Shakespeare ohne Regie

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"Romeo und Julia" missglückt am Burgtheater.

Der Shakespeare-Zyklus im Burgtheater hat seinen Tiefpunkt erreicht. Nach den verschiedenen und recht unterschiedlich rezipierten Interpretationen der letzten Saison ist nun Romeo und Julia als Frührenaissance-Apokalypse zu sehen. Regisseur Sebastian Hartmann, designierter Intendant in Leipzig, hat sich für die Liebestragödie nicht interessiert, auch nicht für die Zeitenwende und auch nicht für Shakespeares perfekte Dialoge zwischen Poesie, Komik und Tragik. Aber was hat ihn dann an Romeo und Julia interessiert? Die Antwort bleibt er schuldig und liefert anstelle dessen düstere Comic-Bilder mit hysterischen Protagonisten. In Hartmanns Endzeit-Stimmung erklären sich jede Emotion und jede Tat vor der Bedrohung durch die Pest.

Eine Figur dazuerfunden

Hierfür hat er eigens eine Figur eingebaut, den "Geist der Geschichte", der von der zarten, seltsam ätherisch anmutenden Mareike Sedl gespielt wird. Sie - die Pest ? - konfrontiert nicht nur mit der steten Todes-Bedrohung, sie verspricht am Ende, wenn Bühnenbildner Jürgen Bäckmann ein fantastisches Hieronymus-Bosch-Bild geschaffen hat, auch die Auferstehung. Hartmann prophezeit also die Erfüllung für die Liebenden im Jenseits.

Dazwischen lenkt Mareike Sedl von der Einfallslosigkeit der Regie ab, so etwa bei der Balkonszene: Da springt sie geschwinde ein und spricht phasenweise die eine oder andere Figur, küsst eifrig mit und lenkt ab von der unbeholfenen Romantik der Julia (Julia Hartmann, die Halbschwester des Regisseurs) als auch des Romeo (Sven Dolinski). Hartmann entwirft zwar gewaltige und archaische Bilder, aber er versteht nichts von Schauspielerführung. Während das junge Paar hilflos nach Konturen sucht, sieht man Kirsten Dene als Amme und Martin Schwab als Vater Capulet an, dass sie sich selbst inszeniert haben. Sie allein bringen hie und da ein wenig Klarheit in Hartmanns bemühtes Entäußerungs-Theater.

Eine besondere Fehlbesetzung ist Markus Meyer als Mercutio, der gänzlich humorfrei und selbstverliebt diese fantastische Shakespeare-Rolle als farbloses, hysterisches "Zornpinkerl" spielt und in einer pseudo-naturalistischen Todesszene verendet. Hartmann bemüht seine Schauspieler um permanente Entäußerung, woran diese aber - vom Regisseur sichtlich allein gelassen - scheitern.

Schaurige Brüllorgien

Anstelle von virtuoser Überzeichnungs-Kunst sieht man schaurige Brüllorgien und hat den Eindruck, dass Hartmann, so wie Frank Castorf oder Luk Perceval, performatives Zeit-Theater machen möchte, dazu aber mit illusionistischen Kanonen auffährt. Das macht das Wiener Theaterpublikum ziemlich mißmutig. Ebenso wie Hartmanns Versuch, Atmosphäre und Emotion mittels melodramatischer Musikeinspielungen herzustellen, die sich nach einer Art Ennio Morricone fürs Theater anhören.

Das heißt auch, dass sich Hartmann nicht auf Shakespeare verlässt, er deutet deshalb die Figuren neu: Aus Pater Lorenzo wird ein verzweifelter Einsiedler, der selbst Gott spielen möchte. Er verfügt nicht nur über pharmazeutische Kenntnisse, sondern ist selbst erfahrener Konsument seiner Tränke, stets am Rande zum Suizid. Und Mutter Capulet (Myriam Schröder): Sie ist Tybalts (Patrick O. Beck) Geliebte. What for?, fragt man sich da. Dass Hartmanns individuelle Welterfahrung zwischen realen Vorgängen und Träumen, Erinnerungen und Vorahnungen gleichermaßen erfolgt (wie er im Programm preisgibt), wie er mit Edgar Allan Poes Zitat "All we see or seem is but a dream within a dream" unterstreicht, vermag seine Umsetzung nicht zu zeigen.

Julia Hartmann als "Julia" und Thomas Lawinky als "Bruder Lorenzo".

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