"Schlaue Augen"

19451960198020002020

Bei Sidonie Csillag blieb Professor Sigmund Freud erfolglos.

19451960198020002020

Bei Sidonie Csillag blieb Professor Sigmund Freud erfolglos.

Werbung
Werbung
Werbung

Ines Rieder und Diana Voigt schrieben die Biographie einer Ungewöhnlichen. Sidonie Csillag wurde 1900 ins jüdische Wiener Großbürgertum hineingeboren. Der Aufwand, mit dem die Autorinnen recherchierten, Bilddokumente suchten, ein Leben nachzeichneten, wird oft Berühmten nicht zuteil. Gerade bei einer Alltagsgeschichte ist all dies um so schwieriger, aber auch um so lohnender. Der Wunsch nach Detailtreue hat aber seine Tücken. Eine davon ist die Belanglosigkeit. Straffung hätte diesen 500 Seiten gut getan.

Der Alltag, der beschrieben wird, ist verdrängter Alltag, dies macht den Reiz der Geschichte aus. Es handelt sich nämlich nicht nur um die Biographie einer Hundertjährigen, die eine Patientin Freuds war, vor den Nazis nach Kuba flüchtete, zurückkehrte und zwischen den Welten lebte, bis sie in einem Caritasheim unweit von Schönbrunn starb. Das Geheimnis dieses Lebens war Liebe, die nur heimlich gelebt werden konnte, nämlich Liebe zu Frauen. Die Autorinnen beginnen die Geschichte mit der ersten großen Faszination der 17-Jährigen für Leonie Puttkamer, die 1924 eines Giftanschlages auf ihren Mann verdächtigt, eingesperrt und zur Berühmtheit der Boulevardpresse wurde.

Ihre finanzielle Situation erlaubte es der Familie, den besten Arzt zu konsultieren, um die "Schwärmereien" der Tochter zu kurieren. Es gelang Freud nicht, das Mädchen auf den Weg der Normalität zu bringen. Es blieb auch der einzige Versuch des Professors mit der weiblichen Homosexualität. "Zum Abschied sagt ihr Professor Freud: Sie haben so schlaue Augen. Ich möchte Ihnen im Leben nicht als Feind begegnen." Dass der berühmte Professor Sigmund Freud das zu ihr gesagt hatte, als sie neunzehn war, sollte Sidonie ihr ganzes Leben nicht vergessen.

Doch bevor wir der Geschichte dieses Lebens weiter nachgehen, ein guter Rat: In diesem Falle ist es tatsächlich angebracht, die Geschichte von beiden Enden anzubeißen und gleich auch das Ende zu lesen. Die Persönlichkeit Sidonies im hohen Alter lässt ein besonderes Verständnis für den Menschen, abseits der historischen Ereignisse, entstehen. Mit diesem Ende hätten die Autorinnen beginnen sollen, mit dem ersten Besuch der über 90-Jährigen in Wiens Rosa Lila Villa, wo sie zum ersten Mal erfährt, dass man sich ihrer Gefühle heute nicht mehr zu schämen braucht. Besuch in einer Welt, die sie sich "vielleicht siebzig Jahre früher ... gewünscht hätte."

Die Ehe mit Ed Weitenegg bleibt eine Episode. Er leitet vor 1938 das von Otto Neurath gegründete Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum und organisiert dann für die Nationalsozialisten die Propagandaausstellung "Der ewige Jude". Hier, aber auch an etlichen anderen Stellen, werden Mosaiksteinchen für verschiedene zeitgeschichtliche "Ergänzungsbilder" geboten. Abenteuerlich ist die Flucht aus NS-Deutschland, die Sidonie über Moskau nach Irkutsk, von dort nach Amerika und später nach Kuba führt. Während es ihr Bruder dort zum Leiter des Philharmonischen Chors bringt, muss Sidonie nach einigen Jahren von der Familie überzeugt werden, dass es doch geboten wäre, für ihren Unterhalt selbst aufzukommen. So wird sie Kinderfräulein bei einem Zuckerbaron, später Hausdame in New York. Nach dem Krieg kehrt sie nach Wien zurück und lebt nun zurückgezogen mit ihrem Hund, der sie all die Jahre begleitet hat. Sie hat überhaupt ein Faible für Tiere. In Thailand trauerte sie um einen Affen. Den roten Faden bilden immer wieder heimliche Lieben, denn schöne Frauen haben sie immer auf eine asexuelle Weise angezogen.

Die Geschichte einer Frau, die ihr Leben lebte, als hätte es all die Umbrüche und Einschnitte nicht gegeben. Entstünde nicht so, wie sie im Alter geschildert wird, die Faszination, könnte man hier das Klischee bestätigt finden, dass man mit dem nötigen Geld leben und lieben kann, wie man will.

Heimliches Begehren. Die Geschichte der Sidonie C. Von Ines Rieder und Diana Voigt. Deuticke Verlag, Wien 2000. 509 Seiten, geb., öS 350.-/e 25,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung