Schlüsselerlebnis Wohnbau

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Vom Guten und Schönen im Grünen.

Aller Vernunft zum Trotz erweist sich das Häuschen im Grünen konstant als beliebteste aller Wohnformen. Verglichen mit dem verdichteten Flach- oder mehrgeschossigen Wohnbau ist dieser Wunsch extrem kostenintensiv. Langfristig kommt es zur Zersiedelung und die hohen Erschließungskosten belasten die Allgemeinheit. Häuslbauerkinder kennen verpfuschte Freizeit am Bau. Schuldenberge, gescheiterte Ehen und andere persönliche Dramen pflastern oft den holprigen Weg zum Traumhaus mit Garten. Trotzdem behauptet es sich auf Platz eins der wohnspezifischen Wunschliste und macht so ein Hauptmerkmal des Wohnbaus deutlich: als Dienstleistung für die Masse ist er sehr veränderungsresistent.

Mitbestimmungsmodelle

Sozialer Wohnbau bildet oft den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen gesetzlichen Rahmenbedingungen, Kostendruck, Architektenvision und voraussichtlicher Vermarktbarkeit. Angedacht wurde viel, verwirklicht weniger. Von Mietermitbestimmungsmodellen und Kostenersparnis im Selbstbau über die "Bandstädte" der Sowjetunion, Le Corbusiers "Wohnmaschinen" mit all ihren weltweit, meist an der Realität gescheiterten Epigonen bis hin zur flexiblen, "wachsenden Wohnung" , die sich durch Raumerweiterung und Teilbarkeit den wechselnden Phasen des Familienlebens anpassen kann: nötiger Platz für mehr Kinder, Distanz für Adoleszente oder disponibler Raum für pflegebedürftige Großeltern. Wohnbau ist ein stark ideologisch besetztes Thema: Vorstellungen, wie Menschen ihr Leben gestalten sollten, spiegeln sich darin ebenso wider wie gesellschaftlich relevante Fakten.

Mitte der neunziger Jahre wurden in Wien an die 10.000 Wohneinheiten pro Jahr gebaut. Die Vergabe der schlüsselfertigen Wohnungen am Leberberg wurde zum Wiener Schlüsselerlebnis: Leerstände im Neubau. Dieses Beispiel führte die Problematik großangelegter Siedlungen "auf der grünen Wiese" deutlich vor Augen. Nicht nur die Qualität der Architektur, auch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr, Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes, Infrastruktur wie Nahversorger, Schulen, Gemeindezentren und Freizeiteinrichtungen sind wesentliche Auswahlkriterien für Wohnungssuchende. Diese städtebaulichen Parameter sind von Bauträgern und Architekten nicht zu beeinflussen, es ist Aufgabe der Stadt, sie bereitzustellen.

Die Gemeinde lernte ihre Lektion: "Auf der grünen Wiese" wird mit Vorsicht gebaut, während Sanierung und Ausbau von Altbauten und das Schließen von Baulücken im Sinne einer Verdichtung der Stadt wieder mehr Priorität gewinnt. Insgesamt wurde das Bauvolumen auf etwa 5.000 Einheiten pro Jahr gedrosselt. Zwischen Politik, Förderung, Bauordnung, Immobilienmarkt und Nutzer spiegelt Wohnbau gesellschaftliche Veränderungen etwas zeitverschoben wider. Wohnungstypen für das Modell "Mann, Frau und ein oder zwei Kinder" haben in einer Zeit der Lebensabschnittspartner, Patchworkfamilien, Alleinerzieher(innen) mit Anhang und Singles in wechselnden Lebenskonstellationen längst an Relevanz verloren. Diese Realität schlägt sich auch allmählich in Grundrissen oder veränderten Wohnungsgrößen nieder.

Das Wochenende der "offenen Tür" zur Feier des neuen Quartier 21 nutzte das Architekturzentrum Wien, um den Wohnbauträgern unter seinen Förderern eine Querschnittspräsentation zu ermöglichen. "Best of Wohnbau" zeigte die zwei besten Projekte von neun Bauträgern mit gehobenem architektonischem Anspruch. Wohnungssuchende sind keine Bittsteller mehr, sondern heiß begehrte Konsumenten, Wohnungen Produkte, die sich am Markt behaupten müssen. Konkurrenz und Kostendruck sind hoch, die Kunden mündig und anspruchsvoll geworden. Auf Niveau, Vielfalt und Preis des Gebauten wirkt sich das positiv aus.

Zwei Projekte des Wiener Architektenduos Delugan-Meissl wurden für die internationale Architekturausstellung der heurigen Biennale in Venedig ausgewählt. Ihr Wohnbau in der Wienerberg-City ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zumietbare Büroboxen auf der Nordseite nehmen Rücksicht auf die gesellschaftliche Realität der neuen Selbstständigen, Kleinunternehmer, Teleworker und Kreativen. Aufwändige Planung schafft mit Raumhöhen von 3,30 Meter für die aktiven Wohnzonen im Süden und 2,30 Meter für stillere Bereiche des Schlafens im Norden eine im sozialen Wohnbau seltene Raumqualität. Die Komplexität im Inneren zeigt sich an einer sehr spannenden, dynamischen Fassade.

Umfragen bei künftigen Nutzern führen zu neuen Qualitäten. So legten 90% der Befragten Wert auf ökologische Bauweise. Der Wunsch nach einem Autoabstellplatz bei 76% erstaunt nicht, der nach Fahrradabstellplätzen bei 92% schon. Für Car-Sharing konnte sich nur knapp ein Viertel erwärmen, über die Hälfte will Kinderspiel- und Gemeinschaftsräume. Bewusste Themensetzung wie diverse Öko-Siedlungen, Modelle wie "integratives Wohnen", "autofreie Stadt" oder die "Frauen-Werk-Statt" gehen auf Bedürfnisse spezifischer Zielgruppen ein.

"Best of Wohnbau"

Wie wichtig die Infrastruktur ist, zeigte sich an der sehr umsichtig vom Architektinnenteam Liselotte Peretti, Gisela Podreka, Elsa Prochazka und Franziska Ullmann geplanten "Frauen-Werk-Statt". Die Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist schlecht, für 359 Wohnungen gab es keinen Nahversorger. Das hat sich erst jetzt durch die Nachbarschaft der aufsehenserregenden "Compact City" (SEG) geändert. Dieses Projekt erhielt 1998 den Otto WagnerStädtebaupreis, geplant wurde es von BUS-Architektur. Neben dem lebensmittelspendenden Merkur-Markt und einigen Geschäften ermöglicht die von Ateliers, Büros und Werkstätten durchzogene Anlage ein ideales Ineinandergreifen von Wohnen und Arbeiten.

Die Schau "Best auf Wohnbau" ging nun auch nach Venedig. Wohninteressierte finden die Bauten auf den Websites der Bauträger. Das neueste Projekt einer Mustersiedlung am Mauerbach in Hütteldorf lässt sich im Architekturzentrum begutachten. Die aktuelle Schau " 9=12 Neues Wohnen in Wien" präsentiert eine urbane Siedlungsform für die Peripherie.

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