Sehr diesseits von Afrika

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Ein Versuch über die afrikanische Seele des österreichischen Fußballs, seine Inkompatibilität mit der deutschen Disziplin und die vergeblichen Versuche, die ballesterische Unterhaltung durch öde Taktik zu vernichten.

Von Südafrika ist Österreich so weit entfernt wie vom modernen Fußball. Dieser Umstand hat, wie alles im Leben, seine Vor- und Nachteile. Einerseits erschwert er zum Beispiel die Teilnahme nicht nur an End-, sondern vor allem auch an kenntnisreichen Gesprächsrunden sowohl über Fußball als auch über Afrika. Andererseits festigt er das von eben dieser Kenntnis weitgehend befreite Vorurteil zur Gewissheit. Und so was ist nie schlecht in solchen Zeiten, in denen einer zuweilen irre daran werden kann, ob er nun ein Mandel sei oder doch eher ein Weibel.

Was aber jetzt den Fußball betrifft, führt diese von Vorurteilen wohl genährte Gewissheit wiederum ins Irrewerden. Man muss nur weit genug zurückschauen, um in der dem Klischee verpflichteten Zustandsbeschreibung des afrikanischen Fußballs jenes österreichische Selbstbild zu erkennen, das unsereins immer noch gerne hätte. Wer alt genug ist, kann sich wohl noch gut erinnern, dass dem heimischen Kicker gerne das Geniale nachgesagt wurde – von Matthias Sindelar über Ernst Happel bis von mir aus Herbert Prohaska. Diesem Genialen – der viel beschworenen Brieskickerei – stand bloß die Disziplin, die taktische Ordnung, der Plan entgegen. Als die von Österreich seit jeher zutiefst verachtete Einsicht, dass Fußball ein kollektives, ja kollektivistisches Spiel ist.

In der Einöde der Disziplin

Genau das sagt man, die deutsche Analyse übernehmend, über den afrikanischen Fußball, und zwar durchaus ungeachtet der Tatsache, dass sich Kamerun, Ghana, Elfenbeinküste, Nigeria oder Südafrika in etwa so gut vergleichen lassen wie Italien, Spanien, Deutschland oder England. Aus deutscher Sicht mag das ja seine Berechtigung haben. Dort, wo die Disziplin – in physischer wie taktischer Hinsicht gleichermaßen – seit jeher das höchst denkbare Gut gewesen ist, beschreibt man damit einen Gegensatz: wir so, die so. Hierzulande dagegen gerät man damit unversehens auch dann ins Selbstbild, wenn das vom Augenschein in keinem Fall bestätigt werden kann. Österreich und ballesterische Disziplin waren von Anfang an inkompatibel. Wobei das Erstaunliche nicht die dafür notwendige Blödheit der Protagonisten gewesen ist, sondern die Erwartung der Zuschauer. Im Vorfeld des wichtigsten Spiels des heimischen Wunderteams, des „Jahrhundertspiels“ gegen England 1932, vermerkten die hysterische Reporter, dass der englische Stil zwar effizienter sei. Sehr zu Recht (England siegte 4:3), aber, so hielt man auch fest, so was Endzweckorientiertes wolle „bei uns niemand sehen“.

Ganz genauso wird „der afrikanische Fußball“ seit gut zwei Jahrzehnten beschrieben. Kameruns Viertelfinal-Vorstoß bei der Italien-WM 1990 hat den Ton gesetzt. Der damals schon angejahrte Roger Milla, der jedes Tor mit einem neuartigen Kopulationstanz mit der Cornerfahne feierte, schlug den Rhythmus. Weltmeister aber wurden die staubtrockenen, dem Tanzen und anderen Ausgelassenheiten abholden Deutschen.

Der brotlose Walzer

Und wie beschrieb Europa in den Dreißiger- und, auslaufend, in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts den Erfolgslauf der Wiener? Man sprach vom „Walzer“, sehr mit Respekt, ja Genuss. Wunderbar zum Zuschauen, hieß es. Aber – das fiel nicht nur den Deutschen, Italienern und Engländern auf – ein wenig brotlos. Weltmeister ist Österreich nie geworden. Zwei Mal, 1934 und 1954, war man knapp dran. Aber im Fußball gilt: Knapp daneben ist auch vorbei. In Österreich hat man das zur damaligen Zeit in verkehrter Reihenfolge verstanden: Vorbei ist auch nur knapp daneben.

Ein folgenschwerer Wahrnehmungsirrtum, der unter anderen auch den Ungarn unterlaufen ist. Die großen afrikanischen Nationen – Kamerun, Nigeria, Elfenbeinküste, Ghana – haben die Zeit einer solchen Irrtumsgefahr offenbar hinter sich gebracht. Zu sehr sind die Protagonisten der Nationalteams in den wirklichen Fußball involviert, als dass sie den Wert taktischer Disziplin missachteten.

Berührungspunkte mit afrikanischen Fußballern hat es in Österreich immer wieder gegeben. Aber nur einmal hat ein Verein versucht, eine quasi afrikanische Philosophie einzuführen. Für ein halbes Jahr hatte der Deutschtürke Muhsin Ertugral – er war in Kapstadt bei den Kaizer Chiefs und hatte zuvor Zaire ins Viertelfinale des Afrikacups gebracht – den SV Matterburg gecoacht. Wollte die „Freude am Spiel“ zurückbringen - und scheiterte fulminant. Lang ließe sich darüber debattieren, warum. Im Grunde scheiterte er an Österreich, das satt und in sich gefestigt genug ist, dem Fremden auch dann noch Widerstand zu leisten, wenn klar ist, dass man sich damit zum Trottel macht.

Mittlerweile fährt der Teamchef – nicht der Mattersburg’sche, sondern der österreichische – nicht einmal mehr ins nahe Ausland, um sich dort über die eigenen Legionäre kundig zu machen. David Alaba, Rookie bei Bayern München, musste sich für das U-19-Team quasi selbst aufstellen. Man kann das irgendwie durchaus verstehen. Die Welt ist ja insgesamt ungemein kompliziert. Und das Komplizierteste auf der Welt ist keineswegs das Finanz-, sondern das ballesterische System. Da spricht nichts dagegen, sich zurückzuziehen in den eigenen Saft. Die Afrikaner – große, dem alten Österreich und dem alten Ungarn vergleichbare Nationen wie Ghana oder Elfenbeinküste vor allem – stehen vor einer ähnlichen Herausforderung. Ihnen droht, wie einst dem calcio danubiano, allmählich die Crux der Augenhöhe.

Dort aber, auf Augenhöhe mit der wirklichen Fußballerwelt, zieht dann leider der schönste aller heimischen Schmähs nicht mehr. In Italien 1990 hatte Kamerun mit dem tänzerischen Einzug ins Viertelfinale – und der dortigen 2:3-Niederlage gegen England in der Verlängerung – noch „praktisch gewonnen“, wie man hierzulande sagt. Solch ein praktischer Sieg genügt den Afrikanern diesmal wohl nicht.

Und so gesehen hat sich der deutsche Kabarettist Dieter Nuhr als Prophet erwiesen. 1998 – es war in Frankreich – gab er Folgendes zu Protokoll: „Ich habe mir Österreich gegen Kamerun angeschaut. Auf der einen Seite Exoten, fremde Kultur, wilde Riten – und auf der anderen Seite Kamerun.“ Viel differenzierter kann man die Angelegenheit nicht mehr betrachten.

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