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Dakar: Westafrikanische Metropole mit vielen Gesichtern. Und der einstige Sklavenmarkt als Weltkulturerbe.

Ein Taxi nach Les Almadies!" Der Hotelboy winkt eines der vielen gelben Autos herbei, die im Zentrum von Dakar auf Kunden warten. Ruckartig löst sich der Fahrer aus seinem Dämmerzustand, öffnet den Wagenschlag. Die Tür ist total zerbeult. Die Windschutzscheibe hat mehrere Sprünge. Die Polsterung ist zerrissen. Aber das Vehikel fährt noch. Das Abenteuer Afrika kann beginnen.

Nach zwei Häuserblocks bleibt der Fahrer stehen, winkt ein anderes Taxi heran. "Une nouvelle voiture", sagt er zu mir. Der Wagen ist ebenso verbeult, nur frisch gelb gestrichen. Dass ich kurzerhand in das Taxi des "Bruders" gesetzt werde, erlebe ich in den kommenden Tagen noch öfter. Senegalesische Taxler wissen wohl, was sie ihren klapprigen Gefährten zumuten können. Bei meinem Ausflug zu den Klöstern in Keur Moussa zwei Tage später bin ich froh über brüderliche Hilfe. Denn um den Karren auf der Strecke wieder flott zu kriegen, müssen hilfreiche Geister anschieben.

Dakar, das Plateau. So heißt das Zentrum der quirligen Stadt, mit stinkenden Autos, belebten Märkten, herabgekommenen öffentlichen Gebäuden, einem vernachlässigten Museum. Welch ein Kontrast zum Präsidentenpalast am Boulevard de l'Independance und den imposanten Großbanken, die sich, gepflegt und durch hohe Gitter abgeschottet, dem Straßentrubel entziehen. Bettler in Rollstühlen lagern im Schatten der Alleebäume. Um sie kümmert sich niemand, sie leben quasi im Rudel auf der Straße.

Märkte, Armut, Elend

Die Märkte der Stadt mit ihrer Handwerkskunst, ihren scharfen Gerüchen ziehen die Touristen magisch an. Vorsicht ist angebracht, denn die Händler huldigen schamloser Preistreiberei. Es beginnt im kleinen Marché Kermel, wo Holzmasken, Ketten und Lederartikel feilgeboten werden, und endet im weitläufigen Sandaga-Markt, wo Ausländer von selbst ernannten "Guides" in Fabriken dirigiert und zum Kauf gedrängt werden.

Das Herz von Dakar ist aber die Medina, der Bezirk um die Große Moschee. Armut und Elend bleiben hier nicht verborgen. Ballspielende Kinder zwischen Autos auf der Straße, Ziegen zwischen kochenden Müttern und in ausrangierten Telefonzellen auf den Gehsteigen.

Eine Oase der Ruhe und Sauberkeit ist die Kathedrale an der Avenue de la République. Das katholische Gotteshaus mit dem massigen Kuppeldach wird gerade renoviert - mit Staatsgeldern, wie Vikar Abbé Michel Kama dankbar vermerkt. Die Kirchengemeinde floriert, im angeschlossenen Schulkomplex werden rund 1000 Volksschüler und 500 Gymnasiasten unterrichtet. "Wir Christen sind weit mehr als zehn Prozent", zweifelt Abbé Michel an den offiziellen Zahlen, wonach 95 Prozent der Senegalesen Moslems seien.

Die meisten Christen leben in Dakar und in der politisch unruhigen südlichen Region Casamance. Unter den Muslimen hat die kleine, aber an Einfluss reiche Gemeinschaft der Mouriden das Sagen. An ihren Khalifen liefern sie Steuern ab. Sie besitzen viel Land, auch an den vornehmen Stränden von Les Almadies, und betreiben ein großes Busnetz. Die "car rapides" sind für Tausende Senegalesen das einzige Fortbewegungsmittel. Landauf landab prägen die bunt bemalten Kleinbusse, vollgestopft mit Menschen, mit offener Hintertür, an der der Schaffner hängt, das Straßenbild.

Nationalstolz Sport

Wer es sich in Dakar leisten kann auszugehen, sieht sich in den Restaurants und Musikklubs am Meeresufer um. Viele davon sind in libanesischem Besitz. Die wohlhabenden Libanesen sind "wie eine Mafia" in ganz Westafrika, meint ein Diplomat. Sie besitzen Hotels, Geschäfte, sind Ärzte, Anwälte - und auch Geldverleiher. So mancher jongliert mit drei Pässen und richtet sich's als Honorarkonsul, etwa von Guinea-Bissau. Am Abend promenieren junge Libanesen in schicken, teuren Autos am Strand. "Manchmal schlagen wir sie", sagt der junge Abdou vom Hotel trotzig. Und knurrt ein paar Worte in seiner Muttersprache Wolof.

