SELFIE statt Van Gogh

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Arno Geigers neuer Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" geht dem Schmerz der ersten Trennung nach. Statt Ästhetik überwiegt eine Banalität des Alltags.

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Arno Geigers neuer Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" geht dem Schmerz der ersten Trennung nach. Statt Ästhetik überwiegt eine Banalität des Alltags.

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Das Zwergflusspferd ist selten und ähnelt im Wesentlichen seinen größeren Artgenossen: Es ist korpulent, ziemlich träge und einzelgängerisch. Keine sehr elegante Erscheinung also, doch Julian Birk, der Protagonist und Ich-Erzähler in Arno Geigers neuem Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" ist fasziniert: "In diesem Moment hatte ich die Schönheit dieses rundlichen, schwarzgrünen Geisterwesens natürlich längst erkannt, schön wie ein Segelschiff in finsterer Nacht, schön wie ein Priester im dunstigen Wald. Der Himmel spiegelte sich auf dem blanken, feuchten Rücken des Zwergflusspferdes." Seine Zuneigung zu dem Koloss in Miniatur verwundert nicht, ist er doch selbst ein bisschen wie das Zwergflusspferdweibchen, das der 22-jährige Veterinärmedizin-Student einen Sommer lang im Garten eines schwer kranken Professors versorgt. Als Kind dicklich und ein Außenseiter, fühlt er sich auch als Student auf Partys und Ausflügen mit Freunden unsicher und deplatziert.

Ferngesteuert

Der Roman erzählt von einem Sommer in Julians Leben. Von seiner Freundin Judith verlassen, treibt er todunglücklich durch die Tage, bis er für Kumpel Tibor dessen Aufgaben beim wenig zugänglichen Professor Beham übernimmt. Gras schneiden für das Flusspferd, das Gehege reinigen, dem Professor und seiner Tochter Aiko zur Hand gehen sind fortan die täglichen Routinen.

"Selbstporträt mit Flusspferd" ist ein Roman über die Krisen der Jugend, wenn das Ende der ersten großen Liebe dem Ende der Welt gleichbedeutend scheint und man meint, nun den Rest des Lebens allein verbringen zu müssen. Das Aufteilen der gemeinsamen DVDs wird zum psychologischen Krieg, jedem noch so kleinen Detail größte Bedeutung beigemessen, was sich in einer zum Teil etwas pathetischen und bedeutungsschwangeren Sprache niederschlägt: "Jetzt beugten sich die finsteren Engel der Trennung über mich, und mit plötzlicher Wucht erkannte ich die Spannweite von dem allen."

Es dauert allerdings nicht lange, bis Julian sich in die fünf Jahre ältere Aiko verliebt und das Gefühlschaos von neuem beginnt. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, schwankend zwischen der absoluten Egozentrik der ersten Verliebtheit, in der die restliche Welt ausgeblendet wird und man wie ferngesteuert funktioniert und dem Leiden an den Zuständen eben jener restlichen Welt, die das eigene Leid lächerlich erscheinen lässt - das ist der Konflikt von Geigers Protagonisten.

Katastrophen als Kontrast

Julians überschäumende Gefühlswelt wird kontrastiert mit den täglichen Katastrophen der Außenwelt. Obsessiv verfolgt er die Nachrichten, Wirbelstürme, Attentate, die Geiselnahme von Beslan, bei der im September 2004 über 300 Menschen ums Leben kamen.

Das Flusspferd spiegelt Julians Situation: Es ist abgeschottet in seinem Gehege, bewegt sich nicht viel und nimmt nur wahr, was an seinem Zaun auftaucht, ohne selbst Einfluss darauf nehmen zu können. Wie das namenlose Tier, das nach dem Sommer sein Domizil im Garten des Professors verlassen muss, kann auch Julian nicht in diesem Zustand verharren. Die Zeit des Erwachsen-Seins ist angebrochen.

Es passiert wie immer wenig Aufregendes, Geiger geht es um das Alltägliche, nicht um das Exzeptionelle. Daran ist an sich nichts auszusetzen, und der 46-jährige Vorarlberger verfügt auch über die erzählerischen Mittel, um seine Protagonisten und ihr Leben glaubhaft erscheinen zu lassen. Einen weiteren Adoleszenz-Roman zu schreiben, ist zwar nicht sonderlich originell man könnte genauso gut Goethes "Werther" abermals zur Hand nehmen - aber die Themenwahl ist auch nicht das Problem, Traditionen schreiben sich nun mal fort. Es gibt wenige Autoren und Autorinnen, die sich darauf verstehen, die Banalität des Alltags ästhetisch in Spannung zu verwandeln. Geiger gehört, zumindest mit seinem neuen Roman, nicht dazu. Glaubwürdigkeit allein reicht nicht aus, um einen fast dreihundert Seiten langen Text zu tragen.

Unentschlossen und passiv

Irgendwann interessiert es den Leser nur noch mäßig, ob Julian Aiko jetzt zufällig in der Küche oder im Garten über den Weg läuft. So kommt Langeweile auf und der Ich-Erzähler ist in seiner Unentschlossenheit und Passivität ermüdend. "Ich wurde nicht gefragt" ist seine Einstellung zu den Dingen und so nimmt er sie einfach hin, ein passiver Zuschauer seiner eigenen Existenz. Inkonsequent ist auch die Erzählsituation: Der Ausgangspunkt des Romans ist ein zufälliges Aufeinandertreffen von Julian und Judith nach mehreren Jahren. Dass der Ich-Erzähler mit einigen Jahren Abstand auf die Zeit der Trennung von Judith zurückblickt, vergisst man nach den ersten Sätzen. Die Konstruktion des Rückblicks sollte Distanz zum Geschehen und Reflexion ermöglichen, beides fehlt hier indes völlig. Stattdessen herrscht eine erzählerische Unmittelbarkeit vor, die die Figur statisch wirken lässt. So bleibt "Selbstporträt mit Flusspferd" leider ein generationstypisches Selfie, das der Selbstinszenierung des Produzenten dient, den Rezipienten allerdings gleichgültig lässt.

Selbstporträt mit Flusspferd

Roman von Arno Geiger

Hanser Verlag 2015.

287 Seiten, geb., € 20,50

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