Segensreiche Veränderungen

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Der Austroamerikaner Egon Schwarz wird am 10. Juni mit dem Cotta-Literaturpreis der Stadt Stuttgart geehrt. Eine Würdigung von Thomas Rothschild.

Seit 2003 müssen die mit dem "Johann Friedrich von Cotta-Literatur- und Übersetzerpreis der Landeshauptstadt Stuttgart" Geehrten nicht mehr aus Baden-Württemberg stammen. Der Autorenpreis würdigt nunmehr "herausragende deutschsprachige erzählende Literatur und/oder publizistische Essayistik". Die Jury hat die Chance genützt und eine ebenso unvorhersehbare wie kluge Wahl getroffen. Neben dem Übersetzer Hartmut Köhler wird in diesem Jahr der aus Österreich stammende Amerikaner Egon Schwarz mit dem Preis ausgezeichnet. Egon Schwarz hat bis zu seiner Emeritierung an der Washington University in St. Louis, Missouri, Germanistik gelehrt. Sein besonderes Interesse galt unter anderem Rainer Maria Rilke, dessen Werk er, gegenläufig zur vorherrschenden Tendenz der Rilke-Forschung, ideologiekritisch analysiert.

Unfreiwillige Wanderjahre

Ein anderer Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind Juden als Autoren und als Figuren in der Literatur. Egon Schwarz hat sich mit Karl Emil Franzos beschäftigt und mit Arthur Schnitzler, mit Hugo von Hofmannsthal und mit Franz Werfel, aber auch mit Joseph von Eichendorff, Ferdinand Raimund und Marie von Ebner-Eschenbach, mit Hermann Hesse, Thomas Mann und Erich Kästner sowie mit spanischen Schriftstellern.

Für die allgemeine Leserschaft jedoch dürften die Fachpublikationen von Egon Schwarz eher von marginalem Interesse sein. An sie wenden sich seine Erinnerungen, die bereits 1979 unter dem Titel "Keine Zeit für Eichendorff. Chronik unfreiwilliger Wanderjahre", dann 1992 bei der Büchergilde Gutenberg erschienen sind und 2005 bei Beck unter dem Titel "Unfreiwillige Wanderjahre" neu aufgelegt wurden, mit einem Nachwort von Uwe Timm. Diese Autobiographie wurde seltsamerweise weitaus weniger beachtet als die der neun Jahre jüngeren Kollegin Ruth Klüger - vielleicht, wie man sarkastischerweise vermuten muss, weil Egon Schwarz die "Flucht vor Hitler durch drei Kontinente" (so der Untertitel der Neuauflage) gelang und er nicht in ein KZ deportiert wurde, wie es sich für österreichische Juden seiner Generation gehört.

Egon Schwarz, 1922 in Wien geboren, musste (oder soll man angesichts der Alternative sagen: konnte?) nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland mit 16 Jahren seine Heimat verlassen, noch ehe er seine Matura absolviert hatte.

1986, nach nahezu fünfzig Jahren, wurde ehemaligen Schülern die "Ehrenmatura" verliehen, darunter auch Egon Schwarz. Wahrscheinlich hat auch die späte, einer gewissen tragischen Lächerlichkeit nicht entbehrende Feierlichkeit für die nunmehr 66-jährigen Maturanten, denen im Jahr 1988 somit die überprüfte Reife bestätigt wurde, nur stattgefunden, weil einer von ihnen US-Botschafter in Österreich war. Egon Schwarz aber hat sie offenbar bewegt, und er hat das ihm zugefügte Leid verziehen. In seiner Dankrede, die Egon Schwarz stellvertretend für seine verspäteten Maturakollegen hielt, sprach er vom "Geist der Versöhnlichkeit und der Freude an den positiven Veränderungen, die sich in unserem Ursprungsland und unserer Heimatstadt während der letzten Jahrzehnte segensreich ausgewirkt haben". Gerührt war Egon Schwarz anscheinend auch, als ihm Österreich das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft verlieh. Musste der Werfel-Kenner nicht an die "Blassblaue Frauenschrift" denken, in der von einem Arzt gesagt wird: "Früher war er zu jung für ein Ordinariat. Jetzt ist er zu alt. Und zwischendurch hatte er das Pech, Abraham Bloch zu heißen"? Auch dieser Bloch wird von Österreichs Ministerialbürokratie geehrt - als Ersatz quasi für den vorenthaltenen Lehrstuhl.

