Schwarzer Samstag des heimischen Parlamentarismus

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Auch der Ereignisse der ersten Märztage 1933 kommt heuer besondere Erinnerung zu: Was zwischen 4. und 15. März vor 75 Jahren geschah, firmierte bald in der Diktion von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß als "Selbstausschaltung des Parlaments". In Wirklichkeit handelte es sich um eine Staatsstreich, der ins autoritäre Regime des österreichischen Ständestaats (1934-38) mündete.

Der schwarze Samstag des österreichischen Parlamentarismus war - rein juridisch gesehen - eine Geschäftsordnungskrise gewesen, das heißt, es trat der von der Geschäftsordnung des Nationalrates nicht vorgesehene Fall der Vorsitzlosigkeit ein. Denn zunächst kam es zu Unregelmäßigkeiten bei einer Abstimmung über Sanktionen gegen streikende Eisenbahner, weil es beim Abstimmungsergebnis von 80 zu 81 zwei Stimmzettel eines sozialdemokratischen Abgeordneten gab, aber keinen seines ebenfalls abstimmenden Sitznachbarn. Offenbar hatte ein Parlamentsmitarbeiter die vorgedruckten Stimmzettel vertauscht. Die unterlegene christlich-soziale Regierungspartei verlangte eine Ungültigkeitserklärung der "doppelten" Stimme, weil dann die Abstimmung in ihrem Sinn gekippt wäre. In den Wirren nach diesem Vorkommnis konnte sich der sozialdemokratische Nationalratspräsident Karl Renner nicht durchsetzen und trat zurück, bald darauf taten es ihm sein christlich-sozialer Stellvertreter Rudolf Ramek und der 3. Präsident Sepp Straffner von den Großdeutschen gleich. Weil nun der Nationalrat vorsitzlos war, konnte auch keine Neuwahl des Präsidiums durchgeführt werden, und der Nationalrat vertagte sich auf unbestimmte Zeit.

Engelbert Dollfuß nimmt den parlamentarischen Pallawatsch zum Anlass, per Notverordnung zu regieren. Als das Parlament am 15. März wieder zusammentreten will, hindert Polizei die Abgeordneten, das Parlamentsgebäude zu betreten. Damit ist der Staatsstreich perfekt, weil auch Bundespräsident Miklas mitspielt und der Verfassungsgerichtshof, auf den die Sozialdemokratie ihre Hoffnung gesetzt hat, durch Demission Dollfuß-naher Mitglieder ebenfalls handlungsunfähig wird.

Die Regierung erlässt ein Versammlungsverbot, stellt die Presse unter Zensur und verbietet den Republikanischen Schutzbund, die paramilitärische Organisation der Sozialdemokraten. Am 11. September 1933, am Rande des "Deutschen Katholikentags" (zu dem wegen der 1000-Mark-Sperre, die Hitlerdeutschland gegen Österreich verhängt hat, keine Deutschen kommen), ruft Dollfuß den Ständestaat aus, den er aber kaum ein Jahr regiert: Am 25. Juni 1934 wird Dollfuß von putschenden Nationalsozialisten ermordet.

In der Zweiten Republik dauerte es dann 30 Jahre, bis die Geschäftsordnungslücke des Nationalrats geschlossen wurde, sodass sich ein Staatsstreich à la Dollfuß nicht mehr "juristisch" legitimieren kann: Wenn alle drei Nationalratspräsidenten an ihrer Amtsausübung gehindert sind, übernimmt der älteste Abgeordnete aus den Parteien, die bislang die drei Präsidenten stellten, den Vorsitz und führt eine Neuwahl der Präsidenten durch. Wenn er das binnen acht Tagen nicht tut, gehen diese Rechte an den jeweils nächstältesten Abgeordneten über.

Weil sich aber die Geschichte doch nicht wiederholt, ist im österreichischen Nationalrat eine Geschäftsordnungsdramatik wie jene des 4. März 1933 nicht mehr eingetreten. ofri

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