Schwachwerk ohne roten Faden

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Johann Kresniks "Wiener Blut" bewies am Burgtheater, daß Skandalträchtiges am Fließband sich abnützt und verpufft.

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Johann Kresniks "Wiener Blut" bewies am Burgtheater, daß Skandalträchtiges am Fließband sich abnützt und verpufft.

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Angesagte Skandale finden nicht statt. Was da just am 1. April am Wiener Burgtheater unter dem Titel "Wiener Blut" seine Uraufführung erlebte, "choreographisches Theater" von Johann Kresnik samt Textcollage von Uschi Otten, erwies sich als so unzulänglich, daß eher tiefes Mitleid mit dem Autor und Regisseur als besondere Erregung über sein Opus angebracht ist. Denn dieses entpuppte sich als eine geradezu unheimliche Ballung uninspirierten, effekthascherischen Epigonentums und hatte inhaltlich nichts Neues und formal wenig Originelles zu bieten. Es hat übrigens nichts mit "Wiener Blut" von Johann Strauß zu tun und setzt sich auch nicht nur mit der Bundeshauptstadt, sondern mit allen Bundesländern - deren Wappen die Darsteller sogar auf den häufig gezeigten Unterhosen tragen - auseinander.

Heute, wo alles nur um Werbung geht, wo sogar ein anerkannter Pianist meint, seine eigene Todesmeldung als PR-Gag in die Welt setzen zu müssen, wird an Claus Peymanns Burgtheater natürlich auch nicht mehr viel an Kunst, aber umso mehr an deren Vermarktung gedacht. Seit Anfang Februar wurde die Öffentlichkeit mit Nachrichten gefüttert, die Interesse an "Wiener Blut" wecken sollten. So suchte man neben Kinderwagen aus den sechziger Jahren Träger künstlicher Gebisse inklusive der Bereitschaft, diese auf offener Bühne herauszunehmen, aparte junge Damen für einen hüllenlosen Auftritt und - wie die Aufführung zeigte, offenbar vergebens - sogenannte Flatulanten (Kunstfurzer), die den Radetzkymarsch intonieren sollten.

Auch die Meldung, daß wieder einmal prominente NS-Mitläufer bloßgestellt würden, sorgte schon vor der Premiere für Wirbel.

Doch nicht einmal für einen Skandal reicht der absolut kein Stück ergebende leichtgewichtige Bilderbogen, vielleicht sogar deshalb, weil Kresnik allzu bemüht skandalträchtige Szenen aneinanderreiht. Und obwohl er für das "Wiener Blut" in Strömen rote Farbe verspritzen läßt, fehlt dieser Nummernrevue vom Sonntagskind Sisi bis zum Umgang mit bosnischen Flüchtlingen der echte rote Faden. Die Weisheit, daß sich zwischen dem Klischeeösterreich von Opernball, Mozartkugeln, Sängerknaben und Lipizzanern und dessen Kehrseite - massive Beteiligung und Bereicherung am Holocaust, Ausländerfeindlichkeit, Korruption - Abgründe auftun, ist ebenso uralt wie jene, daß Macht, Sex und Gewalt miteinander zu tun haben. Beides wurde bereits ungleich wirkungsvoller vermittelt als durch diese einseitige Klitterung "authentischer Texte". Der beträchtliche Aufwand an lauter Musik, an nackten Tatsachen und an mitwirkenden Tieren - ein Lipizzaner, ein Dackel, Schweine und Tauben - kann nicht verhindern, daß die Sache bald sehr ermüdend und langweilig wird. Daß ohne Pause durchgespielt wird, erschwert freilich eine unauffällige Flucht zur Halbzeit.

In einem Holzplattengeviert (Bühne: Martin Zehetgruber), das später zeitweise Kanalröhren freigibt, instrumentalisiert Kresnik wahllos Personen, um sein plakatives Bild von der österreichischen Geschichte und Mentalität zu stützen, darunter erkennbar Arnold Schwarzenegger, Ingeborg Bachmann, Udo Proksch, Romy Schneider, Jack Unterweger, Paula Wessely, Herbert von Karajan, Kurt Waldheim, Hans Hermann Groer und den Briefbomber Franz Fuchs. Groers Opfer dürfen gegen Ende noch die groß aufgebauten Buchstaben des Wortes "Heimat" demolieren. Im Grunde arbeitet ein solcher Abend Jörg Haider in die Hände - oder Richard Lugner, der, sich selbst spielend, eine heitere Note zu diesem Makaberett beisteuern darf und damit vielleicht sogar mehr von der "österreichischen Seele" enthüllt als der ganze Rest.

Die Mitwirkenden, darunter nur einzelne, die derzeit der ersten Garnitur des Hauses angehören, gehen in dieser Gymnastikrevue bis zum Exhibitionismus aus sich heraus. Daß sie, zumindest nach der Vorstellung am Karsamstag, mit dem Hut für die Opfer im Kosovo sammelten, ist positiv zu vermerken und soll sie davor bewahren, hier als Beteiligte an diesem Schwachwerk genannt zu werden.

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