Sein Glaube ist Rot-Weiß-Rot

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Am 10. Juni feierte Alois Mock seinen 75. Geburtstag. Diesen Freitag findet ein vom VP-Parlamentsklub und dem Land Niederösterreich veranstaltetes Fest zu Ehren des langjährigen Vizekanzlers, Außenministers und ÖVP-Obmanns im Parlament statt. – Ein Rückblick auf die großen Triumphe und die bitteren Niederlagen des „Helden von Brüssel“.

Zweimal ist Alois Mock den Österreichern als Mensch in all seiner Schwäche und Zerbrechlichkeit auf unvergessliche Weise nahegekommen: Es war am Tag seiner tiefsten Niederlage und an jenem seines größten Triumphs: Am 23. November 1986 verfehlte die ÖVP unter der Führung von Mock um nur 90.000 Stimmen die Mehrheit und damit die Wiedereroberung des Bundeskanzlers, die Mock so ersehnt hatte.

An jenem Abend, der die Partei und ihren Vorsitzenden, die mit einem Sieg gerechnet hatten, wie ein Keulenschlag traf, sahen die Zuschauer einen Alois Mock wie in Trance, der in seiner abgrundtiefen Enttäuschung keine Worte fand. Später mochte man darin schon die Anzeichen jener schweren Krankheit sehen, die das Bild Mocks in der Öffentlichkeit über viele Jahre hinweg prägen sollte. Eine schreckliche Ironie wollte es, dass ausgerechnet Jörg Haider, dessen FPÖ ihren Stimmenanteil verdoppelt und dadurch das Schicksal der ÖVP besiegelt hatte, Mock zu Hilfe eilte und ihn ins Bild schob.

Das zweite Ereignis waren die Feiern nach den dramatischen nächtlichen Verhandlungen um den Beitritt Österreichs zur EU in den frühen Morgenstunden des 1. März 1994. Mock, wieder an der äußersten Grenze seiner körperlichen Kräfte, wurde als der „Held von Brüssel“ gefeiert. Im Überschwang der Gefühle drückte er der verdutzten Staatssekretärin Brigitte Ederer das berühmte Busserl auf die Wange.

„Der brave Bub des Santa Klaus“

In beiden Situationen zeigte sich etwas vom Charakter dieses Mannes: Die Zähigkeit und Unverdrossenheit, auch in der Niederlage nicht aufzugeben und sein Ziel weiterzuverfolgen. Und die Mäßigung im Erfolg. Beides mag mit dem starken, aber unprätentiösen Glauben zu tun haben, den er unauffällig praktiziert.

Noch ein drittes Bild von Alois Mock hat sich dem Gedächtnis Österreichs und Europas unauslöschlich eingeprägt. Es ist jenes vom 27. Juni 1989, als er und der ungarische Außenminister Gyula Horn den Eisernen Vorhang an der österreichisch-ungarischen Grenze durchschnitten. Es war Mock, der diesen Anlass gewollt hatte. Er verstand, welche symbolische Kraft von einem solchen Ereignis ausgehen würde. Tatsächlich hat es die politische Bewegung in den übrigen kommunistischen Ländern beflügelt, die alle noch im selben Jahr ihre Freiheit gewannen.

Bundeskanzler Josef Klaus, dem Mock den Start zu seiner Karriere verdankt, sagte etwas für Mock sehr Charakteristisches: „Er war in jeder seiner vielen Positionen immer besser, als man erwartet hatte.“ Man könnte es auch andersherum sagen: Er wurde immer unterschätzt. Als Klaus den jungen Diplomaten 1966 aus Paris in sein Kabinett holte, verspottete man Mock als den „braven Buben des Santa Klaus“. 1969 machte Klaus den damals erst 35-Jährigen zum Unterrichtsminister.

Nach dem Ende der ÖVP-Alleinregierung begann die Parteikarriere Mocks: Chef des ÖAAB, Klubobmann, 1979 Parteiobmann. Mit seinem Generalsekretär Michael Graff inszenierte er gegen den Bau des Konferenzzentrums das bisher größte Volksbegehren. 1983 gelang es ihm, die absolute Mehrheit der SPÖ zu brechen. 1986 wurde Kurt Waldheim Bundespräsident, den Mock gegen alle Widerstände durchgesetzt und verteidigt hatte.

Von der Partei im Stich gelassen

Das Jahr 1986 war die eigentliche Wende im Leben von Alois Mock. Der Traum von der Kanzlerschaft war vorbei. Mock hatte seiner Partei immer die Option eines Zusammengehens mit der FPÖ als Weg zu einer ÖVP-Kanzlerschaft offengehalten. Genau in dem Augenblick, als sich die Gelegenheit dazu bot, ließ ihn die Partei im Stich. Er kam im Parteivorstand mit dem Vorschlag einer ÖVP-FPÖ-Regierung nicht durch und musste in eine Regierung mit der SPÖ als Vizekanzler eintreten. Erst dreizehn Jahre später ergriff Wolfgang Schüssel dieselbe Chance.

