Krone Tyrann - © Foto: Shutterstock

Shakespeares Dramen: "Hier zeigt man den Tyrannen"

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Shakespeare interessierte sich sehr für die Mechanismen der Macht. Stephen Greenblatt liest die Königsdramen für das 21. Jahrhundert.

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Shakespeare interessierte sich sehr für die Mechanismen der Macht. Stephen Greenblatt liest die Königsdramen für das 21. Jahrhundert.

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Ein namenloser Schreiber kopiert eine Anklage gegen eine bekannte Persönlichkeit und bemerkt dabei, dass die vorgebrachten Vorwürfe gegen den Angeklagten so nicht stimmen können, dass hier offensichtlich jemand beseitigt werden soll unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. "Wer ist so blöd /Und sieht nicht diese plumpe Machenschaft? / Doch wer so dreist und sagt, daß er sie sieht?" Vierzehn Zeilen lang ist diese Szene in William Shakespeares Drama "Richard III", über 400 Jahre ist sie alt und sie führt doch mitten hinein in die Mechanismen von Macht, wie sie auch heute noch gelten.

Das Gerücht ist eine Figur und trägt zu Beginn des zweiten Teils von "Heinrich IV" ein Kostüm, "mit Zungen bemalt", ihre Aufgabe ist, durch "Argwohn, Misstrauen, Mutmaßung" falsche Geschichten in Umlauf zu bringen, mit fataler Wirkung. Erstaunlich wie Fake News und Populismus schon zu Shakespeares Zeiten eingesetzt wurden, durchaus mit Erfolg.

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Meinungsfreiheit gab es keine in Shakespeares England, im Gegenteil. Kritiker konnten rasch im Gefängnis oder am Galgen landen. Mit Literatur oder Theater thematisch der eigenen Zeit und Politik allzu nahezukommen, war also nicht angeraten, aber in historischen Themen und Figuren ließ sich dann doch Kritik und Analyse verpacken -und auch Narren konnte man ungestraft so manches in den Mund legen.

Dramen wie Analysen

"Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert" legt der Harvard-Professor Stephen Greenblatt mit seinem Buch "Der Tyrann" vor und er liest Shakespeares Dramen, als wären sie Kommentare und Analysen gegenwärtiger Vorgänge (bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Systeme). Selbstverständlich geht der Zeitstrahl aber auch in die umgekehrte Richtung: Die aktuellen politischen Entwicklungen - etwa die Wahl Trumps, die Greenblatt dazu motivierte, dieses Buch zu schreiben - führen dazu, Shakespeares Texte unter einem ganz bestimmten Fokus zu lesen.

Dass die alten Dramen dabei aber soviel sichtbar machen, beweist, wie zeitlos und grandios Shakespeares Analysen sind und bleiben. Sie erzählen, wie Macht immer noch funktioniert und wie "Tyrannen" immer noch der Aufstieg gelingt. Man möchte während der Lektüre sofort ins Theater, "Richard III","König Lear" und "Macbeth" sehen, doch das Nachdenken über die gegenwärtigen, auch politischen Bühnen wird hier geradezu gefordert.

Bürgerzwist als Giftwurm

In "Heinrich VI" etwa zeigen die fehlende Kompromissbereitschaft und das festgefahrene Gegenüber der Herzöge von York und Somerset, "daß Bürgerzwist im Land ein Giftwurm ist, / Der tiefst im Innern am Gemeinwohl nagt". Der Hass zwischen Parteien spitzt sich dermaßen zu, dass in Folge der soziale Zusammenhalt zerbricht und ein Bürgerkrieg entsteht, in dem Respekt, Menschlichkeit und Anstand verloren gehen.

"Ziel ist es Chaos zu erzeugen; das soll die Bühne bereiten für die Machtergreifung des Tyrannen", konstatiert Greenblatt. Bis zur Mitte der "Heinrich VI"-Trilogie ist Politik eine Angelegenheit der Eliten, die anonyme Masse taucht kaum auf. Doch dann tritt sie in Erscheinung und ihre Wut kommt den Skrupellosen gerade recht. Nicht das Schicksal der Armen zu verbessern, steht York im Sinn, sondern ihre Empörung für die eigenen politischen Zwecke zu nutzen.

Dazu braucht er Versprechen und Lügen. Cade, ein Werkzeug Yorks, verspricht, England wieder groß zu machen und "daß alles anders wird", er setzt bei der Wut des Volkes gegen die gebildete Elite an, die er als Verräter bezeichnet (statt sich um Bildung für das Volk zu kümmern). Staatsurkunden sollen verbrannt werden und Rechtsschulen niedergerissen, fordert er in seiner Rede die Anhänger auf und damit auch, jene Regeln und Normen abzulehnen, denen sie doch auch Schutz verdanken. Am Ende einer der Reden Cades brüllt denn auch einer aus der Menge: "Das erste, was wir tun, wir bringen alle Rechtsverdreher um".

