Schweizergarde gegen Flugblätter

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Das Mediendokument "Inter mirifica" ist einer der wichtigsten und lehrreichsten Konzilstexte - allerdings in negativer Hinsicht.

Das Dekret Inter mirifica über die sozialen Kommunikationsmittel gehört zu den ersten beiden Texten des jüngsten Konzils, wird aber in Theologie und Lehramt so gut wie nicht rezipiert. Das Verhältnis von Kirche und Medien orientiert sich an der Instruktion Communio et Progressio von 1971. Diese verschämte Rezeption ist verwunderlich; denn Inter mirifica ist einer der wichtigsten Konzilstexte. Allerdings ergibt sich seine Bedeutung nicht positiv, sondern negativ. Inter mirifica zeigt außerordentlich klar, wie weit die Kirche von den Menschen ihrer Zeit entfernt war, und wie nötig sie den "Sprung nach vorn" (Johannes xxiii.) hatte, den andere Konzilstexte dann gesetzt haben. Schon mit Beginn des Konzils wurde das sichtbar.

Kalter Krieg im Pressebüro

Trotz Kuba-Krise war das Medienecho weltweit groß; die führenden säkularen Zeitungen schickten sogar Sonderkorrespondenten. Die katholischen Zeitschriften kamen dagegen erst nach einem halben Jahr in Schwung. Vor allem das offizielle Konzil war von der öffentlichen Aufmerksamkeit peinlich berührt. Zwischen seinem Pressebüro und den Journalisten herrschte im ersten Jahr geradezu kalter Krieg. Deshalb richteten Bischofskonferenzen wie die niederländische und die französische eigene Informationszentren ein. Erst als Pierre Hauptmann dort im Herbst 1963 begann, die Argumente in der Aula in der gleichen Reihenfolge zu präsentieren, wie die Redner zuvor namentlich aufgelistet waren, war der Bann des eingeschärften Konzilsgeheimnisses gebrochen. Wer nach innen hin etwas zu sagen haben wollte, musste nach außen hin dafür gerade stehen. Das war ein Ortswechsel für die Glaubensdarstellung.

Dieser Ortswechsel bedeutete aber ein Identitätsproblem, das Inter mirifica tief prägt. Das Schema wurde bereits am 23. November 1962 nach kurzer Debatte bei nur 15 Gegenstimmen angenommen. Es bot eine Art Soziallehre über die rechte Ordnung für Kommunikationsmittel. Aber die Kirche war zugleich weder bereit noch fähig, jene Öffentlichkeit auf sich selbst anzuwenden, die diese Medien erzeugen und die für die moderne Gesellschaft mit konstitutiv ist. Es entstand eine Diskrepanz zwischen dem Innen und Außen des Glaubens.

Inter mirifica blickt von innen nach außen, aber nicht umgekehrt. An ihm perlte das zweiheitliche Programm ab, das der belgische Kardinal Suenens im Dezember 1962 mit den Polen ecclesia ad intra und ecclesia ad extra ("Kirche in sich selbst" und "Kirche und Welt", Anm.) für das Konzil formuliert hatte; für dieses Wechselverhältnis wäre ein Text über mediale Öffentlichkeit wie geschaffen gewesen. Verschärfend kam der neue Papst Paul vi. hinzu, der für die zweite Konzilssession die Promulgation von mehreren Texten verlangte, obwohl eigentlich nur der Text über die Liturgie (vgl. dazu die letztwöchige Furche) reif dafür war.

Deshalb wurde Inter mirifica im November 1963 in verkürzter Form ohne Aussprache mit nur mehr 1898 Pro-Stimmen angenommen. Besorgte Konzilsväter drängten zwar am Abstimmungstag auf eine Verschiebung, aber eine Aussprache der vier Moderatoren während der morgendlichen Messe ergab ein 3:1 dagegen. Je mehr Väter den Text bis zur Schlussabstimmung zwei Wochen später gelesen hatten, desto mehr waren dagegen; besonders die Nr. 12 ist kritisch, weil sie der Zensur das Wort redet.

Rangelei in der Konzilsaula

Aber die zuständige Kommission war nicht zur Rücknahme bereit. Drei us-Journalisten prophezeiten in einer öffentlichen Erklärung, dass Inter mirifica später als Paradebeispiel für die Unfähigkeit der Kirche angesehen werde, sich mit der Welt ihrer Zeit auseinander zu setzen. Am Tag der Endabstimmung forderte Jorge Mejia, ein argentinischer Priester und heutiger Kardinal, die Väter per Flugblatt zum Verwerfen des Textes auf. Als er und der Mainzer Weihbischof Reuss dieses Flugblatt vor der Aula verteilten, stürzte Generalsekretär Felici herbei, um das zu verhindern. Nach einigen Zeugen kam es sogar zur Rangelei mit Reuss; jedenfalls schickte Felici die Schweizergarde.

