Schwanzfeder des Kaiseradlers

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Hochgewachsen, aber mühsam am Stock gehend, mit einem Kopf, der den Graphiker Hans Fronius an Gestalten auf Gemälden Grecos gemahnte, so verbrachte der Schriftsteller, Historiker und Denker Reinhold Schneider 1957/58 den letzten Winter seines Lebens in Wien. Für ihn, den katholischen Süddeutschen, der sich immer wieder in die Mystik und den Mythos habsburgischer Weltmacht versenkte, war es die Einkehr in eine seelische und geistige Urheimat. Die hinterlassenen Tagebuchaufzeichnungen ergaben eines der bedeutendsten Austriaca unserer Epoche, das Buch "Winter in Wien".

Über die zeitliche Distanz politischen Wandels hinweg war Schneider einer der letzten genuinen Vorderösterreicher, repräsentierte als solcher einen Begriff, der hier aus dem landläufigen Geschichtsbild fast gänzlich verschwunden ist. Dabei war es erst Napoleon, der 1805 mit seinen territorialen Eingriffen eine fast sechshundertjährige habsburgische Herrschaft im Südwesten Deutschlands beendete.

Die "Vorlande" bildeten niemals eine geschlossene Einheit, gleichsam enklavisch über die Landkarte verstreut, reichten sie vom Nordwesten der Schweiz über Vorarlberg und Teile Schwabens, den Schwarzwald, den Breisgau und den Oberneckar bis ins Elsaß und nach Bayern. Im 18. Jahrhundert, als Maria Theresia die Administration dieser Besitzungen reformierte, aber dem Zentralismus einfügte, sagte ein Beamter mit Hang zur Ironie, all jene Einsprengsel seien eben bloß die "Schwanzfeder des Kaiseradlers".

Dieses handfeste heraldische Gleichnis, mit einem Fragezeichen versehen, wird nun als Untertitel der Ausstellung "Vorderösterreich" zitiert, die als Gemeinschaftsproduktion der Länder Baden-Württemberg und Niederösterreich und des Kantons Aargau in Schloß Schallaburg läuft. Vor der langfristigen Veranstaltung im geradezu idealen Ambiente des Renaissancebaues bei Melk - mitten in den alten Erblanden! - eröffnete die Schau in Rottenburg am Neckar, als dritte Station ist Freiburg im Breisgau vorgesehen.

Ein Abguß der Grabplatte Rudolfs I. im Dom zu Speyer symbolisiert den Ausgangspunkt der engen Beziehungen, als die Habsburger hohe Aktivität entwickelten, um vom angestammten Aargau aus Gebiete in den umliegenden Landstrichen zu gewinnen. Erzherzog Albrecht VI., ein Bruder Kaiser Friedrichs III., residierte im Westen, gründete die Freiburger Universität, und seine Gemahlin Mechthild machte ihren Musenhof in Rottenburg zu einem kulturellen Zentrum. Später wurde Vorderösterreich von Innsbruck aus regiert, somit tritt in der Ausstellung auch Erzherzog Ferdinand, der Ambraser Renaissancephantast, markant ins Gesamtbild. Aus unserer Sicht ist der Breisgau ein Synonym für einen rein katholisch geprägten Lebensraum, aber auch in den Vorlanden verbreitete sich der lutherische Glaube, deshalb beriefen die Habsburger spanische Jesuiten als Träger der Gegenreformation.

In beispielhafter Auswahl und Präsentation der verschiedenartigsten Exposita - etwa vom Bergbau bis zur barocken Sakralkunst - bietet sich ein Panorama langer Entwicklung in sich geschlossener Kultursphären.

Der puncto Umfang nicht überfrachtete Katalog geriet zu einem Vorderösterreich-Compendium, das in jede auf die größeren historischen Dimensionen orientierte Austriaca-Bibliothek gehört. Einer der Blickfänge beim Rundgang: das Funeralemblem, mit dem man des 1765 verstorbenen Kaisers Franz I. gedachte - sein Bildnis als Brustschild des Doppeladlers. Auch dies symbolisch für "die besten, getreuesten und anhänglichsten Unterthanen" der Casa de Austria.

Bis 1. November Schloß Schallaburg bei Melk Information: 02742/3912

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