An der Corniche Richtung Villenviertel Les Almadies sind riesige Möbelmärkte im Sand aufgebaut. Der Verkehr an der Küstenstraße gerät ins Stocken. Hunderte Jugendliche, mit T-Shirts, die "Non à la drogue" verkünden, laufen einen Strandmarathon. Sport wird groß geschrieben. Das schlechte Abschneiden bei der afrikanischen Fußball-Meisterschaft hat nicht nur das Selbstbewusstsein der Senegalesen geknickt, sondern einen handfesten Skandal ausgelöst. Der Sportminister und der Chef des Fußballbundes mussten den Hut nehmen.

Von einer Sportler-, Musiker-oder Malerkarriere träumen viele Jugendliche in Westafrika. Darin sehen sie eine Chance, dem Teufelskreis zu entrinnen. Die Eliten schaufeln währenddessen in die eigenen Taschen. "Die Probleme Afrikas sind zu 80 Prozent ein Problem der eigenen Eliten", meint ein West-Diplomat. "Good governance" ist ein Schlagwort des Westens, dem oft keine Taten folgen. Siehe das Phantom des Industrieparks: Vor zwei Jahren groß angekündigt, beherbergt er noch keine einzige Firma. Das wertvolle Riesen-Gründstück am Meer liegt brach.

Der Vater der Unabhängigkeit des Senegal und erste Präsident, der Katholik Leopold Senghor, wollte seinem Volk beibringen, dass das Leben auch aus vielen schönen Dingen besteht. Er förderte Kunsthandwerk und Kunstschulen "und vernachlässigte die allgemeine Schulbildung", kritisiert eine Europäerin, die schon lange im Senegal lebt. Der heutige Staatschef Abdoulaye Wade, ein Muslim, steht den mächtigen Mouriden nahe.

Kaputte Kunstträume

Heute wird die Kunst in dem stolzen Volk, das sich als Elite Westafrikas versteht, nicht mehr so hoch gehalten. Meine Visite im prestigereichen Museum für Afrikanische Kunst, dem ifan, ist wie der Besuch in einem Geisterschloss: Niemand am Eingang, an der Kassa, in den Schauräumen. Kein Mensch bewacht die afrikanische Kunst, historische Masken und Geräte.

Der österreichische Maler und Filmemacher Tommy Schneider machte jüngst persönliche Erfahrungen mit der herrschenden Lethargie und Korruption. Wie im Vorjahr hielt der profunde Afrika-Kenner einen Malkurs an der Kunstakademie von Dakar. Papier, Farben, alles hat er aus Österreich mitgebracht. Die Studenten sind begeistert: "Ein guter Meister. So offen!" Ihre regulären Professoren nehmen den Job weniger ernst. Sie halten Kurse nach Lust und Laune - und kassieren die Begabtenstipendien ein.

Sklavenhandel-Museum

Ein Blick in die leidvolle Vergangenheit Westafrikas ist ein Muss. 20 Minuten dauert die Überfahrt mit der "Chaloupe" auf die Isle de la Gorée, einst einer der größten Umschlagplätze des Sklavenhandels. Der Besuch des Maison des Esclaves - heute ein Museum, das die unrühmliche Rolle der Weißen dokumentiert - macht betroffen. Rund 30 Millionen schwarze Sklaven wurden dort verschachert wie das Vieh. 60 Kilo war das Idealgewicht eines Arbeiters. Die Menschen wurden klassifiziert, diszipliniert, gewogen, gemästet und nach Amerika verschifft, um auf den Plantagen zu schuften.

Heute gehört die autolose Insel mit dem markanten holländischen Fort Nassau und ihren adretten, renovierten Kolonialhäusern zum unesco-Weltkulturerbe. Künstler haben sich auf dem Eiland niedergelassen und harren kaufwütiger Touristen. Historische Festungsreste und Schützengräben samt Kanonen wurden in Galerien für Kunsthandwerkliches umfunktioniert. In der Borromäus-Kirche erinnert eine Plakette an den Besuch von Papst Johannes Paul ii. im Jahr 1992.

Ein Ausflug zum Lac Rose im Norden von Dakar zeigt die harte Arbeitswelt des westafrikanischen Landes. Hunderte Menschen aus dem Landesinneren, aus Mali und Burkina Faso sind hierher geströmt, um in der Salzgewinnung im See zu arbeiten. Sie holen das Salz aus dem Wasser, das in Säcke abgefüllt wird. Sie leisten Akkordarbeit und hausen in armseligen Hüttendörfern. 24.000 Tonnen Salz werden auf diese Weise pro Jahr gewonnen.

Rosa ist der mineralhältige See übrigens nur bei bestimmten Witterungsverhältnissen. Rosarot ist der Alltag im Senegal auf gar keinen Fall. Selbst wenn dieses Land immer wieder als Vorzeigestaat Westafrikas präsentiert wird - auch von den Senegalesen selbst.

Die Autorin ist Außenpolitik-Redakteurin der apa.

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