Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für das Buch

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Ein winziger Ausschnitt aus dem schier unüberblickbaren Bücherangebot dieses Herbstes: Zwei Romane, ein Band mit bösen Weihnachtsgeschichten, ein gewichtiges zeitgeschichtliches Werk, Bildbände.

Schlechte Zeiten sind immer gute Zeiten für das Buch", meinte Herbert Fleißner, der Inhaber eines der größten deutschen Verlagsimperien, auf unsere Frage, wie er die wirtschaftliche Zukunft des Buches in nächster Zeit einschätze. Man könne es nachprüfen. Es habe in der Weltwirtschaftskrise und auch die ganze Nachkriegszeit hindurch gestimmt: "Wenn es den Menschen nicht so gut geht und sie der Zukunft nicht vertrauen, lesen sie mehr." An der Struktur der Buchbranche stimme einiges nicht mehr, doch vor der Wirtschaftslage im Allgemeinenen habe er keine Angst.

Der Inhaber der Verlage Langen Müller, Herbig, Amalthea, Unversitas, terra magica und noch einiger anderer dürfte es wissen. Aber auch nach Aussage anderer Verlegerinnen und Verleger müssen wir nicht fürchten, die überreiche Auswahl an Büchern könne unter dem Druck der unschönen Konjunkturdaten einbrechen.

Während Fleißner jeden Gedanken an Kürzungen zurückweist, erklärt Klaus Eck, der oberste Chef aller einstigen Bertelsmann-Verlage, die jetzt unter Random House firmieren: "Ja, wir kürzen die Programme über alles um zirka zehn Prozent, um uns auf weniger Titel konzentrieren zu können. Wir spüren die Kaufzurückhaltung des Sortiments in verschiedenen Segmenten. Doch eine generelle Krise des Marktes sehe ich nicht. Offenbar sind die Leser doch eine stabilere Zielgruppe als die von Event zu Event zappenden Fernseher." Die Titelzahl, so Eck, sei in der Tat nicht unproblematisch, wobei zu wenig Orientierungshilfe geboten werde. Neben Buchkritiken, Bestsellerlisten und Lesungen sollte es "neue Instrumentarien" geben, "um noch mehr potentielle Leser zu ,ihren' Büchern zu führen."

In einem Punkt ist sich die gesamte Branche seit langem einig: Es erscheinen zu viele Bücher. Auch über das Wegschmelzen des Mittelfeldes herrscht Übereinstimmung. Zwischen den Erfolgstiteln, die es auf Auflagen von 50.000 und darüber bringen, und dem breiten Feld jener, die ihr Leben mit ein- bis dreitausend verkauften Exemplaren fristen, gibt es immer weniger von den soliden, braven Zugpferden, die einst die breite Basis des Buchgeschäftes bildeten. Was aber nach Ansicht mancher Beobachter den betroffenen Autoren mehr weh tut als den Verlagen.

"Tapetentitel" nennt eine Insiderin die vielen Bücher, die unbedingt produziert werden müssen, weil kein Händler dem Vertreter die ganze Latte abnimmt und weil es daher genug Titel geben müsse, bei denen er sagen kann: "Nein, den und den und den nehme ich nicht!" Einen Teil der Programmfüller muss er sich aber doch in den Laden legen, weil er sonst nämlich nicht die bestmöglichen Konditionen für den Bestseller erhält. So oder so: Wie, er habe 50.000 Vorschuss herausgeschunden, staunt ein Wiener Sachbuchautor im Gespräch mit dem anderen, nicht Mark sondern Schilling wohlgemerkt, während man munkelt, ein deutscher Verlag habe auf der Suche nach dem großen Renner einem Neunzehnjährigen so gegen zwei Millionen Mark für die nächsten drei noch gar nicht geschriebenen Romane nachgeworfen. Auch die kolportierten fünf Millionen Mark für die nächsten fünf Werke einer bewährten Verfasserin von Frauenromanen, die aber bereits auf den Bestsellerlisten zurückfällt, sind nicht von schlechten Eltern. Literarische Kapitalisten, literarisches Proletariat ...

