Seeigel fressen Korallenriffe

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Ein maritimer Teufelskreis bedroht die Korallenbestände im Indischen Ozean: Die Überfischung der Meere führt dazu, dass der Seeigel keine natürlichen Feinde mehr hat. Zu viele von ihnen sind aber verheerend für die Riffe.

Tauchermaske, Flossen, Badehose in die Tasche und ab geht’s zum weiten, noch menschenleeren Sandstrand bei dem kleinen Dorf Paje auf Sansibar. Es ist frühmorgens. Der 61-jährige Fischer Ibrahim wartet in seinem kleinen Dau, ein Holz-Katamaran nach arabischer Bauart. Die Brandung tost hinter dem Riff, das einen Kilometer vom Ufer entfernt ist. Bis dorthin ist das Wasser nicht tief. Man kann bis zum sandigen Grund sehen. Ibrahim bringt die Touristen bis zum Korallenriff, wo sie stundenlang schnorcheln können, während er, gestützt auf sein Holzruder, wartet und schließlich einnickt.

Die Tauchtouristen sind auf Anhieb begeistert: So nahe am Ufer und überall flitzen bunte Fische durchs türkisblaue Wasser, Papageienfische, Falterfische und auch Clownfische. Das Riff schützt vor den Raubtieren des offenen Meeres, besonders vor den Haien, und vor der Brandung. Unter Wasser ist es herrlich still, die Seeanemonen tanzen in der Strömung. Doch die anfängliche Hochstimmung wird schnell gedämpft: Die Anemonen sind farblos, die Korallen verblasst. Es ist offensichtlich: Die Nesseltiere liegen im Sterben oder sind schon tot. Statt bunter Korallen liegen überall, wirklich überall, kleine schwarze Igel. Massenweise.

Tauchparadies in Gefahr

„Tauchen auf Sansibar heißt: Eintauchen in eine faszinierende Welt unberührter Riffe. Umgeben von Meeresschildkröten und vielen tropischen Riff-Fischen. Hier taucht ein Mantarochen aus dem Dunkel auf, dort zieht majestätisch langsam ein Riffhai vorbei. Neugierige Delphine umkreisen den Besucher. Für Korallenfans ein Paradies mit 27 Grad Celsius Wassertemperatur und mit gigantischen Farn- und Brain-Korallen. Und dazu die oft beeindruckende gute Sicht von bis zu 30 Metern, die Sansibar zu einem der schönsten Tauchreviere macht.“ So wirbt das fünf Sterne-„Padi Gold Palm Resort“ in Nungwi auf der Hauptinsel Unguja.

Auf Sansibar, das aus Unguja und der Insel Pemba besteht und zu Tansania gehört, kann man so ein Paradies noch vorfinden, aber es ist in Gefahr. Vor allem die zu große Population des Seeigels bereitet Meeresbiologen große Sorgen: „Wir verzeichnen einen alarmierenden Anstieg in den letzten zehn Jahren. In manchen Gebieten haben wir eine sechs- bis zehnfache Zunahme, mit mehr als zwanzig Seeigeln pro Quadratmeter“, berichtet Zoologe Omri Bronstein von der Universität Tel Aviv (siehe auch Interview unten). Der Meeresforscher ist seit zweieinhalb Jahren jeweils für mehrere Wochen in Sansibar. Seine Forschungen haben ergeben, dass die in Ostafrika übliche Praxis der Überfischung zu einem chronischen Mangel von Seeigel-Räubern geführt hat.

Die kleinen stacheligen Wesen konnten sich so ungehindert ausbreiten. Sie grasen die dünne Algenschicht auf den Korallen ab und schädigen dabei die Korallen. Diese Fressstrategie ist grundsätzlich vorteilhaft um das Algenwachstum zu kontrollieren. Doch aufgrund der Überpopulation führt es zu einem dramatischen Korallensterben. „Die Korallenriffe werden immer schneller zerstört. Unternimmt man nichts dagegen, wird es auf Sansibar eines Tages keine Riffe, keine Fische und keine Touristen mehr geben. Die Urlauber fahren einfach woanders hin, aber die Einheimischen bleiben mit nichts zurück“, warnt Bronstein.

