Sechs Tage bis zur Hinrichtung

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Marc Rothemund und seine Hauptdarstellerin Julia Jentsch erhielten bei der diesjährigen Berlinale je einen Silbernen Bären für den Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage". Regisseur Rothemund im Gespräch über seinen Zugang zur 1943 hingerichteten Studentin und Mitglied der Widerstandsgruppe "Die weiße Rose".

Die Furche: Bereits zweimal - jeweils 1982 - wurde Sophie Scholls Leben verfilmt. Was unterscheidet Ihren Film von den beiden anderen?

Marc Rothemund: Unser Film konzentriert sich auf die letzten sechs Tage von Sophie Scholl. Von der Vorbereitung der Flugblatt-Aktion an der Münchner Uni über ihre Verhaftung, Vernehmung und Verurteilung bis zur Hinrichtung. Unser Film wird konsequent aus Sophies Sicht geschildert. Wir haben ihre Gerichtsverhandlung rekonstruiert und den "Blutrichter" Roland Freisler zum Leben erweckt. Der entscheidende Unterschied: Wir konnten auf Dokumente zurückgreifen, die in den 80er Jahren noch nicht verfügbar waren.

Die Furche: Die Gestapo-Vernehmungsprotokolle ...

Rothemund: Genau. Die Gesprächsprotokolle von Sophie Scholl lagen zunächst in Moskau, danach in der ddr. Dort wurden sie gut eingesperrt, denn ziviler oder religiöser Widerstand war nicht unbedingt das, was die ddr fördern wollte. Ich las von den Protokollen vor zwei Jahren in der Zeitung: Da stand, dass sie bereits 1990 zugänglich gemacht, aber nie veröffentlicht wurden. Niemand hatte sich dafür interessiert.

Die Furche: Welche neuen Erkenntnisse gab es da?

Rothemund: Die Verhöre mit Sophie Scholl gingen über drei Tage, die Protokolle sind 60 Seiten stark, ich las sie zunächst aus persönlichem Interesse. Das erste Verhör dauerte fünf Stunden, in denen Scholl dem Gestapo-Beamten weismachte, dass sie mit dem Verteilen der ns-feindlichen Flugblätter nichts zu tun hat, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken. Der Beamte, Robert Mohr, ein Mann mit 26-jähriger Berufserfahrung, war danach tatsächlich der Meinung, dass Scholl unschuldig sei. Sie hat ihn fünf Stunden lang getäuscht - eine unglaubliche Leistung. Sie gestand erst nach elf Stunden morgens um sieben, als man ihr das Geständnis ihres Bruders vorgelegt hat. Und zwar mit den Worten: "Ja, ich war dabei, und ich bin stolz darauf." Nach diesem Geständnis versuchte Scholl, den Gestapo-Beamten zu überzeugen, dass die Organisation der "Weißen Rose" nur aus ihrem Bruder und ihr bestünde.

Die Furche: Was weiß man über die Haltung des Vernehmungsbeamten?

Rothemund: Mohr gewann sogar Hochachtung vor Scholl, bemerkte, dass es sich um friedlichen Widerstand handelte und wollte dann wohl den Begriff Freiheit diskutieren, den sowohl Scholl als auch Hitlers Regime für sich beanspruchten. Die Vernehmung kam auch auf das Thema Gott, was Mohr so sehr beeindruckt haben muss, dass er Sophie Scholl eine goldene Brücke baute: Sie müsste nur sagen, sie war sich über die Konsequenzen nicht bewusst und würde ihre Tat bereuen, dann käme sie mit dem Leben davon. Aber sie nahm die Brücke nicht an, sondern sagte: "Nicht ich, sondern Sie haben die falsche Weltanschauung. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Richtige für mein Volk getan zu haben. Ich nehme die Folgen auf mich."

Die Furche: Warum baute Mohr diese Brücke für Scholl?

Rothemund: Der Mann hatte einen Sohn, der an die Ostfront versetzt werden sollte, aber nicht wollte. Der Sohn glaubte nicht mehr an den Endsieg, sondern daran, dass die Ostfront für ihn den Tod bedeuten würde. Sein Vater hatte ein schlechtes Gewissen, weil er ihn bestärkte, doch hinzugehen. Wir haben Mohrs Sohn lange über seinen Vater interviewt. Nach dem Krieg schrieb Mohr einen Brief an Vater Scholl, mit der Bitte, zu bestätigen, dass er im Fall von Sophie und ihrem Bruder ein humaner Vernehmungsbeamter war und keine Folter angewendet hatte. Vater Scholl ist dieser Bitte 1951 nachgekommen und hat ihn damit so entlastet, dass er zumindest kein Mörder ist. Der Mann hatte Gewissensbisse. Was hätte er aber machen sollen? Kündigen? Bei der Gestapo kündigst du nicht. Er war der klassische Mitläufer.

Die Furche: Wieso ist Sophie Scholl so standhaft geblieben?

Rothemund: Sie war von ihrer Haltung überzeugt. Sophie Scholl hatte wohl nicht damit gerechnet, dass sie so schnell verurteilt werden würde. München wurde seit 1942 bombardiert, die Amis und die Russen rückten immer näher, Stalingrad wurde zur Katastrophe. Die Scholls dachten 1943, der Krieg würde nur mehr wenige Wochen dauern und man müsse jetzt etwas dagegen tun.

