Julya Rabinowich: "Schreibe über das, was mich berührt"

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Mit dem Schreiben begann auch ihre Auseinandersetzung mit Politik: die Schriftstellerin Julya Rabinowich im FURCHE-Gespräch.

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Mit dem Schreiben begann auch ihre Auseinandersetzung mit Politik: die Schriftstellerin Julya Rabinowich im FURCHE-Gespräch.

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Für ihren Debütroman "Spaltkopf" erhielt sie 2009 den Rauriser Literaturpreis. Seither ist Julya Rabinowich, die als Kind nach Österreich "umgetopft" wurde, aus der heimischen Literaturszene nicht mehr wegzudenken. Nach zahlreichen Romanen und Theaterstücken veröffentlichte sie jüngst ihr erstes Jugendbuch.

DIE FURCHE: In der Öffentlichkeit werden Sie als politischer Mensch wahrgenommen, Sie äußern sich in Kolumnen und Beiträgen, Sie organisieren Benefizveranstaltungen. Hunderttausende von Frauen (und nicht nur Frauen) waren am vergangenen Wochenende beim sogenannten Women's March in den USA unterwegs, um für Gleichberechtigung und gegen Mauern zu demonstrieren - was sagen Sie dazu?

Julya Rabinowich: Diese friedlichen, beeindruckenden Kundgebungen sind ein mutiges, ein starkes Zeichen der Bürgerinnen und Bürger, etwas, das hoffen lässt. Wie frech Trumps Pressesprecher gleichzeitig über die Menge der Teilnehmenden bei der Angelobung öffentlich die Unwahrheit sagte, zeigt allerdings, in welcher Gefahr die Demokratie sich befindet. Ein fragwürdig ins Amt gehievter Unfähiger mit Sexualkomplex und der Impulskontrolle eines dreijährigen Kindes an den Atomwaffen ist auch etwas besorgniserregend ...

DIE FURCHE: Waren Sie immer schon so politisch?

Rabinowich: Nein, ich war lange Zeit absolut apolitisch "wie a Guglhupf", um Franzobel zu zitieren. Wann hat das begonnen? Unter der schwarz-blauen Regierung war ich noch äußerst privat. Die Politik kam mir näher, je bekannter ich wurde. Der Beginn des Schreibens war auch ein Beginn, mich mit Politik auseinanderzusetzen. Ich wurde zur politischen Lage befragt, wollte mich dann auch damit beschäftigen. Und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr interessierte es mich.

DIE FURCHE: Aber Sie hatten sich ja auch für Flüchtlinge engagiert, als Dolmetscherin in Therapiesitzungen ...

Rabinowich: Ja, ganz apolitisch stimmt nicht, weil ich in meiner Arbeit mit den Flüchtlingen natürlich schon politisch war. Das habe ich damals aber nicht als politisch empfunden, denn es war keine bewusste politische Entscheidung, sondern eine Bauchund Herzensentscheidung. Das war, bevor ich noch mein erstes Buch "Spaltkopf" fertiggestellt hatte. Da begann ich bei der Diakonie und bei Hemayat zu dolmetschen, einer privaten Organisation, die auf Spenden angewiesen ist. In diesem Zentrum für Folteropfer und Kriegsüberlebende fanden wir uns täglich vor Abgründen. Dass wir nicht allen helfen konnten, war für mich die schlimmste Erfahrung. Dass wir trotz versammelter Energie in einigen Fällen nichts abwenden konnten. Da hat mir sicher auch die professionelle Distanz gefehlt, die ein Therapeut oder Arzt haben muss. Das ist mir erst nach zwei Jahren bewusst geworden. Ich bin viel zu nahe am Geschehen gewesen und das tat mir nicht gut, aber auch den Patienten nicht. Auch das war ein Lernprozess. Und parallel dazu habe ich mich in die Politik entfernt, so könnte man das sagen.

DIE FURCHE: Kann denn Literatur für Schreibende eine Möglichkeit sein, das Erlebte und Gehörte zu bearbeiten?

Rabinowich: Das kann ich so nicht sagen, denn es ging mir beim Schreiben sehr schlecht. Im Sinn einer Bewältigung hat das nichts gebracht. Aber es gab mir die Möglichkeit, mich fokussiert in meinem eigenen Tempo mit den Themen auseinanderzusetzen, die mir wichtig waren. Und gleichzeitig hat diese Arbeit mich mit "Stoff" versorgt. Mir war klar, dass ich das mitteilen will und muss, aber anders als mit einem Protokoll, einer Sendung oder einer Kolumne. Ich habe noch einige Kurzgeschichten aus der Zeit, die ich nicht veröffentlicht habe, die waren mir zu privat, zu fragil. Der Roman "Die Erdfresserin" zum Beispiel ist das Ergebnis einer Verfremdung. Auslöser für diesen Roman war eine Patientin, die sich prostituiert hat, um ihre Familie zu ernähren, ein Schicksal, das weit verbreitet ist. Sie aß Erde - und mir kam das Erde-Essen so symbolhaft vor: sich einerseits verwurzeln zu wollen, andererseits den Dreck, den Schmutz noch einmal hervorzuholen. Zwischen diesen beiden Polen habe ich die Geschichte entwickelt, die dann weit weg von der ursprünglichen Geschichte der Patientin führte.

