. Die von Ihnen angesprochenen Elemente implizieren Kreisläufe, etwa Zyklen des Lebens oder der Zerstörung. Der lebensnotwendige Sauerstoff spielt eine Rolle: Ihn schaufeln die Räder ins Wasser, während die schlafenden Soldaten Sauerstoffmasken tragen. Zugleich verweist das Kreisen auf nie endende Träume, während die Grabung sich auf die Reiche bezieht: Sie könnten gefunden werden.

Cemetery of Splendour (Rak ti Khon Kaen)

D/F/GB/Thailand 2015. Regie: Apichatpong Weerasethakul. Mit Jenjira Pongpas Widner. Stadtkino. 122 Min.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung