Schnitzel mit Kartoffelsalat

Unlängst in Verona: Es war noch warm, wir saßen am Rand der Piazza delle Erbe im Freien. Eine österreichische Reisegruppe hatte am Nebentisch Platz genommen. Als der Cameriere die Bestellung aufnehmen wollte, empörten sich die Österreicher, dass sie keine Speisekarte auf Deutsch bekommen hatten. Der Cameriere antwortete höflich, aber auf Italienisch; als er "Schnitzel" verstand, bot er costoletta alla milanese an, musste sich aber anhören: Nix milanese, sondern Wiener Schnitzel, mit Kartoffelsalat! Schließlich einigte man sich auf scaloppina. Als es aufgetragen wurde, war die Enttäuschung groß, denn dieses Schnitzel war (natürlich!) nicht paniert. Und Kartoffelsalat gab es auch nicht.

Soviel zum Thema Leitkultur. Wir im Inland haben es leichter, denn wir lösen alles am Runden Tisch. Eine Werte-Diskussion ist angesagt. Es ist vorauszusehen, dass man sich einigen wird. Wer würde es wagen, die Verfassung anzugreifen oder die Menschenrechte zu ignorieren? Man verständigt sich sozusagen auf die Speisekarte und vereinbart das Menu. Was aber werden die Köche daraus machen?

Die schönsten Speisekarten sind Kochbücher. Ich habe ein italienisches, und die Fotos von den fertigen Speisen lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Welche wunderbaren Bilder einer heilen Welt steigen in einem auf, wenn von Demokratie, Toleranz, Integration, Gerechtigkeit und Chancengleichheit die Rede ist. Damit lassen sich staatstragende Ansprachen formulieren und Parteiprogramme ausstaffieren. Werte sind es gewiss wert, dass man sie beim Namen nennt, aber an ihnen mangelt es nicht. Die Rezepte sind hervorragend, nur - wer kocht danach? Wenn unsere Wertediskutanten vom Runden Tisch aufstehen und nach Hause in ihr Amt oder ihre Partei gehen, bestellen sie doch wieder Schnitzel mit Kartoffelsalat.

Der Autor ist freier Journalist.