Schnauzer-Revolutionär kämpft wieder

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2009 jähren sich zum 20. Mal Berliner Mauerfall und Zusammenbruch des Ostblocks. Erstmals ins Wanken gekommen ist der Kommunismus aber nicht erst 1989. Zehn Jahre zuvor ist der polnische Papst in die Heimat gereist, und auf einen Danziger Elektriker und Millionen Polen ist der Funke der Freiheit übergesprungen - um den heute wieder gestritten wird.

"Ich bin der letzte Revolutionär!", behauptet Lech Walesa von sich selbst. Das reizt zum Widerspruch, das werden erst die Zeitläufte zeigen. Eindeutig bewiesen ist hingegen, dass Walesa ein Kämpfer ist und sich nie geschlagen gibt. Und jetzt hat er es wieder geschafft: Lech Walesa ist zurück. Nach seiner zweiten Niederlage bei der polnischen Präsidentschaftswahl 2000 war er einer der unbeliebtesten Politiker des Landes, seine Beliebtheitswerte dümpelten bei fünf Prozent. In den letzten Jahren hat der frühere polnische Gewerkschaftsführer, Friedensnobelpreisträger und erste demokratisch gewählte Präsident Polens nach 1989 jedoch die Gunst seiner Landsleute zurückerobert. Laut aktuellen Umfragen sprechen ihm 52 Prozent der Polen ihr Vertrauen aus. Damit ist der 65-Jährige der zweitbeliebteste Politiker Polens. Einen besseren Wert erringt mit 57 Prozent nur der liberale Ministerpräsident Donald Tusk.

Und Tusk und Walesa ziehen am gleichen Strang: Der Premier nannte den Ex-Präsidenten am 25. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Walesa eine "Legende" der polnischen Geschichte. Und der Chef der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, stimmte bei der Festveranstaltung Anfang Dezember in Danzig in den Walesa-Jubelchor ein und sagte, der ehemalige Gewerkschaftsführer habe Europa und die Welt geändert.

Walesa auf dem Schlachtfeld der Geschichte

Das ist Geschichte, aber in Polen prägt diese wie kaum sonst wo die politische Gegenwart. Und Walesa und Tusk geht es um die Gegenwart, wenn sie von der Geschichte reden. So wie ihrem Gegenspieler Lech Kaczynski. Nachdem dessen Zwillingsbruder Jaroslaw das Premiersamt an Tusk verloren hat, ist Präsident Kaczynski die letzte Bastion, die es für das liberale, EU-freundliche und normal-katholische Polen zu überwinden gilt. Die nächsten Präsidentenwahlen sind zwar erst im Herbst 2010, doch der Wahlkampf ist bereits ausgebrochen. Und Walesa hat sich als möglicher Kandidat in Stellung gebracht: Er sei bereit, sich "im Notfall" erneut um das Präsidentenamt zu bewerben. Als "Patriot im alten Stil" müsse er der Nation zur Verfügung stehen. Die Arena kennt Walesa wie seine Westentasche: Es ist das Schlachtfeld der Geschichte.

So wie Kaczynski den Nobelpreis-Feierlichkeiten für Walesa im Dezember fernblieb, hatte Walesa schon im vergangenen Sommer die Feierlichkeiten zum 28. Jahrestag der Unterzeichnung der "August-Vereinbarungen" in Danzig boykottiert. Walesa schlug die Einladung zum Gedenken an die Gründung der ersten freien Gewerkschaft Solidarno´s´c" im Ostblock aus: "Wie kann man sich versöhnen?", fragte Walesa, Kaczynski versucht den Sieg zu stehlen. Ich warte nur noch darauf, wann er sich einen Schnurrbart wachsen lässt."

Walesa und Kaczynski waren Solidarno´s´c-Mitstreiter, die Anfang der 1980er Jahren gegen die Politik des kommunistischen Regimes aufbegehrten. Als Walesa 1990 Präsident wurde, arbeitete Kaczynski für kurze Zeit als Mitarbeiter in seiner Kanzlei. Dann gingen ihre politischen Wege auseinander. Der aktuelle Präsident kritisierte Walesas Versöhnungspolitik gegenüber den Funktionären des alten Regimes und unterstützte Beschuldigungen, dass der Ex-Solidarno´s´c-Chef mit dem kommunistischen Geheimdienst SB zusammengearbeitet hatte.

