Schön, reich und aggressiv

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"La traviata", die Sternstunde der Salzburger Festspiele, in einer sehr heutigen Inszenierung. Die Fernseh-Live-Übertragung, gesehen

Das ganze Land schien in den letzten Wochen einer schönen Russin und einem charmanten Mexikaner zu Füßen zu liegen. Der Auftritt von Anna Netrebko und Rolando Villazón in Giuseppe Verdis "La traviata" bei den Salzburger Festspielen wurde im Vorfeld zum Opernereignis des Jahres stilisiert, der Medienhype um die beiden als neues Traumpaar der Oper gehandelten Sänger erreichte Dimensionen, die heute selbst im vergleichsweise opernbegeisterten Österreich kaum noch zu überbieten sind. Tagelang rührte der orf die Werbetrommel für die Live-Übertragung der Premiere letzten Sonntag, sogar Alex Krause begrüßte zehn Minuten vor Übertragungsbeginn die Seher von "Moneymaker" im schwarzen Smoking.

Und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Diese "Traviata" ist tatsächlich der unbestreitbare Höhepunkt der diesjährigen Salzburger Festspiele, in dessen Genuss auch rund 700.000 Menschen kamen, die Violettas Liebe, Verzicht und Tod am tv-Schirm verfolgten.

Anna Netrebko ist nicht ohne Grund ein Superstar: Sie hat eine herrliche Stimme, sieht phantastisch aus, kann wunderbar spielen und verfügt über eine intensive erotische Ausstrahlung. Während sie, was gerne vergessen wird, bei ihrem Salzburg-Debüt in "Don Giovanni" vor drei Jahren von Magdalena KozÇená überstrahlt wurde, hinterlässt sie diesmal einen wahrlich bleibenden Eindruck. Anders als vor drei Jahren und auch anders als auf ihrer jüngsten cd "Sempre Libera" erklingt ihr Sopran im Großen Festspielhaus unverwechselbar und charaktervoll, kommt zu ihrer makellosen Technik auch noch geballte Ausdruckskraft.

Traumpaar der Oper

Dem steht Rolando Villazón als Alfredo in Nichts nach. Auch er ein grandioser Sänger und Darsteller, der nicht nur - wie im Vorfeld - als Clown brilliert, sondern auch als unglücklich Liebender. Ein Tenor mit beinahe heldischem Impetus, technischer Raffinesse und viel Schmelz. Im Netrebko-Villazón-Rummel ging der Sänger der dritten großen Partie regelrecht unter, immerhin niemand geringerer als Thomas Hampson, der sich aber mit seinem perfekten, runden Bariton als Vater Germont eindrucksvoll in Erinnerung ruft.

Es ist eine sehr heutige, latent aggressive Welt der Schönen und Reichen, in der Regisseur Willy Decker "La traviata" ansiedelt. Er konzentriert die Aufführung auf die drei Hauptfiguren, keine Pariser Pracht und keine opulenten Kostüme verstellen den Blick auf die von Anfang an sicht- und hörbare Verzweiflung Violettas und Alfredos, der sie nur kurz entfliehen. Die Bühne (Wolfgang Gussmann) ist ein kahles, weißes Rund, in das nur die Liebe kurzzeitig leuchtende Farben zu bringen vermag. Champagnerlaune kommt hier in keinem Moment auf, selbst die ursprünglich folkloristischen Tanzeinlagen auf dem Maskenball werden zu unheilvollen Vexierspielen, die nicht nur brutale gesellschaftliche Mechanismen widerspiegeln, sondern auch die Handlung vorantreiben. Eine geheimnisvolle Figur (Luigi Roni), entwickelt aus der kleinen Partie des Doktor Grenvil, begleitet Violetta vom Anfang bis zum Ende - vielleicht der Tod, vielleicht auch eine Art (Über-)Vaterfigur. Für die Vergänglichkeit steht auch die riesige Uhr, die den trostlosen Zirkus beherrscht: Jugend und Schönheit verrinnen unweigerlich, und mit ihnen der Rang in einer vom Jugendwahn beherrschten Gesellschaft.

Mühen der Bildregie

Mit der riesigen Bühne des großen Festpielhauses hatte die gewohnt gediegene Bildregie des orf einige Mühe, des öfteren musste zur Froschperspektive Zuflucht genommen werden.

Und wenn man noch unbedingt etwas bemäkeln möchte, so ist das wohl der Dirigent. Carlo Rizzi, der den im Februar verstorbenen Marcello Viotti ersetzt, ist ein Routinier, der es versteht, mit Tempowechseln und Pausen eine gewisse Spannung zu erzeugen, dem aber das künstlerische Genie abgeht, das bei den drei Sängern aufblitzt. Zum Glück spielen die Wiener Philharmoniker auf, deren schöner, kompakter Klang das biedere Dirigat mitunter vergessen macht. Trotzdem: eine Sternstunde.

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