Grund allen Übels: Überfischung

Tansania samt Sansibar gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Die rund 40 Millionen Einwohner müssen im Schnitt mit 350 US-Dollar (240 Euro) pro Jahr auskommen. Seit 2003 ist der Tourismus in Sansibar kontinuierlich gestiegen – ein Grund für den höheren Lebensstandard auf den Inseln, aber auch ein Mitgrund für die Überfischung.

Die Forscher versuchen, das Tourismus-Ministerium vom dringenden Handlungsbedarf zu überzeugen. Doch bisher vergebens. Die besonders gefährdeten Gebiete sollten in geschützte Meeresregionen umgewandelt werden. Doch das würde bedeuten, dass dort nicht mehr gefischt und nur noch eingeschränkt getaucht werden darf. Die Zeit drängt: „Die Seeigel fressen im wahrsten Sinn des Wortes die Insel auf“, so Bronstein. Die berühmte Gewürzinsel besteht schließlich vor allem aus Korallengestein.

Die Korallen sind durch den Klimawandel ohnehin schon gestresst. Denn da das Meerwasser oft zu warm wird, produzieren die Algen Giftstoffe und stoßen sie auf die empfindlichen Korallen ab. Sie sterben sofort ab. Der weiße Kalkmantel der Korallen bleibt bestehen und bietet den Seeigeln einen idealen Andockplatz. Das begünstigt zusätzlich ihre Ausbreitung.

Doch nicht nur auf Sansibar sind Korallenparadiese gefährdet: Bronstein sagt, dass es zu Masseninvasionen von Seeigeln, Seesternen und Quallen immer wieder auch in bekannteren Gebieten wie den Seychellen und Malediven kommt – oft von Politik und Medien ignoriert. Es gebe über dieses Phänomen zu wenige bis gar keine wissenschaftlichen Untersuchungen.

Die Weltbank unterstützt Bronsteins Forschungsarbeit auf Sansibar und man überlegt, das Projekt auch auf andere Inselregionen auszudehnen. Die Meeresbiologin Antje Helms von Greenpeace berichtet von Massenpopulationen von Seesternen am berühmten Great Barrier Riff in Australien. „Diese Massen haben zu einem wesentlichen Rückgang der Korallenbedeckung von 78 Prozent auf zwei Prozent innerhalb von sechs Monaten geführt“, sagt Helms. Hugh Sweatman vom australischen Institut für Meereskunde bestätigt, dass die Masseninvasionen dort vorkommen, wo Überfischung übliche Praxis ist.

Auch aus dem indo-pazifischen Raum, zuletzt aus Indonesien und von den Philippinen gab es in den vergangenen Jahren viele Meldungen von Überpopulationen, die zum Absterben der Korallen geführt haben. „Ein Korallenriff braucht etwa zwölf bis 15 Jahre um sich davon wieder zu erholen, bei langsam wachsenden Arten sogar bis zu 50 Jahre“, so Helms. Greenpeace fordert deshalb die Errichtung von Meeresschutzgebieten, wo vor allem die Fischerei verboten werden soll. Mindestens 40 Prozent der gesamten Weltmeere sollten unter strengen Schutz gestellt werden. Derzeit sind nur 0,5 Prozent streng geschützt, in nur zwei Prozent ist Fischen verboten.

Erste Weltozeankonferenz

Doch ein Schritt in Richtung Meeresschutz ist zumindest erst kürzlich gelungen. Bei der ersten Weltozeankonferenz in Indonesien verpflichteten sich die Regierungschefs der Philippinen, Malaysias, Indonesiens, Papua-Neuguineas, Osttimors und der Salomonen-Inseln zu einem umfangreichen Schutzprogramm. Das Meer soll sauberer werden, die zerstörerischen Fischfangmethoden will man unterbinden.

Die Anrainerstaaten erhoffen sich eine Erholung der Fischpopulationen und Korallenriffe. Die betroffenen Ozeanregionen beherbergen drei Viertel aller Steinkorallen-Arten der Welt. An den Küsten leben 120 Millionen Menschen. Nur intakte Ozeane sichern ihr Überleben. Laut WWF liegt der ökonomische Wert der Meere bei 21 Billionen US-Dollar (13,3 Billionen Euro) im Jahr. Vielleicht rüttelt dieses Argument auf, falls die Schönheit gesunder Korallenriffe mit ihren farbenprächtigen Fischen nicht überzeugen kann.

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