Schule bis lang nach Mitternacht

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Um die Aufnahmeprüfungen an Südkoreas Elite-Unis zu bestehen, lernen die Schüler 18 Stunden und mehr am Tag, sieben Mal die Woche.

Um neun Uhr früh schreitet Bundespräsident Heinz Fischer am zweiten Tag seines Staatsbesuchs in Südkorea über weiße Marmorplatten die Stufen zum "Memorial Tower" hinauf, um mit einer Kranzniederlegung am Nationalfriedhof in Seoul der Opfer des Korea-Kriegs zu gedenken. Zur gleichen Zeit sitzen die Schüler der Myung-Duk Fremdsprachen-Oberschule knapp 20 Kilometer entfernt im südwestlichen Stadtteil Gangseo-Gu schon zwei Stunden in ihren Klassen. Und wenn Fischer seinen Arbeitstag zwölf Stunden später, nach einem Firmen-Besuch, einem Gespräch mit seinem südkoreanischen Amtskollegen und einem Festbankett beenden wird, dann werden die Jugendlichen noch immer lernen, denn Schulschluss ist erst um 22 Uhr. Und danach geht es noch immer nicht heim, erklärt Jong Yoon seinem ungläubig dreinschauenden Visavis von der Furche. Denn dann folgen noch ein, zwei Stunden Unterricht in einem privaten Lerninstitut - "vor ein Uhr nachts kommt kaum einer von uns nach Hause", sagt Jong. Nur am Sonntag ist es weniger streng: Da fängt der Unterricht erst (!) um zehn Uhr an und hört schon (!) um acht Uhr abends auf.

"Du musst! Du musst! …"

Der 15-Jährige hat an diesem Vormittag Deutschunterricht - nicht Grammatik, die unterrichten koreanische Lehrer; Konversation mit der aus Haag am Hausruck stammenden Lydia Schneeberger steht am Stundenplan. In Deutsch tut sich Jong Yoon leicht, sein Vater ist Techniker bei Korean Airlines und war einige Jahre mitsamt seiner Familie in Zürich stationiert. Jong spricht fließend Deutsch mit ein wenig Schweizer Akzent. Die Rückkehr nach Korea vor zwei Jahren ist ihm nicht leicht gefallen: "Die Schulsysteme sind völlig verschieden, in der Schweiz war es schon lockerer", flüstert er, um Frau Schneebergers Unterricht nicht zu stören, "hier heißt es immer nur: Du musst! Du musst! Du musst! …"

Die oberösterreichische Lehrerin wird später die Hintergründe für diesen enormen Leistungsdruck, der auf koreanischen Kindern lastet, erklären: Die Ursache ist im "Su-neung", der koreanischen Matura, zu sehen, deren Noten bestimmen, wer an welcher Universität studieren darf. Um dabei so gut wie möglich abzuschneiden, besuchen die Schüler nach dem regulären Unterricht noch so genannte "Hagwons"; das sind Nachhilfe-Institute, in denen man ganz gezielt auf den großteils aus Multiple-choice-Fragen bestehenden Su-neung vorbereitet wird. "In der Schweiz habe ich denken gelernt", kommentiert Jong seine unterschiedlichen Schulerfahrungen, "hier wird nur auswendig gelernt."

Bei Pisa-Studie ganz vorne

Im internationalen Vergleich schneidet dieses Schulsystem jedoch hervorragend ab: Südkorea ist einer der Testsieger im Pisa-Vergleich. In der Leseleistung belegen südkoreanische Schulkinder den zweiten Gesamtplatz. Daneben brillieren sie aber auch in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern. Als Grund für diese hervorragenden Ergebnisse nennen Pisa-Experten: die enge Verknüpfung von hohen Anforderungen an die Lernenden mit einer rigiden Evaluierung durch Benotungen und Tests sowie der große private Einsatz an Zeit und Geld, die über die Schule hinaus von den Kindern und Eltern erbracht werden.

"Hier wollen alle hart arbeiten", sagt Jong Yoon, "die sind doch alle lernsüchtig." Den wenigen, denen manchmal der nötige Elan und die Disziplin fehlt, wird mit dem nach wie vor präsenten - und von den Eltern explizit erwünschten - Rohrstaberl nachgeholfen. Auch Jong Yoon findet schlagende Lehrer "nicht so schlimm"; er selbst will Rechts-oder Staatsanwalt werden - die erste Hürde auf diesem Weg hat genommen: nur einer von 22 Bewerbern schafft die Aufnahme in die Myung-Duk Oberschule. Jetzt noch in eine gute Universität kommen, "dann bin ich frei", sagt Jong, "denn bei uns ist der Eintritt in die Uni schwer, das Raus-und Weiterkommen dagegen ist leicht."

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