Schnörkel sind wieder salonfähig

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„Die Macht des Ornaments“ ist der Titel einer aktuellen Schau in der Orangerie des Wiener Belvederes. Im Zentrum der Ausstellung stehen Arbeiten von österreichischen wie internationalen Gegenwartskünstlern, in denen das Ornament eine bedeutende Rolle spielt.

Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit.“ Scharf und unerbittlich polemisierte der Architekt Adolf Loos 1908 in seiner legendären Streitschrift „Ornament und Verbrechen“ gegen schmückendes Dekor jeglicher Art. Sein Essay sorgte ebenso für heftige Diskussionen wie sein erster, 1910 fertiggestellter Hausbau am Wiener Michaelerplatz, der aufgrund der ornamentlosen Fassade als „Haus ohne Augenbrauen“ in die Geschichte einging. Loos setzte sich mit seinem Diktat gegen das Ornament von der bekanntlich üppigen Wiener Barocktradition und der historistischen Verzierungswut ab, auch von der blumig-ornamentalen Kunst des Wiener Jugendstils.

Damit warf er eine jahrtausendealte Praxis über Bord, denn sich wiederholende Muster finden sich in unterschiedlichen Kulturen und Epochen auf Bauwerken, Buchseiten oder Alltagsgegenständen. Das Ornament – vom lateinischen Wort „ornare“ (schmücken, verzieren) abgeleitet – scheint einem Grundbedürfnis des Menschen nach Ordnung, Rhythmus oder Gleichförmigkeit zu entsprechen. Allerdings hatte die Geschichte des Ornaments gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine gehörige Wandlung erfahren. Nahm es seit der Antike als Schmuck von Architektur und Möbeln eine dienende Rolle ein, so emanzipierte es sich nun und gelangte vor allem in der bildenden Kunst zu einer unvergleichlichen Beliebtheit. Inspiriert wurde dieser Ornament-Boom durch das Interesse für außereuropäische Kulturen. Denn in der orientalischen Kultur etwa hatte das Ornament – aufgrund des Bilderverbots – ohnehin stets eine zentrale Rolle eingenommen.

Dürrestrecke puristischer Moderne

Hundert Jahre nach der Loos-Debatte und den Dürrestrecken in der puristischen Moderne, in der alles Verspielte und Verschnörkelte tabu war, ist das Ornament längst wieder salonfähig geworden. Dies zeigt eine Schau in der Orangerie des Wiener Belvedere unter dem Titel „Die Macht des Ornaments“. Der Ort ist treffend gewählt – denn wo anders als im Umfeld des reichlich verzierten Barockschlosses, bekannt als Heimstätte der Gustav-Klimt-Gemälde, sollte eine solche Ausstellung stattfinden?

Die von der Kunstkritikerin und Kuratorin Sabine B. Vogel ausgerichtete Präsentation setzt dabei auf kulturelle Grenzüberschreitungen und historische Bezüge. So finden sich in dem Rundgang neben zeitgenössischen Werken auch Klassiker wie Gustav Klimts „Wasserschlangen“ oder Stoffentwürfe von Josef Hoffmann. Im Zentrum stehen aber Arbeiten von österreichischen wie internationalen Gegenwartskünstlern, in denen das Ornament in unterschiedlichsten Formensprachen eine bedeutende Rolle spielt.

Dass ornamentale Kunst heute keineswegs bloß dekorativ, verspielt und inhaltsleer ist, wird schnell deutlich. Denn Ornament und politisch-weltanschauliche Aussagen schließen einander nicht aus, wie eindrucksvoll an der „Red-Carpet-Serie“ des pakistanischen Künstlers Rashid Rana zu sehen ist. Auf den ersten Blick wirken seine Werke wie traditionelle Teppiche mit ästhetisch ansprechenden Farbmustern. Erst bei näherer Betrachtung erkennt man, dass sich seine Arbeiten aus unzähligen Einzelfotos von blutigen Tierschlachtungen zusammensetzen, die Rana in seiner Heimatstadt Lahore aufnahm. Rana thematisiert hier den jüdischen und islamischen Brauch, Tiere komplett ausbluten zu lassen. Nicht minder gesellschaftskritisch sind die Grafiken der in Wien lebenden Künstlerin Adriana Czernin. Ihre großformatigen Buntstiftzeichnungen zeigen Frauengestalten, die von ornamentalen Mustern überzogen sind und dadurch wie in einem Spinnennetz gefangen erscheinen. Werke, die als kritischer Beitrag zur männlichen Sichtweise der Jugendstiltradition gelesen werden können, in der das Dekorative als das spezifisch Weibliche und somit als Element der Verführung gedeutet wurde.

Keine systematische Abschaffung

Um das Verhältnis von Weiblichkeit und Ornament geht es auch in den Arbeiten der österreichischen Künstlerin Maria Hahnenkamp. In ihren Werken bezieht sie sich auf traditionelle Musterbögen für Kirchenschmuck. Diese tradierten Vorlagen stickt sie auf Frauendarstellungen von Modezeitschriften, oder sie bohrt ornamentale Formen und Linien in die Oberfläche wie im Belvedere, wo sie eine ganze Wand mit ihren Lochmustern übersät hat. Eine Gestaltung, die in ihrer Schlichtheit und farblichen Reduktion – Weiß in Weiß – möglicherweise sogar Loos wieder für das Ornament begeistert hätte. Denn dieser war später ohnehin wieder am Weg der Bekehrung, wie er in „Ornament und Erziehung“ 1924 schrieb: „Vor 26 Jahren habe ich behauptet, dass mit der Entwicklung der Menschheit das Ornament am Gebrauchsgegenstand verschwinde … Ich habe aber damals niemals gemeint, was die Puristen ad absurdum getrieben haben, dass das Ornament systematisch und konsequent abzuschaffen sei.“

Die Macht des Ornaments

Belvedere, Orangerie

Rennweg 6a, 1030 Wien

bis 17. Mai, täglich 10–18 Uhr, Mi 10–21 Uhr

Katalog hg. von Agnes Husslein-Arco und Sabine B. Vogel Belvedere, Wien 2009, 144 S., e 21,–

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