Versöhnliche Töne

Wer nur gelegentlich auf eine Stippvisite nach Wien kommt, um dann wieder nach St. Louis zurückzukehren, kann leicht großzügig sein. Und ein Jude, der gegenüber seinen Verfolgern versöhnliche Töne anschlägt, ist allgemein sympathischer als einer, der nicht vergessen kann und nicht vergessen will. In dem Dokumentarfilm "Alt und radikal in Los Angeles" von Uli Aumüller und Annelie Runge erklärt die - inzwischen verstorbene - aus Deutschland verjagte Lucille Alpert: "Wenn Leute zu mir sagen, man muss vergeben können, antworte ich manchmal zum Spaß: Ich bin ja noch nicht mal über die spanische Inquisition hinweg." Nicht jeder hat genug Humor, um der alten Dame diesen Spaß zu verzeihen.

Ich habe, um die zwei Jahrzehnte später, die ich jünger bin als Egon Schwarz, acht Jahre lang dasselbe Gymnasium besucht wie er. Zwischen seiner Vertreibung und meiner Aufnahmeprüfung lagen 1000 sehr prägende und sieben ungeliebte Jahre. Mein Musikprofessor, ein Bewunderer von Dollfuß und Schuschnigg, hatte uns in den fünfziger Jahren niemals verraten, dass er im (wohlgemerkt: nicht etwa kommunistischen, sondern austrofaschistischen) Widerstand war. Auch im Lehrerzimmer sprach er nie darüber, weil, wie er mir Jahrzehnte später, kurz vor seinem Tod erzählte, die alten Nazis dort den Ton angaben.

Und in der Tat: Mein liberaler und über die Schule hinaus angesehener Deutschlehrer hatte noch kurz vor Kriegsende im Völkischen Beobachter veröffentlicht. Im Fach "Leibeserziehung" (oder hieß es "Leibesübungen"?) führten sich die Turnlehrer auf, als wären sie immer noch Offiziere der Wehrmacht. Unser Klassenvorstand, der sympathische und wohlmeinende Mathematik- und Physikprofessor, mahnte uns, als ein Klassenkamerad eine jüdische Mitschülerin als "Saujüdin" bezeichnet hatte, niemand dürfe wegen seiner Herkunft beschimpft werden, schließlich könne sich keiner seine Eltern aussuchen. Und unser Lateinlehrer mit dem tschechischen Namen ließ seinen antisemitischen Überzeugungen ungehemmt Lauf und karniefelte einen jüdischen Mitschüler, der noch dazu das unverzeihliche Manko hatte, in Russland geboren zu sein.

Enttäuscht von den USA

Als ich dann, in den sechziger Jahren, an der Wiener Universität Germanistik studierte, lehrten dort ausschließlich Ordinarien, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren: Höfler und Kranzmayer, Enzinger, Rupprich und dann Seidler (siehe dazu ab 9. 6. die Kolumne "Kuriositätenkabinett" auf www.titel-magazin.de). Egon Schwarz hätte, als Nachfahre von Werfels Bloch, ebenso wenig eine Chance gehabt wie Hans Mayer und Heinz Politzer, die gerne einen Ruf nach Wien angenommen hätten, oder wie der Theaterwissenschaftler Joseph Gregor, dem der bis zu seinem Tod im Jahre 1985 das Klima am Institut bestimmende übereifrige Nazi Heinz Kindermann vorgezogen wurde. Es gehört viel Selbstbetrug dazu, angesichts solcher Verhältnisse Großmut zu zeigen, wie es Egon Schwarz tat. Er verhielt sich nicht wie der 1938 schikanierte Jude, über den sich Helmut Qualtingers Herr Karl, als er ihm nach dem Krieg begegnet und der nicht grüßt, wundert: "Jetzt is er bös, der Tennenbaum." Und er verlangt auch keine geraubten Bilder zurück. Na bitte, so geht es auch.

Dabei hätte Egon Schwarz Grund und jedes Recht zu klagen. Die Flucht vor den Nationalsozialisten ließ ihn nach Zwischenstationen schließlich in Bolivien landen. In seiner Autobiographie beschreibt er seine Kindheit und das Exil sowie die Nachkriegsjahre in den Vereinigten Staaten von Amerika mit vielen Details, genau, aber nicht humorlos, und in einer Sprache, die einen Literaturpreis auch ästhetisch rechtfertigt. Immer wieder nimmt er individuelle Erfahrungen und Erlebnisse zum Anlass für allgemeinere Reflexionen. Es lassen sich Parallelen ziehen zu den Büchern von Jakov Lind oder Edgar Hilsenrath. Optimist ist Egon Schwarz trotz vieler zuversichtlicher Passagen in seinen Erinnerungen nicht geworden. Am Schluss heißt es: "Bei der gegenwärtigen Beschaffenheit der Welt kann man sagen, dass die Menschheit in einer furchtbaren Finsternis dahintappt." Und in einer Nachschrift von 1991 formuliert Egon Schwarz seine Enttäuschung über die Entwicklung der USA in den achtziger Jahren. Zu Bush junior konnte er sich damals noch nicht äußern.

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