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Mit der Wagner-Oper "Siegfried" geht der neue Wiener Ring in seine zweite Runde. Die Premiere wurde vor allem ein Fest für Dirigent Franz Welser-Möst.

Allem und jedem versuchen wir, hermeneutisch plappernd eine Antwort abzupressen", schimpft Sven-Eric Bechtolf. Er jedoch wolle Bühnenfiguren keine "Pappschilder, auf denen eine Gebrauchsanweisung steht", umhängen. Dieses Credo des deutschen Regisseurs und Schauspielers hat sich in seiner Inszenierung von Richard Wagners "Ring des Nibelungen" an der Wiener Staatsoper niedergeschlagen. Insbesondere bei "Siegfried", mit dem der neue Wiener "Ring" letztes Wochenende in die zweite Runde ging, lässt sich Bechtolf auf keinerlei Deutungen, Interpretationen und Kommentare ein, sondern erzählt eine einfache, für jeden verständliche Märchengeschichte. Dieses Konzept der "vorsätzlichen Naivität" (Bechtolf) wurde trotz einiger Buhrufe vom Premierenpublikum mehrheitlich gut aufgenommen.

Vor allem aber wurde "Siegfried" zu einem Triumph für Dirigent Franz Welser-Möst und die Sänger. Der designierte Musikdirektor der Staatsoper vermag mit der reichen Farbpalette der an Leitmotiven überreichen Partitur meisterlich umzugehen: Das Staatsopernorchester - vulgo: Wiener Philharmoniker - durchmisst in der über fünf Stunden langen Aufführung eine gewaltige Bandbreite von den zarten Klängen des Waldes bis hin zur erotischen Ekstase von Siegfried und Brünnhilde. Hier ist wirklich alles zu hören, was Wagnerianern Wonne wirkt: Grieseln und Grausen, Waldweben, wabernde Brunst, wonnige Glut, sehrendes Sehnen. Ein großartiges Ensemble steht bei diesem "Siegfried" auf der Bühne, zwei Sängern aber erwies das Publikum verdientermaßen die meiste Gunst: zum einen Heldentenor Stephen Gould als ungestümer Kraftprotz Siegfried, der in jugendlichem Tatendrang den Drachen Fafner tötet, den Nibelungenring in seinen Besitz bringt, seinen Ziehvater Mime erschlägt und die schlafende Brünnhilde aus ihrer Gefangenschaft befreit. Zum anderen bejubelte das Publikum Juha Uusitalo in der Rolle des zum "Wanderer" gewordenen Gottes Wotan, der im Kampf mit Siegfried endgültig seine Macht einbüßt. Verziehen ist, dass dem Bassbariton bei der Premiere der "Walküre", die den "Ring" vor fünf Monaten einläutete, die Stimme versagte. Verdienter Jubel auch für Nina Stemme als brünstige Brünnhilde, für Herwig Pecoraro als hinterhältigen Mime und für Anna Larsson als untote Erda.

Irritierende Blicke

Während Regisseur Bechtolf tiefere Deutungen konsequent verweigert, lässt das Bühnenbild von Rolf Glittenberg Platz für Hermeneutik: Mimes Höhle im ersten Akt ist eine frühmoderne Werkstatt mit Schraubstöcken und mächtigen Lüftungsventilatoren. Im durch Geäst angedeuteten Wald des zweiten Aktes laufen ausgestopfte Tiere die Wände hinauf und suggerieren so einen irritierenden Blick von oben. Bevor Fafner (Ain Anger) als schlangenhafter Wurm persönlich in Erscheinung tritt, beherrscht der Drache als riesenhaftes, an die Wand projiziertes Echsenauge die Szene. Im dritten Akt erinnert die Bühne an den Innenraum einer modernen Kirche. Am Ende öffnet sich dieser in jenen weißen, neoklassizistischen Saal hinein, der schon bei der "Walküre" die Szenerie umrahmte.

Ein Kontrapunkt zu Wagners "Ring" war in der ersten Pause direkt vor der Oper zu erleben. Amüsiert beobachteten die elegant gekleideten Premierengäste, wie sich dort eine Horde Fußballfans versammelte. Eine Begegnung zweier Welten: Draußen archaische Gesänge über meisterliche Ballkünstler, drinnen meisterhafter Kunstgesang über einen archaischen Mythos.

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