Die Vergangenheit Walesas und seine Kontakte zum SB werden seit einigen Monaten in Polen heiß diskutiert. Das von den Kaczynskis kontrollierte Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) veröffentlichte im Sommer ein Buch, das Walesas angebliche Tätigkeit als Geheimdienst-Mitarbeiter Anfang der 1970er Jahre sowie seine späteren Versuche, die belastenden Dokumente zu vernichten, belegen sollte. In dem Buch steht, Walesa habe unter dem Pseudonym "Bolek" Informationen über Regimegegner in der Danziger Werft weitergegeben.

Kurz vor Erscheinen des Buches wiederholte auch Präsident Kaczynski seine Vorwürfe gegen Walesa. Die kommunistischen Machthaber hätten Dokumente gehabt, die Walesa Geheimdienst-Tätigkeit belegten und ihn in den Augen der damaligen Oppositionellen diskreditiert hätten, so Kaczynski. Der Präsident erklärte auch, dass ihm Walesa seit der ersten Begegnung unsympathisch gewesen sei und: "Ich habe den Walesa-Kult nie unterstützt."

Walesa erklärte, diese Unterlagen seien in den 80er Jahren gefälscht worden, um ihn zu diskreditieren und die Verleihung des Friedensnobelpreises 1983 an ihn zu verhindern. "Ich bin niemals ein Agent gewesen", beteuert Walesa. In früheren Publikationen hatte er allerdings zugegeben, dass er nach seiner ersten Verhaftung im Dezember 1970 eine "Loyalitätserklärung" unterschrieben habe, um aus dem Gefängnis herauszukommen. Er habe sich aber niemals "kaufen, brechen oder einschüchtern" lassen.

Gewerkschafter Walesa gegen Gewerkschaft

Dieser Tage bekam Walesa Unterstützung vom ehemaligen polnische Innenminister General Czeslaw Kiszczak. Dieser entschuldigte sich, dass vom Geheimdienst im kommunistischen Polen abgehörte Personen in den zugehörigen Akten als Informanten bzw. Agenten geführt wurden. Vielen Personen sei nach der unkritischen Veröffentlichung des operativen Materials des SB Schaden zugefügt worden, erklärte Kiszczak. Diese Erklärung wirft ein neues Licht auf die Vergangenheitsaufarbeitung in Polen, da die Unterlagen des SB nun an Glaubwürdigkeit verlieren. Schon früher hat der ehemalige Geheimdienstagent Edward Graczyk kategorisch verneint, "dass ich die Person war, die um Lech Walesa geworben hat". Nach seinem Wissen habe auch kein anderer Mitarbeiter der kommunistischen Geheimdienste von Walesa eine Bewilligung für die Zusammenarbeit bekommen. Graczyk sagt, dass Walesa weder Berichte lieferte noch belohnt wurde.

Mit diesem Rückenwind sollte es Walesa gelingen, seine Beliebtheitswerte noch weiter zu steigern. Noch dazu, wo die meisten Polen genug haben, von der zwanghafte Züge annehmenden Vergangenheitsaufarbeitung unter Kaczynski-Ägide.

Um sich modern, liberal und als politisches Nicht-Fossil zu präsentieren, scheut Ur-Gewerkschafter Walesa keinen Konflikt mit heutigen Gewerkschaftern. Im Streit um die von Premier Tusk gegen das Präsidenten-Veto durchgesetzte Reform des Pensionssystems kritisiert Walesa die Gewerkschaften: "Es gibt Demokratie. Man soll gute Regierungen wählen und sie dann regieren lassen, statt ununterbrochen Nein zu sagen." Die Regierung dürfe sich nicht von den Gewerkschaften auf der Nase herumtanzen lassen, meint Walesa heute. Früher hat er das mit Erfolg jahrelang selbst praktiziert.

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