Schlimmes Erbe des ganzen Landes

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Ein richtiger Schritt: Die katholische Kirche enthüllt ihre "Verstrickung" in die Zwangsarbeiterfrage.

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Ein richtiger Schritt: Die katholische Kirche enthüllt ihre "Verstrickung" in die Zwangsarbeiterfrage.

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Mindestens 77 Personen seien im bischöflichen Gut während des II. Weltkriegs als Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen, verlautbarte die Diözese Gurk-Klagenfurt vorletzte Woche. Bischof Egon Kapellari kündigte Untersuchungen unabhängiger Experten an, Wege zu Entschädigungen würden gesucht.

Wenige Tage später gab der Abt des Stiftes Wilhering bei Linz bekannt, auch in seinem Stift seien Akten gefunden worden, die die Tätigkeit von Zwangsarbeitern auf dem Gebiet des Stiftes belegen.

Fast täglich kam in den letzten Wochen Ähnliches zu Tage: Auch in den Diözesen Graz und Wien wurden Nachforscher fündig, ebenso in Stiften wie Herzogenburg: Österreichs katholische Kirche stand im medialen Sommerloch am Pranger.

Die Enthüllungen haben einerseits mit der Diskussion über das Ausmaß des Zwangsarbeitereinsatzes in Österreich zu tun, die im Zuge der gesetzlichen Regelung der Entschädigungszahlungen im Gange ist. Dazu kommt das Überschwappen der bundesdeutschen Auseinandersetzungen auf Österreich: Dort ist die katholische Kirche ins Kreuzfeuer geraten, weil sie - im Gegensatz zur evangelischen Kirche - nicht in den Fonds zur Zwangsarbeiterentschädigung einzahlen wollte - mit dem Argument, dass sie, die katholische Kirche, ja selbst vom NS-Re-gime verfolgt worden sei. Den Evangelischen warfen katholische Stimmen in Deutschland gar vor, sie wollten sich mit dem Einzahlen in den Fonds von der Verantwortung "freikaufen".

Vor wenigen Tagen stellten aber Sprecher der Bischöfe klar, die katholische Kirche in Deutschland habe zur NS-Zeit "flächendeckend" Zwangsarbeiter eingesetzt. Die Medien Deutschlands überschütteten die katholischen Akteure - vor und nach diesem Eingeständnis - mit Häme und Kritik.

In Österreichs katholischer Kirche schien sich der Fehler der Nachbarn zu wiederholen: Noch Ende Juli erklärte etwa der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann, es gebe "bisher keine Beweise", dass während der NS-Zeit Zwangsarbeiter im kirchlichen Bereich eingesetzt wurden. Doch mittlerweile überschlagen sich Meldungen, die solcher Einschätzung widersprechen - und die Kirche reagierte schnell: Die Orden haben bereits ihre Untersuchungen eingeleitet, in Graz soll Kirchenhistoriker Liebmann, in Wien zusätzlich die Zeitgeschichtlerin Erika Weinzierl "Hand" anlegen, um die Fakten ans Licht zu bringen.

Dass auch im kirchlichen Bereich hier noch (zu) wenig geforscht und aufgearbeitet wurde, ist evident. Ebenso klar bleibt aber, dass gerade in der Kriegszeit Mangel an Arbeitskräften herrschte. Daher wird im kirchlichen Umfeld - von Pfarrpfründen bis zu Spitälern - noch einiges zu finden sein.

Dennoch steht es Österreichs Öffentlichkeit nicht an, hier mit Fingern auf die Kirche zu zeigen: Denn die katholische "Verstrickung" ist Teil der Verstrickung der ganzen Gesellschaft. Außerdem war in Österreich gerade die katholische Kirche den Repressionen des NS-Regimes besonders ausgesetzt - kirchlicher Besitz war beschlagnahmt, enteignet oder unterlag starken Restriktionen.

Beim jetzt ins Gerede gekommenen Stift Wilhering etwa macht der derzeitige Abt Gottfried Hemmelmayr mit Recht geltend, wie schrecklich die NS-Herrschaft für sein Stift war: der damalige Abt überlebte die Gestapo-Haft nicht, eine legitimistische Widerstandsgruppe wurde im Stift aufgedeckt und diente als Vorwand für die Enteignung. Im Stift einquartierte Kriegsgefangene aber auch volksdeutsche Flüchtlinge aus Bessarabien sowie Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Umgebung oder aus Polen waren in den Landwirtschaftsbetrieben eingesetzt. "Es ist schwer zu beurteilen: wo geht es um Zwangsarbeit, wo um ein freiwilliges Arbeitsverhältnis?" schreibt Abt Gottfried.

Allein der "Fall" Wilhering zeigt, wie komplex sich die Lage darstellt, in anderen kirchlichen Bereichen wird das Bild kaum anders sein. Dazu kommt, dass Unterlagen weitgehend fehlen, außerdem ist zu klären, ob die katholische Kirche zu dieser Zeit überhaupt Eigentümerin dieser Betriebe war.

Nach Angaben des Linzer Wirtschaftshistorikers Roman Sandgruber in der "Presse" gab es zur NS-Zeit im heutigen Österreich etwa eine Million (!) ausländischer Arbeitskräfte und Zwangsarbeiter. Sandgruber weist darauf hin, dass besonders in Österreich Zwangsarbeiter rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt waren und vor allem die Frauen Unsägliches litten - durch Wegnahme ihrer Kinder bis zu massenweisen Zwangsabtreibungen. Das Problem, so Sandgruber, liege aber nicht so sehr bei den einzelnen Arbeitgebern, denen die Arbeitskräfte zugewiesen wurden.

"Zwangsarbeiter in Österreich", so ein vorläufiges Resümee, ergibt ein schreckliches Bild - mit vielen Facetten. Gerade weil hier zu wenig aufgearbeitet ist, geht es darum, das furchtbare Erbe so gut es geht bewusst zu machen - und da-raus die Konsequenzen zu ziehen, dazu gehören auch rasche Ergebnisse in Bezug auf die Entschädigungszahlungen.

Das schlimme Erbe ist aber ein gemeinsames und von der gesamten Gesellschaft des Landes zu tragen: Die katholische Kirche ist davon nicht auszunehmen, es gibt jedoch auch keinen Anlass, sie in dieser Frage besonders an den Pranger zu stellen. Trotzdem hat die Kirche hier die Chance, ihre geschichtliche Verantwortung und Solidarität zu beweisen.

Die "Enthüllungen" über Zwangsarbeiter im eigenen Bereich, wie sie die Kirche in den letzten Tagen offensiv betrieben hat, sind ein guter Schritt in diese Richtung.

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