Schluss mit persönlichen Verdächtigungen!

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Der VfGH befindet sich in einer ambivalenten Lage: Einerseits müssen wir ihn gegen die unqualifizierten Angriffe verteidigen. Andererseits besteht ein gewisser Änderungsbedarf.

Warum soll man den VfGH verteidigen? Recht und Gesetz bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Anerkennung durch die Rechtsunterworfenen. Die Voraussetzungen der Rechtswirksamkeit sind aber nicht im Recht selbst, sondern außerhalb zu finden. Gesetze und Urteile, die nicht anerkannt werden, verlieren nicht nur ihre Effektivität, sondern auch ihre Geltung. Mit der Verfassung und ihren Einrichtungen müssen wir also sorgsam umgehen, sonst verlieren wir sie. Selbst wenn es so wäre, dass ein bestimmtes Erkenntnis des VfGH bewusst parteiisch und offensichtlich (juristisch) falsch wäre, müsste ihm - besonders von anderen staatlichen Organen - gefolgt werden. Denn wer sollte hier Richter sein? Und wer wollte sich derart über die Verfassung stellen?

Mit dem unbedingten Erfordernis der Anerkennung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen ist nicht gesagt, dass die Diskussion über den VfGH oder seine Entscheidungen beendet sein sollte. Demokratie lebt davon, dass unentwegt und unbeschränkt über eine Verbesserung staatlicher Institutionen diskutiert wird. Die notwendige Kritik an der Justiz und an einzelnen ihrer Entscheidungen entspricht guter demokratischer Tradition - wir sollten nicht auf sie verzichten, nur weil in der aktuellen Situation überaus bedenkliche Stimmen laut geworden sind.

Woran sollte sich eine derartige Diskussion über den VfGH orientieren? Bis auf weiteres (und in Zukunft wohl immer öfter) werden an den VfGH genuin politische Fragestellungen herangetragen werden. Das hat damit zu tun, dass Politik konflikthafter geworden ist und die Akteure immer öfter versuchen, den VfGH als "verbündeten" Spieler zu instrumentalisieren. Die Entscheidungen selbst werden aber auch immer öfter in einem politisch aufgeladenen Kontext landen. Dies hat zur Folge, dass die schon bisher erfolgte politische Einflussnahme bei der Besetzung des VfGH nicht abnehmen wird. Darin liegt an sich kein Mangel: Die Entscheidungen des VfGH sind seit jeher von politischer Relevanz. Geändert hat sich allenfalls die Bedeutung mancher VfGH-Entscheidungen im politischen Feld.

Bemühungen, die Besetzung des VfGH zu "entpolitisieren", sind also nicht realistisch. Wesentlicher scheint es mir, auch in Österreich für eine gesteigerte Transparenz bei der Bestellung der VfGH-Richter zu sorgen und einen schnelleren Wechsel im VfGH zu ermöglichen. Die politischen Parteien sollten nicht länger verschweigen, aus welchen Motiven sie eine bestimmte Person als Richter am VfGH sehen wollen. Die notwendige Anbindung des VfGH ans politische System (die nicht verzichtbar ist, wenn die Effektivität seiner Entscheidungen gesichert werden soll) ließe sich durch eine Verkürzung der Amtszeit der Richterinnen und Richter auf etwa 12 Jahre verstärken.

Besondere Bedeutung aber kommt der Öffentlichkeit des Verfahrens und der Entscheidungsfindung zu. Es ist ein anachronistisches Element österreichischer Verfassungsgerichtsbarkeit, dass es keine Möglichkeit gibt, Sondervoten zu veröffentlichen. Die sachlichen Vorteile sind derart unübersehbar, dass sie heute von kaum jemandem geleugnet werden. Die Mehrheit des Gerichts wird durch das potenziell mögliche Sondervotum gezwungen, die besten Argumente für ihre Entscheidung aufzubieten; und politisch wird den Streitparteien durch das Sondervotum die Breite der für die Entscheidung maßgeblichen Argumente vor Augen geführt (in einigen Fällen macht es sich der VfGH mit seinen Begründungen allzu leicht). Die entstehende Mehrarbeit für die Richter sollte durch eine überfällige Ressourcenerhöhung wett gemacht werden.

Der VfGH ist politisches und juristisches Organ. Dieser Zwitterstellung entkommt er nicht. Eine Überwindung der derzeit durchaus kritischen Lage kann nur erfolgen, wenn sich die Diskussion von persönlichen Verdächtigungen verabschiedet und das Problem nach Maßgabe prinzipieller Überlegungen löst. Dann kann der VfGH wieder im ruhigen Fahrwasser politischer Normalität seine Aufgaben erfüllen - und wir werden uns wieder der inhaltlichen Kritik seiner Entscheidungen zuwenden können, ohne Verdacht zu laufen, ihn dadurch als Institution in Frage zu stellen.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Wien und Universitätsdozent für Öffentliches Recht und Rechtslehre.

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