DIE FURCHE: Sie beobachten kritisch, was mit der Sprache passiert. Was ist in den letzten Jahren vor sich gegangen, vor allem in den sogenannten "sozialen" Netzwerken?

Rabinowich: Es geht immer noch vor sich. Es ist eine unglaubliche Verrohung. Diese Arschlochigkeit -ja, auch ein rohes Wort, aber das ist ja eine ganz bewusst und offen zelebrierte Arschlochigkeit, das kann man schon so benennen wie es ist! -, die da zu Tage tritt, dieses Absehen und Abgehen von jeglicher Verantwortung in der Kommunikation -abgesehen davon, dass man auch Verantwortung im Handeln hätte, hat man auch Verantwortung im Sprechen. Auf die wird gespuckt, gespieen und mit den Füßen herumgetrampelt. Hauptsache, ich bin mit meinem verbalen Ellbogen durchgekommen. Die Kosten sind egal. Das ist eine logische Folge der letzten zehn Jahre, in denen man allen eingeredet hat: Du bist für dich allein verantwortlich, niemand wird dir helfen, du bist eine Ich-AG. Und nun rennen diese Ich-AGs herum und versuchen, die Brutalität der Politik zu wiederholen und zu spiegeln. Das kann nicht die einzige Begründung sein, aber zumindest in Österreich ist es so.

DIE FURCHE: Sie wurden also zum politischen Menschen - sind Sie auch eine politische Autorin?

Rabinowich: Ich mag diese Bezeichnungen alle nicht an mir anprobieren. Ich würde nicht sagen: Ich bin eine Frauenautorin, eine politische Autorin oder eine konservative Autorin. Ich bin Autorin. Damit habe ich mehrere Möglichkeiten. Ich schreibe über das, was mich berührt. Und wenn es im Augenblick die politische Lage ist, die mich berührt, schreibe ich darüber. Sollte ich Lust bekommen, etwas vollkommen Unwichtiges zu schreiben, werde ich auch das tun. Ich möchte mich da nicht einschränken lassen. Die Liebesgeschichte in der "Herznovelle" ist apolitisch, gesellschaftskritisch ja, aber nicht politisch, und sie war mir trotzdem wichtig. Und genauso wichtig war mir das Buch "Dazwischen: Ich" über das Flüchtlingsmädchen Madina zu verfassen, weil ich Kindern eine Möglichkeit bieten wollte, sich wiederzuerkennen, wenn sie es lesen. Und weil ich den anderen Kindern die Gelegenheit bieten wollte, Kinder darin zu erkennen, wenn sie es lesen. Ich hoffe, dass ich damit Verständnis evozieren kann. Kinder sind eigentlich eh noch offen, ich will sie erwischen, bevor sie sich verhärten. Und ich wollte das Buch so schreiben, dass es auch Erwachsene lesen können. Das ist zum Glück gelungen.

DIE FURCHE: "Dazwischen: Ich" ist das erste Jugendbuch, das Sie geschrieben haben - und es ist aus einem Drama hervorgegangen ...

Rabinowich: Ja, das Drama "Tagfinsternis" ist die Mutter von "Dazwischen: Ich". Die Idee zum Buch kam mir, als ich bei der Aufführung auf der Bühne in St. Pölten die Darstellerin der Madina sah: damals nur eine kleine Rolle. Der Vater hatte wie in einer griechischen Tragödie die Wahl, sich entweder gegen seine Kinder oder gegen seine Eltern zu entscheiden. Er entscheidet sich für die Tradition, die ihn darauf festlegt, dass er für die Eltern verantwortlich ist. Als ich diese junge Frau sah, Lisa Weidenmüller, die die Tochter spielte -sie hat das großartig gemacht, viel aus dieser Rolle geholt, sie hatte eine wunderbare Bühnenpräsenz, spielte fast die Eltern an den Rand -, da dachte ich mir: Eigentlich muss diese Geschichte, ihre Geschichte aus ihrer Perspektive auch erzählt werden.

DIE FURCHE: Dieses Buch warnt auch vor Krieg ...

Rabinowich: Ja, "Dazwischen: Ich" ist mein erstes richtiges Antikriegsbuch. Es thematisiert die Folgen des Krieges. Mir war wichtig, daran zu erinnern, was es auch sozial für die Bevölkerung bedeutet, wenn in einem Land Krieg herrscht. Welche Echos das in jedem Familiensystem auslöst, bei denen, die das Glück hatten zu überleben. Unsere Zeitzeugen sterben, wir vergessen, was da war. Das war für mich einer der Hauptgründe, dieses Buch zu schreiben.

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