Sehnsucht nach Besinnlichkeit

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Die Nischen der Besinnlichkeit werden zu Weihnachten immer seltener. Die Ausstellung" Weihnachtszeit" in München ist eine solche.

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Die Nischen der Besinnlichkeit werden zu Weihnachten immer seltener. Die Ausstellung" Weihnachtszeit" in München ist eine solche.

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Grell, bunt und kitschig - dies sei der Trend im häuslichen und öffentlichen Weihnachtsschmuck, Strohsterne und Engel seien out, blinkende Weihnachtsmänner und elektrischer Leuchtschmuck in. So stand es dieser Tage in einer Tageszeitung zu lesen. Zunehmend ausdrucksstark zeigen sich auch die alpenländischen Krampuskreationen, vergleichbar den Horrormasken in Film und Fernsehen. Zuweilen glaubt man sich der Vorhölle näher als himmlischen Verheißungen, und es tröstet nur wenig, dass Kindern in einer Vorab-Begegnung aus nächster Nähe einmal die Angst genommen werden soll.

In welcher Weihnachtszeit leben wir? Die Christkindl-Märkte sind vielbesucht; hier finden sich die vertrauten Düfte, die Kugeln und Krippen, Kerzen und Gestecke. Ein Stück Sehnsucht, dem Massenkonsum und der Hektik zu entfliehen? Die Angebote hierzu sind zahlreich. Es gibt sie, diese Nischen zum Nachdenken, zum Staunen, zum Fröhlichsein, dazu, was diese Zeit eigentlich ausmacht oder ausmachen sollte.

Eine solche Gelegenheit bietet das Bayerische Nationalmuseum in München mit einer ganz besonderen Ausstellung zur "Weihnachtszeit". Von der Adventsuhr bis zum Knallbonbon spannt sich der Bogen, der die Tradition der Feste zwischen Advent und Neujahr in Süddeutschland und Österreich von 1840 bis 1940 beleuchtet. Die hier erstmals in der Öffentlichkeit gezeigten Schätze gehören der Privatsammlerin Ursula Kloiber, deren Biographie auch mit Wien verbunden ist.

Nina Gockerell, Konservatorin für Volkskunde, ist es hervorragend gelungen, die Fülle des Materials einfühlsam, aber ohne Pathos in eine lebendig und abwechslungsreich gestaltete Konzeption einzubinden. Und, um es vorwegzunehmen: Die Ausstellung ist wohl jetzt bereits ein Publikumsliebling, weil sie große und kleine Besucher gleichermaßen anspricht, ihnen Freiraum gibt zum Schauen oder Nachsinnen, ungestört von allzuviel Information.

Advent - das ist vor allem die Zeit des Wartens. 24 Kreidestriche an einer Tür waren als einfachste Lösung verbreitet, um für die Kinder die Tage "zählbar" zu machen. Die Advents-uhr, um 1902 aus einer evangelischen Buchhandlung in Hamburg, ist zugleich Beispiel für den christlich-pädagogischen Anspruch, den man nun mit dem Kalender verband. Kurze biblische Texte oder Gedichte sind jedem Tage zugewiesen, auf Uhren, Abreißkalendern - wie sie Thomas Mann in den "Buddenbrooks" beschreibt -, auf Adventshäuschen mit Fenstern ohne Nummerierung. Auch der Adventskranz ist eigentlich eine evangelische "Erfindung". Johann Heinrich Wiechern, pietistischer Pfarrer und Leiter einer Erziehungsanstalt für Buben in Hamburg, bestückte um 1850 einen Radleuchter mit 24 Kerzen, um das tägliche Hellerwerden bis zur Weihnacht sichtbar zu machen - leuchtendes Vorbild für die allgemeine Verbreitung bis hin zu unserem grünen Kranz mit nunmehr vier Kerzen.

Bis ins Detail reich und liebevoll gestaltet sind die Marktbuden en miniature - etwa der Nürnberger Lebkuchenhersteller "Zucker-Bär" und "Heinrich Haeberlein" oder eine "Lisl Petevacova" mit Baumschmuck aus Gablonz. Sie erinnern an die vielerorts schon seit langem abgehaltenen Christkindl- und Weihnachtsmärkte (in Wien seit 1296), ausgestattet mit dem Recht für Handel- und Gewerbetreibende, später wichtige Absatzmöglichkeit für Spielzeughersteller aus Berchtesgaden, Nürnberg, Oberammergau und aus dem Erzgebirge. Schautafeln für die Schule und Puzzlespiele zeigen solche Marktszenen, in denen das Nebeneinander verschiedener Gesellschaftsschichten wertfrei dargestellt ist.