Die bittersten Niederlagen wurden Mock oft von seiner eigenen Partei, der er so tief verbunden ist und die ihn zu ihrem Ehrenobmann machte, zugefügt. Nach der Wahl 1986 begann die damals noch mächtige steirische ÖVP seine Ablöse als Parteiobmann zu betreiben. Dabei musste ein so grundanständiger Mensch wie Mock erleben, wie wenig Anstand die Partei haben konnte. In der Öffentlichkeit wurde schon längst gemunkelt, Mock werde gehen müssen, aber niemand hatte den Mut, es ihm offen zu sagen. Er wurde schließlich in ein niederösterreichisches Stift gebeten, wo man ihm den Beschluss der Partei mitteilte.

Aber die persönliche Tragik barg einen neuen Anfang, der Mock schließlich zu einer historischen Gestalt werden ließ. Als Außenminister begann er konsequent, auf den Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft hinzuarbeiten. 1989 deponierte er in Brüssel Österreichs Beitrittsgesuch. Dass später Bundeskanzler Franz Vranitzky und nicht er als der eigentlich Treibende dafür den europäischen Karlspreis bekam, erlebte Mock als Ungerechtigkeit.

Im neuen Amt fand er dann seine wirkliche Berufung. Er erkannte die Gefahr, die von den Kriegen im zerfallenden Jugoslawien ausging und setzte sich entschlossen für die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens ein. Bis heute verzeihen ihm viele das nicht. Von den Sozialisten wurde die unsinnige Behauptung erhoben, er wolle „in Osteuropa Religionskriege führen“. In absichtlicher Verdrehung der Tatsachen wurde die Anerkennung Kroatiens, die er zusammen mit dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher einfädelte, als Ursache des Krieges dargestellt. Heute ist Mock längst durch die Geschichte rehabilitiert.

In jenen Jahren begann Mocks schwere Krankheit manifest zu werden. Er selbst machte sie dadurch schlimmer, indem er sich eine kaum zu tragende Arbeitslast auflud. Er schlief nur ein paar Stunden und telefonierte in der Nacht mit der ganzen Welt. Dass Mock seine Krankheit verdrängte und verleugnete, obwohl ihre Symptome in drastischer Deutlichkeit für jedermann zu sehen waren, löste weniger Mitleid als Kopfschütteln aus. Aber solche Dinge bleiben letztlich wohl im Geheimnis eines Menschen verborgen.

Gegen alle bösen Stimmen wird man aber sagen müssen: Seine Arbeitsfähigkeit und seine intellektuelle Kraft hat Mock nicht eingebüßt, solange er im Amt war. Bei seinen ausländischen Partnern genoss er höchsten Respekt. Er konnte geistreiche Tischreden halten, in die er unweigerlich die Floskel einflocht: „Long speeches move the chairs, short speeches move the hearts.“ Bei einem Abendessen in London saß er, von Krämpfen geschüttelt, zwischen Premierminister James Callaghan und Außenminister Douglas Hurd. Alle schauten voll Schrecken auf ihn. Plötzlich sprang er wie von einer Feder geschnellt auf und hielt eine brillante Rede, für die er jubelnden Beifall erhielt, aus dem auch eine gewisse Erleichterung sprach.

Triumph des Geistes über den Körper

Im Kern blieb Mock aber doch ein österreichischer Innenpolitiker, genauer gesagt ein niederösterreichischer. Er denkt in Kategorien von Macht und Einfluss. Das zeigte sich auch im Außenministerium und in der EU-Politik. Mit größter Konsequenz versuchte er, den Einfluss der SPÖ auf die Außenpolitik zurückzudrängen, was am effektivsten durch Personalpolitik geht, die eine alte Spezialität des niederösterreichischen ÖAAB ist. Im Ministerium machte er sich dadurch nicht nur Freunde. Sein Abgang von der großen politischen Bühne war nicht freiwillig, aber er nahm ohne Larmoyanz hin, was die Partei befahl.

Die letzte berufliche Begegnung mit Alois Mock hatte ich vor einigen Jahren für ein Interview. Er bestand darauf, hinter seinem Schreibtisch im Büro des Ehrenobmanns im ÖVP-Haus zu sitzen, obwohl er sich kaum auf dem Sessel halten konnte. Seine Sätze waren fast nicht verständlich, sodass ich mir Sorgen machte, ob aus dem Gespräch überhaupt ein brauchbares Interview werden würde. Aber dann kamen in jeder seiner ausschweifenden Antworten ein paar Worte oder Sätze von größter Klarheit, die davon zeugten, dass dieser so hinfällige Mann von höchster Geistesgegenwart war. Ein Zeugnis des Triumphs des Geistes über die Hinfälligkeit des Körpers.

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