Segen und Fluch liegen nebeneinander

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Weiter geht's auf dem Weg zum "gläsernen Menschen". Und jeder Fortschritt potenziert negative und positive Möglichkeiten.

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Weiter geht's auf dem Weg zum "gläsernen Menschen". Und jeder Fortschritt potenziert negative und positive Möglichkeiten.

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Unlängst schlug mir ein sehr erfolgreicher Freiberufler aus dem Wirtschaftsbereich vor, mich an einer gemeinsamen Aktion zu beteiligen. Durch immer mehr erfasste Daten würde nämlich unsere Intimsphäre bedroht. Er wehre sich schon jetzt, wo es gehe und parke zum Beispiel nicht mehr mit Kreditkarte, weil so festgestellt werden könnte, wann und wo er mit seinem Auto gewesen sei. Eher überrascht nahm er meinen skeptischen Einwand entgegen, von mir aus könnte an der Parkgarage ein Schild prangen, aus dem meine Anwesenheit samt Geburtsdatum und Adresse zu entnehmen sei.

Dieser Disput ist symptomatisch. Wir alle bewegen uns zwischen der Angst vor totaler Überwachung und dem resignierendem Akzeptieren des Umstands, dass heute Millionen Daten über uns in Computern gespeichert sind. Keineswegs nur von der Obrigkeit. Ohne EDV geht heute nichts mehr. Eine Warenbestellung kann bewirken, dass man in einer dubiose Liste für Werbezwecke landet. Vor Missbrauch soll uns ein subtiler Datenschutz bewahren, doch bleibt dessen Handhabung gerade angesichts der rasanten Entwicklung mangelhaft.

Dann passiert noch dazu, dass Unbefugte in einem polizeilichen Informationssystem stöbern, das im Prinzip harmlos und absolut notwendig ist. Der Aufschrei ist verständlich und warnt vor dem "Großen Bruder". Er kommt auch von Leuten, die in Politik und Medien bedenkenlos mit veruntreuten Unterlagen agieren. Sogar aus der ach so hehren Justiz sprudeln bekanntlich Indiskretionen wie ein üppiger Quell.

Zur gleichen Zeit wird das Projekt in Angriff genommen, den Krankenschein durch eine allgemeine Chipkarte zu ersetzen. Sie wird - beschloss der Ministerrat - hinkünftig auch weiteren Zwecken dienen. Im Interesse des Bürger soll ein rascher und einfacher elektronischer Kontakt zu einer Reihe von Verwaltungssystemen ermöglicht werden. Die Vorteile einer solchen "Bürgerkarte" liegen auf der Hand. Sie bedarf freilich erst gesetzlicher Verankerung und umfassender Kontrolle. Keine Dienststelle soll Zugriff auf andere dem Datenschutz unterliegende Bereiche haben. Aus diesem Grund wird das beim Innenministerium entstehende zentrale Melderegister nicht die Sozialversicherungsnummer verwenden. Dennoch: Es geht weiter auf dem Weg zum "gläsernen Menschen". Der klassische Akt aus Papier, der streng zu behüten ist (besser gesagt: wäre!), wird fortschreitend durch Datensysteme ersetzt, die präzis-raschen, aber auch unerlaubten Zugriff ermöglichen. Ebenso weicht der alte Brief, dessen Umschlag man versiegeln konnte, immer mehr elektronischen Informationssystemen, die unerwünschter Beobachtung ausgesetzt sind.

Damit, dass jeder Fortschritt die positiven und die negativen Möglichkeiten gleichermaßen potenziert, müssen wir leben. Segen und Fluch liegen also wie immer nebeneinander. Vor einiger Zeit erfuhr die Weltöffentlichkeit schockiert, dass sogar staatliche westliche Sicherheitssysteme ein subtiles System transkontinentaler Überwachung der Telekommunikation betreiben, das bei Verwendung bestimmter Wörter anspringt. Der Nutzen für die Sicherheit ist fraglich. Der Schaden des Geheimnisbruchs trifft den einzelnen Bürger nicht direkt, Wirtschaft und Politik aber beträchtlich.

Unsere Widerstandskraft gegen Freiheitsbedrohung und Machtmißbrauch, die sich im letzten Jahrhundert entwickelt und gefestigt hat, muss die großen und wirklich globalen Gefahren der Informationsgesellschaft klar erkennen. Gerade bei unserer aktuellen Affäre, die auch bedeutsame politische Dimensionen hat, muss daher richtig und angemessen reagiert werden. Sie ist ein Prüfstein. Wir werden genau zu beobachten haben, ob unsere Rechtsordnung konsequent durchgreift. Wir können und sollen den neuen Informationssystemen nicht ausweichen, müssen aber darauf bauen dürfen, dass wir nicht schutzlos gefährlichem Mißbrauch ausgeliefert werden.

Der Autor war Volksanwalt und ÖVP-Generalsekretär.

Zum Thema: "Bürgerkarte" Die Regierung will die Österreicher mit einer "Bürgerkarte ausstatten, die für Amts- und Behördenwege sowie als Identitätsnachweis eingesetzt werden könnte. Synergieeffekte und die Möglichkeit, Amtswege über das Internet abzuwickeln, werden als Vorteile der Karte genannt. Für Kanzler Schüssel ist die Bürgerkarte ein "sichtbares Projekt" im Rahmen der Bemühungen um einen "neuen Staat". Gegner der Karte sehen damit eher einen weiteren Schritt Richtung Überwachungsstaat gegeben. Durch die Spitzelaffäre hat das Vertrauen in den Datenschutz ohnehin stark gelitten. Ist nach diesen Erfahrungen die Einführung beziehungsweise der weitere Ausbau einer Missbrauchsmöglichkeit verantwortbar, lautet die Frage dieser furche-Debatte. WM

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