Das liest sich fast, als käme es aus einem jener aktuellen Bücher, die vor einem Unterhöhlen der Demokratie warnen, sei es Timothy Snyders "Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand" (C.H. Beck 2017), sei es Steven Levitskys und Daniel Ziblatts "Wie Demokratien sterben"(DVA 2018), die einen Hauptindikator autoritären Verhaltens mit der Frage benennen: "Wird die Verfassung abgelehnt oder die Bereitschaft ausgedrückt, sie zu missachten?" Das Gelächter, das manche Szenen in ihrer überspitzten Absurdität beim Publikum provozieren, bleibt zwar nicht aus -das Gefühl von Bedrohung aber wächst.

Ziel ist es Chaos zu erzeugen; das soll die Bühne bereiten für die Machtergreifung des Tyrannen.

Stephen Greenblatt

Greenblatt muss gar keine banalen Aktualisierungen vornehmen, er muss keine Namen nennen, nicht in die Gegenwart wechseln. Nur ab und zu übertreibt er beim Andeuten der Parallelen. Meist aber genügt das fokussierte Erzählen, und schon geistern Figuren herum, deren Ähnlichkeiten mit realen Politikern nicht mehr rein zufällig und ziemlich frappierend sind. So erwähnt Greenblatt etwa den Narzissmus von Richard III (Shakespeares Darstellung liegt jene durchaus parteiische von Thomas Morus zugrunde), der das Gesetz hasst, "weil es ihm im Weg steht und eine Idee von Gemeinwohl verkörpert, die er verachtet". Richard III redet von Gewinnern und verachtet die Verlierer, er genießt seine Macht gegenüber Menschen, "es bereitet ihm auch ein eigentümliches Vergnügen mitanzusehen, wie sie zittern, stolpern oder fallen."

Doch Greenblatt ist nicht so sehr an der Psyche des "Richard III" interessiert, sondern an der politisch allzeit brisanten Frage, wie es sein kann, dass eine solche Gestalt überhaupt an die Macht gelangen kann und von niemandem daran gehindert wird. "Shakespeare deutet an, dass diese Leistung vom verhängnisvollen Zusammenspiel unterschiedlicher, aber gleichermaßen selbstzerstörerischer Reaktionen der Menschen abhing, die ihn umgaben. In der Summe haben diese Reaktionen das kollektive Versagen eines ganzen Landes zur Folge."

Manche werden getäuscht, manche haben Angst, andere vertrauen darauf, "alles werde weitergehen wie gewohnt", aber die "Struktur, auf die sie sich verlassen haben, erweist sich als unerwartet zerbrechlich". Manche hoffen, von Richards Aufstieg profitieren zu können (und einige von ihnen werden fallen gelassen, sobald Richard sein Ziel erreicht hat.) Und dann gibt es auch noch jene, die "nur" Befehle ausführen. "Richard III stellt Männer und Frauen dar, die unter unsäglichem Druck bange Berechnungen anstellen und schicksalhafte Entscheidungen treffen und dabei in den Strudel von Gemütsbewegungen zu geraten drohen, die sie nicht kontrollieren können. In der Fähigkeit, diese Zwangslagen mit Leben zu erfüllen, besteht die Macht großen Theaters."

Macht großen Theaters

Die Macht großen Theaters beherrscht auch der zukünftige Tyrann. Richard kommt durch Wahl zu Macht - und um gewählt zu werden, greift er zu den Mitteln, die auch heute zu manchen politischen Kampagnen gehören: "eine heuchlerische Darbietung religiöser Frömmigkeit, die Beleidigung von Gegnern und die maßlose Übertreibung der Bedrohung für die nationale Sicherheit."

Dass Richard, dieses Scheusal, aber immer auch eine merkwürdige Anziehungskraft hat, das vermögen Schauspieler im besten Fall auf der Bühne darzustellen -dann geht mit der Faszination auch die Kollaboration aufs Publikum über. Dann gehören die Zuseher und Zuseherinnen auf einmal zu jenen, die bezaubert und fasziniert sind von einem Menschen, der Recht und Anstand und Mitmenschlichkeit mit Füßen tritt und der lügt ohne jeden Genierer. Dann erfahren sie selbst, "was es heißt, dem zu erliegen, das wir als abstoßend erkennen."

Tyrann - © Foto: Siedler
© Foto: Siedler
Buch

Der Tyrann

Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert.
Aus dem Engl. von Martin Richter
Siedler 2018
219 S., geb.,

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