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Ein neuer Band stellt in Porträts und Texten fünfzehn österreichische Schriftstellerinnen vor und mit ihnen einen wichtigen Anteil an österreichischer Kulturgeschichte.

Dem von der Geschlechterhierarchie geprägten Literatur-Kanon kann erst die Erschließung und kontextuelle Situierung literarischer Zeugnisse von Frauen entgegenwirken. Verlässlichen Textdokumentationen kommt bei der Sicherung und Tradierung des lange Zeit aus der Literaturgeschichte ausgeblendeten kulturellen Erbes von Frauen daher ein zentraler Stellenwert zu.

Die Salzburger Literaturwissenschaftlerinnen Christa Gürtler und Sigrid Schmid-Bortenschlager wissen sich seit den Anfängen der feministischen Literaturkritik dem Anliegen verpflichtet, die emanzipativen Aufbrüche von Frauen in Österreich sowie das literarische Schaffen österreichischer Autorinnen und deren oft nur schwer zugänglichen Texte einem breiteren LeserInnenpublikum bekannt zu machen. Der im Residenz Verlag erschienene, gut recherchierte und ansprechend gestaltete Band "Erfolg und Verfolgung" knüpft an ihre Anthologien "Die bessere Hälfte. Österreichische Literatur von Frauen seit 1848" (1995) sowie "Eigensinn und Widerstand. Schriftstellerinnen der Habsburgermonarchie" (1998) an und setzt sie fort.

Im Blickfeld stehen diesmal fünfzehn Autorinnen, die zwischen 1874 und 1900 geboren wurden, deren Kindheit und Adoleszenz also noch maßgeblich von der Habsburgermonarchie geprägt worden ist und die den Ersten Weltkrieg, sein Ende und die gesellschaftlichen Umbrüche von 1918 bewusst miterlebten.

In der Einleitung vermitteln die Herausgeberinnen einen Einblick in die Schreibbedingungen, die Frauen im Übergang zum 20. Jahrhundert vorfanden, sie streichen jene Gemeinsamkeiten in der Biografie heraus, die auf das gewandelte Geschlechterverhältnis zurückgehen und emanzipative Lebensentwürfe erst ermöglichten, sprechen Wechselbezüge zwischen Text und Kontext an und verweisen auf die Publikationsgeschichte literarisch auch heute noch bedeutsamer oder für die Zeit signifikanter Werke wie auf Paula Groggers Bergroman' "Das Grimmingtor". Neben Grogger werden in Einzelporträts Sir Galahad/Bertha Eckstein-Diener, Lina Loos, Hermynia Zur Mühlen, Else Feldmann, Alma Johanna Koenig, Vicki Baum, Grete Urbanitzky, Maria Leitner, Mela Hartwig, Gina Kaus, Veza Canetti, Lilli Körber, Adrienne Thomas und Paula Ludwig vorgestellt.

Ihre Lebensläufe zeigen, dass es Frauen vor allem in der Zwischenkriegszeit - in der die einem konservativen Gesellschaftsmodell verpflichtete Geschlechterordnung zurückdrängt wurde und sich emanzipative Konzepte durchzusetzen begannen - gelang, den Raum des Privaten zu verlassen und als Schriftstellerinnen zu reüssieren.

Dieser "Erfolg" währte jedoch nicht lange. Austrofaschismus und Nationalsozialismus setzten ihm ein jähes Ende, in Österreich spätestens 1938. Hermynia Zur Mühlen, Vicki Baum, Mela Hartwig, Gina Kaus, Veza Canetti, Lili Körber, Adrienne Thomas und Paula Ludwig waren gezwungen, Österreich oder Deutschland zu verlassen und ins Exil zu gehen, aus dem nur Paula Ludwig zurückkehrte. Else Feldmann wurde in Sobibór ermordet, Alma Johanna Koenig in Minsk, Maria Leitners Spuren verlieren sich 1942 in Frankreich. Lina Loos konnte erst nach Kriegsende wieder veröffentlichen. Viele der emigrierten Autorinnen wurden, wie Hermynia Zur Mühlen oder Paula Ludwig, in die Armut getrieben, und die Werke der meisten Emigrantinnen gerieten nach 1945 in Vergessenheit. Erfolgsstorys wie jene von Vicki Baum und Gina Kaus sind die Ausnahme.

Die veröffentlichten Textbeispiele, aus denen die Stimmen der Autorinnen hörbar werden, ergänzen sich in sehr gelungener Weise mit den biografischen Abrissen und machen den Band insgesamt zu einem wichtigen Dokument weiblicher Kultur- und Literaturgeschichte. Vielfältig sind die literarischen Formen, die die Autorinnen wählten, um die patriarchalen Geschlechterbilder der Vorkriegszeit oder auch moderne Frauenbilder, wie jenes der "Neuen Frau", und die Wirkung des neuen Mediums Film kritisch zu hinterfragen sowie Kindheit, Ehe, (Homo)Sexualität, Armut und Nationalsozialismus zu thematisieren: Roman, Drama, Brief, Kurzprosa, Lyrik, Reportage. Bezüge zur literarischen Tradition werden dabei ebenso offengelegt wie das Aufgreifen neusachlicher Ästhetik.

Die Tatsache, dass nahezu alle Autorinnen aus Wien stammen bzw. dorthin zogen oder in anderen Metropolen wie Prag, Moskau oder Budapest zumeist mehrsprachig aufwuchsen oder in den zwanziger Jahren nach Frankfurt oder Berlin übersiedelten, zeigt, dass die Provinz aus verschiedenen Gründen kaum Möglichkeiten der literarischen Entfaltung bot bzw. begabte Autorinnen, wie im Fall von Paula Grogger, zu Schreibmustern drängte, die einem äußerst konservativen, der NS-Ideologie kaum Widerstand entgegensetzenden Weltbild verpflichtet waren. Fruchtbarer für die Literatur von Frauen und ihre Rezeption erwiesen sich dagegen die multikulturellen und polyglotten Großstädte mit ihrem Kulturbetrieb, ihren Intellektuellen- und KünstlerInnenzirkeln, wenngleich auch bei weltgewandten Autorinnen, wie Sir Galahad, antisemitische und nationale Töne nicht zu überhören sind.

Ein Werkverzeichnis, der bibliografische Nachweis der abgedruckten Textauszüge und eine Auswahl-Bibliografie zu den vorgestellten Autorinnen schließen den Band ab und machen ihn zu einem hilfreichen Nachschlagewerk, das gegen das Vergessen des weiblichen Anteils an der österreichischen demokratischen Kultur anschreibt und an die Geschichte österreichischer jüdischer Frauen, zumeist aus dem Wiener Bürgertum, erinnert.

Erfolg und Verfolgung

Österreichische Schriftstellerinnen 1918-1945

Fünfzehn Porträts und Texte

Von Christa Gürtler und

Sigrid Schmid-Bortenschlager

Residenz Verlag, Salzburg 2002

320 Seiten, geb., e 19,90

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