Die Furche: Wie sind Sie nach der Recherche an die filmische Konzeption herangegangen?

Rothemund: Demütig. Denn das Wichtigste und Spannende an diesem Stoff ist das Wort und der Blick in die Augen. Daraus entsteht die Spannung. Sophie Scholl lügt den Beamten an, und schaut ihm dabei felsenfest in die Augen. Sie blickt niemals runter oder weg, denn dann wäre sie ertappt worden.

Die Furche: Mit der Besetzung von Julia Jentsch haben Sie die wahrscheinlich wichtigste Entscheidung des Films getroffen.

Rothemund: Ohne Julia Jentsch wäre der Film nicht so geworden. Wie sie sich in die Rolle hineinkniet, wie sie Sophies Empfindungen nachfühlt und zum Leben erweckt, ist beispiellos. Ich konnte ihr nur eine helfende Hand geben: die Spannung,die der Zuschauer erfährt, ist allein ihr Verdienst.

Die Furche: Sie verwenden kaum sonst übliche ns-"Ausstattung".

Rothemund: Es gibt kaum Uniformen oder Hakenkreuze zu sehen. Ich will nicht historische Szenen nachstellen, sondern aktuelle Fragen untersuchen: Wie reagiert man, wenn man mit Unrecht konfrontiert wird? Wie weit geht der persönliche Einsatz?

Die Furche: Was kann ein Film wie "Sophie Scholl" bewirken?

Rothemund: Das Vermächtnis der Widerständler am Leben zu erhalten, ist eine wichtige Aufgabe, gerade in einer Zeit, in der man keine Zeitung aufschlagen kann, ohne Berichte über Neonazis oder rechte Parteien zu lesen, die gerade bei der Jugend großen Zulauf haben.

Das Gespräch führte Matthias Greuling.

Sophie Scholl, die protestantische Studentin, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" am 22. Februar 1943 hingerichtet wurde, hat ein filmisches Denkmal erhalten: Marc Rothemunds "Sophie Scholl - Die letzten Tage" kann sich zu Recht über den Silbernen Bären der Berlinale für die beste Regie freuen. Und die 26-jährige Julia Jentsch darf sich zu Recht als beste Hauptdarstellerin mit dem Silbernen Bären schmücken (Seite 17 dieser Furche).

Eine Heldengeschichte des ns-Widerstand ist aus vielen Gründen nur schwer als filmisch stimmiges Porträt zu gestalten. Doch Marc Rothemund gelingt solches: Er hat (siehe Interview rechts) sich dabei die brach liegenden Quellen der Vernehmungsprotokolle von 1943 zunutze gemacht und erzählt konsequent nur Sophie Scholls sechs letzte Tage - beginnend bei der Verteilung von Flugblättern an der Uni am 17. Februar, bei der Sophie und Bruder Hans gefasst werden.

"Letzte Tage" waren erst jüngst in der Bernd-Eichinger-Produktion "Der Untergang" mit Bruno Ganz als Adolf Hitler zu sehen. Rothemund macht es diesem und anderen Filmen über diese Zeit vor: So zurückgenommen und karg kann man sich einem Leben, das über die Grenze geht, nähern. Kein Bombeninferno in der Bayernmetropole, keine tobenden Massen, keine wüsten ns-Schergen, sondern viel Psychologie und verhaltene Gewalt, die auch dem Gestapo-Mann Robert Mohr (Alexander Held) den Blick auf den Irrsinn verwehrt, in den er als Vernehmer mitverstrickt ist. Die Verhöre zwischen Mohr und Sophie Scholl gehören zum Eindrücklichsten im Film, in diesen Szenen wächst Julia Jentsch in der Darstellung der Sophie weit über sich hinaus: wie eine physisch Gefangene durch freien Geist ihren Peiniger haushoch übertrumpft, ist die herausragende Schauspiel-Leistung des Films.

Kaum weniger intensiv gelingt es André Hennicke als verhalten bis bodenlos aggressiver Volksgerichtspräsident Freisler der tödlichen Staatsmacht ein absurdes wie verkommenes Gesicht zu geben: Im Münchner Gerichtssaal, in dem Freisler über Sophie, ihren Bruder Hans (Fabian Hinrichs, auch er überzeugend) und den Mitstreiter Fritz Probst das Todesurteil spricht, kocht keine Volksseele: der Blutrichter hat einer moralischen Siegerin außer einem weiteren Schandurteil nichts entgegenzusetzen.

Der Film bleibt lakonisch, erzählt nichts über die Vorgeschichte der"Weißen Rose" und heroisiert Sophie und die Ihren auch nicht; aber er fesselt in der faszinierenden Darstellung einer faszinierenden jungen Aufrechten.

Das (bittere) Ende nimmt das Auditorium mehr als mit. Gefühlsduselei ist Marc Rothemund dennoch keineswegs vorzuwerfen: Selten gelingt es im Kinosaal, Mit-Leiden so authentisch zu vermitteln. Otto Friedrich

SOPHIE SCHOLL - Die letzten Tage

D 2004. Regie: Marc Rothemund. Mit Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, André Hennicke. Verleih: Filmladen. 116 Min.

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