Der präsidierende Kardinal verurteilte in der Aula dann die Petition, weil sie "die Freiheit und die Ruhe des Konzils" störe, und erinnerte daran, dass der Text bereits in seinen einzelnen Teilen angenommen sei. Die Endabstimmung brachte 503 Gegenstimmen, die feierliche Schlussabstimmung am 4. Dezember 1963 ergab noch 164. Inter mirifica ist der Konzilstext mit den meisten Ablehnungen.

Der Zwischenfall vor St. Peter zeigt, dass das Konzil damals selbst ein Problem mit der sozialen Kommunikation hatte. Es konnte noch nicht mit seiner eigenen Öffentlichkeit umgehen, sobald sie kritisch wurde, geschweige denn mit einer globalisierten arbeiten, deren Einfluss auch auf die Kirche nicht zu verhindern ist. Entsprechende Schwierigkeiten bestehen immer noch, wenn prekäre innerkirchliche Angelegenheiten in der Öffentlichkeit kritisch verhandelt werden.

Diese Probleme ergeben sich daraus, dass hier eine Identität ins Wanken gerät, die sich allein von sich selbst her bestimmt und alles von sich weist, worüber sie keine Macht besitzt. Es ist eine sogar typisch moderne Identität. Ihre Grammatik wird exemplarisch in Descartes' Meditationen beschrieben, die alles aus der Selbstvergewisserung ausscheiden, was für den Bezug auf das eigene Innen als zweifelhaft erscheint. Strukturell gleich hatte die Kirche bis ins Konzil hinein dem vielfältig prekären Außen - wie Menschenrechten, nichtkatholischen Christen, anderen Religionen - eine konstitutive Kraft für die eigene Identität verweigert.

Wer- statt Wo-Identität

Man kann das eine Wer-bestimmte Identität nennen. Sie kann nur mit Ausschließungsmechanismen aufgebaut werden, und das zeigt sich an Inter mirifica. Die weiteren Konzilstexte durchkreuzen diese Wer-Identität, weil sie sich dem Wo stellen, an dem sich die Kirche vorfindet - in der Welt der Menschen von heute. Vor allem die Pastoralkonstitution bildet diese Wo-bestimmte Identität durch die Konfrontation mit den Zeichen der Zeit aus. Sie ist unausweichlich für eine Glaubensgemeinschaft, die allen Menschen etwas sagen will und nicht nur sich selbst. An Inter mirifica lässt sich nachvollziehen, wie notwendig der Ortswechsel von der Wer- zur Wo-bestimmten Identität ist. Deshalb sind seine Aussagen auch heute noch ausgesprochen lehrreich.

Der Autor ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Salzburg.

BUCHTIPP: H.-J. Sander analysiert "Inter mirifica" und die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" auch in "Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil" (Freiburg 2004/05).

Nächste Woche: III. WELCHE KIRCHE WOLLTE DAS KONZIL?

Der Dogmatiker Peter Hünermann über das Kirchenbild des II. Vatikanums und die Kirchenkonstitution "Lumen Gentium".

Chronologie

5. Juni 1960: Johannes xxiii. errichtet das Sekretariat für Presse und Schauspiel, das die Vorbereitungen für ein Mediendokument des Konzils koordiniert.

Herbst 1962: Das Dokument wird in der ersten Konzilssession diskutiert und trotz Bedenken am 27. November als Diskussionsgrundlage angenommen, weil beschlossen wird, dazu eine "Pastoralinstruktion" zu erarbeiten - einmalig: Das Konzil erstellt ein Dokument und beschließt dessen Überarbeitung gleich mit!

Herbst 1962: Nicht zuletzt auf Druck des neuen Papstes Pauls vi. wird der überarbeitete Text abgestimmt. Am 4. Dezember 1963 Promulgation des Mediendokuments Inter mirifica.

2. April 1964: Paul vi. errichtet die Päpstliche Kommission für die sozialen Kommunikationsmittel für die nachkonziliare Weiterarbeit zum Medienthema.

7. Dezember 1964: Das Konzil verkündet die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes über die Kirche in der Welt von heute, die substanziellere Aussagen zu den Medien enthält als das Mediendokument des Konzils.

23. Mai 1971: Promulgation der nachkonziliaren Pastoralinstruktion Communio et Progressio. Im Gegensatz zu Inter mirifica beachtet diese Instruktion die Medienwirklichkeit wesentlich realistischer, sie stellt die eigentliche kirchliche "Magna Charta" für moderne Kommunikations- und Medienfragen dar. ofri

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