Die heimlichen Hauptdarsteller der Sammlung sind "Nikolaus und Krampus", entsprechend ihrer Bedeutung in Süddeutschland und Österreich. Die Vielzahl und Vielfalt dieser so gegensätzlichen Gestalten in Rot/Weiß und Schwarz werden nur noch übertroffen von den teuflischen Solisten in harmloser, sportlicher oder höfischer Kostümierung, als Schuljunge, musizierender Ungar oder gar als Krampusdame im Cocktailkleid phantasievolle Kreationen, zugleich Behältnisse für feines Naschwerk zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als in Wien die Krampus-Mode um sich greift.

Um den Krampus geht es somit auch auf den meisten Postkartengrüßen aus Wien. Drastische Darstellungen vom Krampus als vermeintlichem Erzieher mit oft handschriftlichen Zeilen vom "Nikolaus" zeigen, dass solche Karten auch als Kinderschreck eingesetzt wurden: der Krampus, Mädchen an den Haaren zerrend, mit Kette und Sack ausgestattet, um Unartige zu entführen. Aber auch andere Deutungen sind möglich: Der Unhold wird zur teuflisch herzigen Puppe verharmlost, für Erwachsene zum eitlen Galan mit erotischen Hintergedanken.

Ein eigenes Thema widmet sich den Bergmannsleuchten und Lichterengeln, den Nussknackern und Räuchermännern, den Weihnachtspyramiden; von den Bergleuten im Erzgebirge gefertigt, waren sie begehrte Weihnachtsartikel auf allen Märkten. Mit beginnender Industrialisierung kommen Serienproduktion und Handel in Schwung, die Herstellung etwa von Schokoladennikolaus und -krampus in großer Stückzahl nimmt seinen Anfang wie die ausgestellten Gussformen zeigen.

Schon um 1900 kennt die Weihnachtspost Briefbögen und -karten mit Vordruck, Glanz, Gold und Glimmer, den "Wunschzettel" aus dem Spielwarengeschäft. Modisch bewusste Damen hingegen zieren die Künstlerkarten der Wiener Werkstätten, vor allem aber auch dankbare Grüße und Wünsche der Kinder an ihre Eltern.

Die häusliche Familienweihnacht hat ihre spezifische Ausprägung im städtischen Bürgertum erst im Biedermeier erfahren. Das wilde öffentliche Treiben mit Volksfestcharakter auf Märkten und Plätzen hielt sich daneben bis zur Jahrhundertwende.

Mittelpunkt des Weihnachtsfestes in der Familie ist der Christbaum mit seinem Schmuck, den die Ausstellung in seiner Vielfalt und Schönheit in allen Materialien vorführt und dem in dem reich bebilderten Katalog besonders hierzu ein ausführlicher Beitrag gewidmet ist.

Neben dem glanzvollen Fest gab es aber auch Weihnachten im Krieg, ein bisher kaum beachtetes Thema, auf das nur mit wenigen Objekten eingegangen wird: ein bescheidener Christbaum von 1914, darunter "Neuestes Kriegsspiel für jung und alt", Postkarten der Feldweihnacht 1914, ein Foto der Soldaten im Schützengraben mit Post von daheim. Erinnerungen an Weihnachten im Krieg - neben den glitzernden Julkugeln (1940) als Zeugnis der offiziellen Weihnacht - finden sich in dem Buch "Deutsche Kriegsweihnacht" handschriftlich gewidmete Gedanken eines Einzelnen: "1918 - 1944 -? Wenn uns beiden nochmals eine so große Spanne Zeit geschenkt wird, dann wollen wir sie glücklicher gestalten".

Bis 4. Februar 2001 Bayerisches Nationalmuseum, Prinzregentenstraße 3, D-80538 München Tel.: 0043-89-211 24 216 Internet: http://imadvent.de

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