Schöpfer eines eigenen musikalischen Kontinents

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Zum 100. Geburtstag von Ernst Krenek, der mit seiner Erfolgsoper "Jonny spielt auf" zum Feindbild der Nazis wurde.

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Zum 100. Geburtstag von Ernst Krenek, der mit seiner Erfolgsoper "Jonny spielt auf" zum Feindbild der Nazis wurde.

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Das Schicksal hat ihm grausam mitgespielt: Seit 1933 war er von den Nationalsozialisten als "Kulturbolschewist" gebrandmarkt und 1938 als Unperson aus Europa in die USA vertrieben worden; wäre er nicht geflohen, hätte man ihn wohl in ein KZ gesteckt; er war von seinen Eltern abgeschnitten, lebte in den USA zuerst verarmt, obwohl er in Österreich ein beträchtliches Vermögen zurückgelassen hatte: Ernst Krenek, am 23. August vor 100 Jahren inWien geboren, war als einer der überzeugtesten und repräsentativsten Exponenten der Zwölftonmusik ein besonderes NS-Feindbild.

Die Attacken gegen Krenek waren umso schärfer, als er bereits seit den zwanziger Jahren in der vordersten Reihe kompromissloser Avantgarde stand. Zum Höhepunkt der Kampagne gegen ihn wurde aber seine Ächtung in der Ausstellung "Entartete Musik": Ein grellrotes Plakat, das in jeder Ecke ein Hakenkreuz trug und die Karikatur eines schwarzen Saxophonisten zeigte, mobilisierte gegen Kreneks erfolgreiche Oper "Jonny spielt auf", die 1927 in Leipzig uraufgeführt, in den folgenden Jahren an der Wiener Staatsoper Riesenerfolg hatte. Gegen "Jonny", das "jüdisch-negerische Machwerk", protestierten und randalierten von den Parteilokalen gelenkte Gruppen. Gleichzeitig wurde aber in vorauseilendem Gehorsam auch seine Zwölfton-Oper "Karl V.", ein von der Staatsoper bereits zur Uraufführung angenommenes Auftragswerk, abgesetzt, um erst 1984 in der Direktionszeit Egon Seefehlners hier herauszukommen.

Ernst Krenek, der bereits mit 16 Schüler Franz Schrekers an der Wiener Musikakademie war, löste sich sehr bald von der Fin-de-siecle-Mentalität des Lehrers, und wurde, knapp 20, durch sein erstes Streichquartett, die ersten beiden Sinfonien und von "rasanter Aktivität" erfüllte Jugendwerke zu einem der meistdiskutierten Vertreter des musikalischen Expressionismus und einer freien "linearen Atonalität" der zwanziger Jahre.

In Berlin begegnet er Persönlichkeiten wie Ferruccio Busoni, Hermann Scherchen, Eduard Steuermann, in der Schweiz Rainer Maria Rilke und Werner Reinhart, in Deutschland Adorno, in Frankreich Igor Strawinsky und Mitgliedern der Gruppe der "Six", deren Neoklassizismus ihn fasziniert. Er wird Assistent an der Staatsoper Kassel, dann in Wiesbaden. Er intensiviert seine litarische Tätigkeit zum Thema Musikästhetik (für die Musikzeitschriften "Anbruch" und "Dreiundzwanzig", letztere mit Alban Berg, Rudolph Ploderer und Willi Reich, für die "Frankfurter Zeitung" und andere). Eine Zeit des Aufbruchs, in der die Oper "Das Leben des Orest" (1929), die Satire "Kehraus um St. Stephan" (1930) und "Karl V." (1933) entstehen. Und innerhalb weniger Jahre heiratet er Anna Mahler, dann die Schauspielern Berta Haas, 1950 die Komponistin Gladys Nordenstrom.

Die Details seines bewegten Lebens sind in seiner berühmten, zwischen 1942 und 1952 geschriebenen, 1.100 Seiten starken Autobiographie "Im Atem der Zeit - Erinnerung an die Moderne" nachzulesen, die 1998 herauskam. So penibel Krenek mit seinen Erinnerungen auch umgegangen ist, hat er doch die Jahre bis zu seinem Tod im Dezember 1991 in Palm Springs nicht aufgearbeitet, obwohl seine Frau Gladys, Freunde, Musikwissenschafter ihn dazu immer wieder animieren wollten.

In Amerika angekommen, beginnt seine wissenschaftliche Phase: Selbstverständlich entstehen hier wichtige Werke wie die "Lamentatio Jeremiae Prophetae", die Oper "Pallas Athene weint" oder "Sestina" ... Aber mehr und mehr reflektiert er in Gastvorlesungen theoretische Probleme; er wird Professor, steht im Zentrum von Krenek-Festivals; ab 1969 holt man ihn auch zum "steirischen herbst"; Krenek-Archive werden gegründet (so auch in der Wiener Stadtbibliothek). Und er findet den Weg zurück nach Österreich - als Ehrenbürger der Stadt Wien, nach dem auch ein Komponistenwettbewerb benannt wird, und dem Ausstellungen gewidmet werden.

Bei vielen Komponisten ist die Periode des Spätwerks eine Phase des Aufarbeitens, Bilanzierens, des Blicks in den Rückspiegel. Nicht so bei Krenek. Er bleibt auch im Alter ein Verwandlungskünstler, ein Vorwärtsschauender, der immer wieder feststellt, dass bestimmte Grundsätze, die er in seinem Werk bis dahin verfolgt hatte, plötzlich unhaltbar geworden waren. Zu solchen Orientierungs-Umschwüngen war es nach seinen Besuchen in der Schweiz und in Frankreich gekommen, so kann man es nach der radikalen Zuwendung zur Zwölftonlehre Schönbergs und dem gründlichen Studium der Werke der Wiener Schule im Zusammenhang mit "Karl V." feststellen.

Und auch in den Jahren der Reife sucht er nach neuen Wegen. Denn er war nie ein Macher, der Jünger um sich scharte, um seine Ideen zu propagieren. Er sah sich als singuläre Persönlichkeit, die - so Michael Ingham von der Krenek-Society - "gelassen komponierend und schreibend, einen wahrhaften Kontinent musikalischer und schriftstellerischer Werke schuf, von denen jedes zeitgleich seine jeweilige Zeit und etwas Allgemeingültiges, das über dieser Zeit steht, anspricht".

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