Große fressen Kleine

Von der Investition in den erhofften Mega-, Super- oder wenigstens Bestseller erhofft man sich die Gewinne zur Finanzierung der weniger oder nicht erfolgreichen Bücher und der immer schlankeren Apparate. Selbst die kleinsten Verlage mit dem größten literarischen Entdeckerehrgeiz brauchen die für ihre Verhältnisse große Auflage von einigen zehntausend Exemplaren eines oder zweier Titel, um ihr anspruchsvolles Programm zu finanzieren. Typisch für das für die Literatur wichtige Segment, in dem man von der Selbstausbeutung lebt, wäre etwa der Arche-Verlag mit seinen insgesamt sechs Personen in Hamburg und Zürich, die Chefinnen eingeschlossen. "Wir müssen," so Elisabeth Raabe, "pro Halbjahr mindestens 30.000 bis 40.000 Exemplare eines Titels verkaufen, um mit unseren zwei bis drei belletristischen Büchern und ein oder zwei Erinnerungen und Biographien über die Runden zu kommen. Diesen Herbst ist es Peter Stamm mit ,Ungefähre Landschaft'. Dazu kommt der Literaturkalender." Der 1944 in Zürich gegründete, 1982 von Elisabeth Raabe und Regina Vitali gekaufte kleine Verlag ist nach wie vor selbständig und gedenkt es zu bleiben.

Selbständigkeit ist das große Thema in einer Phase der Aufkäufe, die auch auf allerlei andere Namen hören, die durchwegs nach Zusammenarbeit klingen. Zwischen den großen Imperien und den Winzlingen, bei denen Entdeckerfreude und Liebe zur Literatur das Kapital ersetzen, gibt es die wenigen angesehenen literarischen Verlage, die noch immer ihren Gründern oder deren Familien gehören. Sie sehen sich selbst als "mittelgroßen" oder "kleineren" Verlag und bringen einen weit überproportionalen Anteil dessen in die Buchhandlungen, was den Namen Literatur verdient, selbst dann, wenn es sich gut verkauft.

Es ist keineswegs immer Existenznot, was Verleger zum Verkaufen veranlasst. Die Imperien locken mit großen Summen, gerade die Autoren der literarischen Verlage sind so gut wie Kapital. Mancher Verleger erliegt dem Angebot noch leichter, wenn ihm die weitere Leitung des Unternehmens zugesichert wird. "Aber dann bin ich ja ein Angestellter und kein Verleger mehr, und ich bin Verleger durch und durch" meint etwa Egon Ammann vom Züricher Ammann Verlag. "Nein, das Geld lockt mich keineswegs, zumal es ja selten die ganz großen Summen sind, die einem angeboten werden. Aber wenn es abwärts geht, werden so manche verkaufsbereit, so lange sie eine gute Summe lösen können." Wenn Ammann von einem Buch überzeugt ist, schreckt ihn nicht einmal die Aussicht, nur 500 Exemplare abzusetzen. Doch gerade in Zeiten äußerer Bedrohung und Unsicherheit, meint auch er, begeben sich viele Menschen lieber lesend auf die innere Reise und bevorzugen Dinge "mit innerer Wertigkeit".

Eine simple kleine Zahl, die viel verrät: Von den hundert größten deutschen belletristischen Verlagen sind nur noch fünf (!) wirklich unabhängig. Einer dieser Fünf ist der Züricher Diogenes Verlag, der noch immer dem Gründer Daniel Keel gehört. Diogenes, so Keels Mit-Geschäftsführer Winfried Stephan, blickt auf "sehr gute Jahre" zurück und befürchtet auch in Zukunft nichts für seine halbjährlich rund 80 Titel und 30 bis 35 literarischen Hardcovers pro Jahr. Die Palette reicht von Donna Leon über Bernhard Schlink bis John Irving und Paulo Coelho.

Eines der Diogenes-Erfolgsgeheimnisse ist so etwas wie ein Marken-Image: "Wer zum Beispiel ein Buch verschenkt, weiss, dass er aus unserem Verlag jedes Buch nehmen kann, denn jedes ist gut" - jedenfalls auf seine Weise.

Fazit: Sollten schlechte Zeiten tatsächlich gute Zeiten für das Buch bedeuten, können wir nur hoffen, dass uns der Optimismus der Verleger keine allzu schlechten Zeiten verheißt.

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