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Marta S. Halpert über Hilde Spiels Kunst der schreiberischen Verführung.

Hilde Spiel 1911-1990

Essayistin

Das Wiederlesen von Hilde Spiels Texten weckt eine unstillbare Sehnsucht, ein fast gieriges Verlangen nach dieser gebildeten und durchdachten Sprache, die sich auch in den Furche-Beiträgen des Jahres 1958 wunderbar entfaltet. Das unzertrennliche Verhältnis zwischen Musik und Sprache bekräftigt sie in ihrem Bericht über "Theater in England". Da kontert die Essayistin, Romanautorin und Übersetzerin den verbreiteten Vorwurf, die Engländer hätten keine Nationaloper, mit dem Hinweis auf Shakespeares "Hamlet" und schreibt: "Seit Jahrhunderten berauschen sie sich an der Musik seiner Poesie." Logisch argumentiert sie ihre Theorie und nimmt den Leser an der Hand, sodass er am Ende ihrer Kritik sicher ist, einem musikalischen Opus und nicht einem Drama gelauscht zu haben.

Diese Kunst der schreiberischen Verführung beherrscht Spiel meisterhaft - auch in einer ganz anderen Materie: "Parforcejagd durch das Universum" nennt sie das Porträt des Astrophysikers Fred Hoyle. Spiel besitzt eine derart fundierte Bildung und Breite des Denkens, dass sie auch bei kosmologischen Hypothesen glaubwürdig bleibt - heute aktualisiert durch die "Intelligent Design"-Debatte.

Zu der Vielfalt der Themen drängt sich das Wissen um ihren steinigen Lebensweg auf: das Exil in London zwischen 1936 und 1963 sowie zwei Jahre im Nachkriegs-Berlin (1946 bis 1948). Das physische Überleben und psychische Bestehen im Exil fordert den entwurzelten Menschen heraus, vieles, fast alles können zu müssen.

Intellektuell aufmüpfig

Der Glaube an die unauflösliche Symbiose zwischen Sprache und Musik wurde ihr schon in der Schule eingeimpft. Nach dem Realgymnasium wechselte Spiel in die Reformschule von Eugenie Schwarzwald. Hier gehörten u. a. Arnold Schönberg, Adolf Loos und Oskar Kokoschka zu ihren Lehrern. Diese Erfahrung beschreibt sie in ihren Erinnerungen: "Hier beginnt meine Menschwerdung, hier spinnen sich lebenslange Freundschaften." Aus dieser Zeit kennt die intellektuell Aufmüpfige Fritz Thorn und Fritz Kantor (späteres Pseudonym: Friedrich Torberg). Mit ersterem verband sie eine lebenslange Freundschaft, mit letzterem eine ebenso lange Feindschaft, die öffentlich ausgetragen wurde. 1951, nach einer Diskussion über Thomas Mann im Café Hawelka, war die Versöhnung zwischen dem "Brecht-Fresser" Torberg und der linksliberalen Theaterkritikerin nicht mehr möglich.

Spiels Sprache ist heute ebenso modern und gültig wie damals. Doch heute gewährte ihr kaum ein schnelllebiges Medium den Platz, damit sich Sprache und Musik vereinen können. Denn man erklärt uns beharrlich, dass wir angeblich alles nur "schnell, kurz und griffig" haben wollen. Der Konsument - Leser ist schon ein selten verwendeter Begriff - habe nur eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne. Dann schnell her mit dem Häppchen: Wer braucht schon die didaktische Kritik eines künstlerischen Werkes - Hauptsache, man kann in der "Society" mitreden.

Keine Häppchenpublizistik

Als echte Außerirdische wäre sich Hilde Spiel bei den so genannten Starkolumnistinnen vorgekommen, wenn sie deren abgehackte "Schreibe" erkannt hätte. Vielleicht hätte sie diesen Trick als pure Angst vor dem verflixten Beistrich eingeordnet. Aber nie hätte sie sich angemaßt, über etwas zu schreiben ohne vertiefendes Studium der Materie. Was hätte sie über die Handvoll Wiener Philosophen und Promi-Intellektuellen gesagt, die sich gedrängt fühlen, auf Knopfdruck meinen zu müssen.

Als Meisterin des Briefeschreibens korrespondierte Spiel mit der geistigen Elite: von Theodor W. Adorno bis Carl Zuckmayer. Wie wütend wäre sie über die unqualifizierten Wortmeldungen gewesen, die sich selbst ernannte Canetti-Experten aus Anlass seines 100. Geburtstages zugestanden haben. Wie peinlich wären ihr die Anbiederungsversuche zu Simon Wiesenthals Tod gewesen. Da kannte ihn plötzlich so mancher, der ihn bei politischen Konflikten kläglich allein gelassen hatte.

"Im Mittelpunkt steht Shakespeares Wort", schreibt Hilde Spiel in ihrer Hamlet-Platten-Rezension und schwärmt vom Drama wie von einer meisterlichen Opernaufführung. "Man vermag gebannt zu lauschen wie daheim im verdunkelten Zimmer." Das darf man getrost weiter tun: Von der musikalischen Sprache träumen und Hilde Spiel wieder lesen.

Die Autorin ist Österreich-Korrespondentin des "Focus", war Herausgeberin der "Illustrierten Neuen Welt" und berichtete für "Jerusalem Post" und "Newsweek".

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