Showdown einer ACHTERBANDE

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Was einem in Minnie's Haberdashery so alles zustoßen kann, erzählt Quentin Tarantino in seinem neuen Meisterwerk "The Hateful 8".

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Was einem in Minnie's Haberdashery so alles zustoßen kann, erzählt Quentin Tarantino in seinem neuen Meisterwerk "The Hateful 8".

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Eine sinfonische Dichtung ist "The Hateful 8" in jedem Fall. Das ist bereits bei der machtvollen Ouvertüre klar, und Ennio Morricone zeigt mit 87 Jahren, was noch alles in ihm steckt. Die Oscar-Nominierung für seine Filmmusik ist da höchst gerechtfertigt. Und auch sonst spielt der achte Film von Quentin Tarantino alle Stückeln, die man von ihm erwartet: Einmal mehr eine Orgie aus Blut, einmal mehr jede Gewalttat nicht nur Andeutung, sondern ein filmisch ausgekosteter Exzess.

21 Jahre nach "Pulp Fiction" lebt die Trash-Marke Tarantino wie eh und je. Und einmal mehr ist die Wandlung (das Altern?) des Samuel L. Jackson mit zu beobachten: Blieb der Hollywoodstar im Schundromanfilm von 1994 als schwarzer Auftragskiller, der sein Blutbad unter Rezitation von Versen über einen rächenden Gott aus dem biblischen Buch Ezechiel, anrichtet, in Erinnerung, so treibt er nun als Kopfgeldjäger Major Marquis Warren sein filmisches Wesen.

"The Hateful 8" ist nach Tarantinos letztem Streich "Django Unchained" (2013, gleichfalls mit Samuel L. Jackson) die zweite "Hommage" des Regie-Berserkers an den Western. Einmal mehr geschieht diese in der Überhöhung beinah aller Stilmittel desselben sowie deren ironischer Brechung.

Der Sezessionskrieg ist geschlagen (und für die Südstaatler verloren). Major Warren, der schwarze Nordstaatensoldat, der einst am Erfolg einer Entscheidungsschlacht maßgeblich beteiligt war, muss sein Leben nun als Glücksritter fristen, der auf der Jagd nach steckbrieflich gesuchten Personen "dead or alive" - ist. Der Major hat es mehr mit "dead", weshalb er mitten im winterkalten Wyoming mit ein paar gefrorenen Leichen eine Kutsche anhält, die in die Stadt Red Rock unterwegs ist.

Mehr "dead" versus mehr "alive"

In selbiger sitzt ein anderer Kopfgeldjäger, John "Hangman" Ruth (Kurt Russell), der es eher mit "alive" hält und somit die vielgesuchte Daisy Domergue mit sich führt, um sie in Red Rock den Händen des Gesetzes gegen den ausgelobten Geldbetrag zu übergeben. Schließlich liest diese Gesellschaft dann noch den Südstaatler Chris Mannix (Walton Goggins) auf, der in Red Rock als Sheriff anfangen soll.

Diese Viererbande sucht Schutz vor dem nahenden Blizzard in "Minnie's Haberdashery" (Herrenausstattungsgeschäft), wo sie allerdings nicht die Geschäftsinhaberin, sondern drei seltsame Gestalten sowie den pensionierten Südstaatengeneral Sandy Smithers (Bruce Dern) antreffen. Diese Ansammlung von hasserfüllten Acht liefert sich den stundenlangen Showdown, aus dem "The Hateful 8" mehr oder weniger besteht.

Denn auch wenn Bob, der Mexikaner (Demián Bichir), Oswaldo Mobray (Tim Roth) und Joe Gage (Michael Madsen) schrullig wirken, so stehen sie für jene Agenda, ohne die ein Plot aus der Feder von Quentin Tarantino nicht auskommt. Und dass die, die auf Seiten von Recht und Gerechtigkeit stehen, ebenfalls nicht "die" Guten sind, versteht sich da von selbst.

In fünf Kapiteln, darunter einer Rückblende, erzählt Tarantino, der im amerikanischen Original auch als Erzähler aus dem Off agiert, diese moderne Moritat. Seine Charaktere sind - wie immer - überzeichnet und so lebensprall, dass auch ihr jeweils dramatisches Verscheiden eine Lust zum Zusehen ist. Natürlich nur für diejenigen, die der komplett nonchalanten Zugangsweise dieses Filmemachers etwas abgewinnen können.

In den letzten beiden Tarantinos spielte bekanntlich Christoph Waltz mit - und bekam jeweils einen Nebenrollen-Oscar dafür. Auch diesmal gab es eine "Waltz-Rolle" - die des Oswaldo Mobray, der trotz seines Namens unverkennbar Brite und in Red Rock als Henker tätig ist. Witz und Hinterfotzigkeit, die Oswaldos Rolle ausmachen, hat Tarantino hier Tim Roth überantwortet, dem die Darstellung mit Bravour gelingt. Den schauspielerischen Vogel schießt aber Jennifer Jason Leigh ab, die als Daisy Domergue die einzige Frau der Achterbande verkörpert: Wie Leigh die abgrundtiefe Verruchtheit und gleichzeitig erbarmungswürdige Armseligkeit dieser Person auf die Leinwand bringt, macht ihr so schnell keine andere nach.

Dass Leigh die zweite Oscar-Nominierung (für die beste weibliche Nebenrolle) einheimste, ist nur folgerichtig, als dritter im Nominiertenbunde firmiert Robert Richardson, dessen Kameraführung gleichfalls exzeptionell ist.

Wie schon bei "Inglourious Basterds" persifliert auch "The Hateful 8" die tatsächliche Historie; dem aufmerksamen Zuschauer werden die vielen Details der US-Geschichte des 19. Jahrhunderts nicht entgehen, auch wenn diese mitunter nur zwischen den Zeilen zu entdecken sind. Major Marquis Warren, der sich schon auch auf einen lebensgefährlichgen Konflikt mit dem Südstaatenschlächter und -general Sandy Smithers einlässt, trägt einen handgeschriebenen Brief von Abraham Lincoln mit sich. Ob dieser ihn vor einem ähnlichen Schicksal wie dem dieses Präsidenten bewahren kann? Auch um das zu erfahren, muss man diesen Film gesehen haben. Übrigens: Im Wiener Gartenbaukino wird "The Hateful 8" auch in einer spektakulären 70 mm-Version gezeigt.

The Hateful 8

USA 2015. Regie: Quentin Tarantino. Mit Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Tim Roth. Constantin. 167 Min.

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