Sich auf den Herzensweg einlassen

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Christlich-islamische "Events" haben zur Zeit Konjunktur. Wichtiger jedoch ist der Aufbau persönlicher Beziehungen.

Interreligiöse Veranstaltungen haben zur Zeit auch hierzulande Konjunktur: Der Grazer Bischof Egon Kapellari beispielsweise rief am 11. Oktober, einen Monat nach den New Yorker Anschlägen, bei einer Diskussion mit jüdischen und der islamischen Vertretern zur Entschärfung der aktuellen Konflikte auf. Auch Friedensgebete gibt es österreichweit; in den ersten Tagen nach dem 11. September fanden sich die christlichen Kirchen vielerorts zusammen, an die Einladung von Muslimen hatten viele Gemeinden aber zunächst - noch - nicht gedacht.

Fremdheit scheint zwischen Christen und Muslimen geblieben, auch wenn sich das Klima für den Dialog langsam öffnet und sich dieser Tage doch herumspricht, dass Christen zum Beten für eine friedlichere Welt auch Muslime einladen könnten. Aber ist ein öffentliches Gespräch zwischen einem Bischof und dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft oder ein Friedensgebet schon der Dialog der Religionen, der zumindest von vielen Christen beschworen wird?

Wien, Neufünfhaus

Martin Rupprecht, 38, ist katholischer Pfarrer von Neufünfhaus im 15. Wiener Gemeindebezirk - sein Grätzl weist einen der höchsten Muslimenanteile Wiens auf. Der aus Bayern stammende Rupprecht kann die Situation zwischen Deutschland und Österreich vergleichen: In Wien sind Begegnungsinitiativen zwischen Christen und Muslime noch spärlich gesät, in Deutschland hingegen bestehen schon an vielen Orten christlich-islamische Gesellschaften.

1992, als Rupprecht im niederbayerischen Deggendorf seine Primiz feierte, nahm auch der Mufti der türkischen Gemeinde an der Primizandacht teil und sprach Segensworte: Solche Erfahrungen wären hierzulande noch ungewöhnlich. Rupprecht selbst pflegt seit Jahren Kontakte in die Türkei, 1999 studierte er ein Jahr lang im Land am Bosporus, dann ist er in die Wiener Pfarrseelsorge zurückgekehrt.

Er hat, erzählt Rupprecht, als Pfarrer von Anfang an begonnen, mit der nahen Moschee Fühlung aufzunehmen. So hat er mit seinem Pfarrgemeinderat den Imam und dessen Gemeindevorstand besucht. Er selbst ist alle paar Wochen bei den Muslimen zu Gast: Zuerst bedarf es persönlicher Beziehungen, ist er überzeugt, dann erst kann man anfangen, Fragen - auch über den Glauben - zu stellen.

Wie reagieren seine Katholiken auf diese Kontaktnahme? Martin Rupprecht gesteht, dass er zunächst eigenes an Unsicherheit gespürt hat. Bald bringen die Pfarrangehörigen aber Probleme und Unbehagen zur Sprache - sehr oft taucht die Kopftuch-Frage auf; Rupprecht schaut zur Wand seines Büros zu einem Foto mit katholischen Ordensschwestern und Musliminnen: "Für Katholiken soll das Kopftuch anstößig sein?" schmunzelt er.

Am leichtesten gelingt der Kontakt zwischen den Pfarrkindern und Muslimen bei neutralen Veranstaltungen. So gibt es Informationsabende zum "Euro": Da lädt er die Senioren der Pfarre und der muslimischen Gemeinde ein. Mit dieser Art des Begegnens sind die Erfahrungen gut.

Ernstfall Partnerschaft

Im September hat Pfarrer Rupprecht erstmals ein christlich-muslimisches Partnerschaftsseminar geleitet: In gemischten Partnerschaften stellt sich die Frage des Zueinanders der Religionen ganz konkret. Beim Ehepaar, mit dem er dieses Seminar gemeinsam entwickelt hat, war der Mann katholisch, die Frau hingegen Muslimin. Muslimin? - Es ist einer islamischen Frau doch verboten, einen nichtislamischen Mann zu heiraten - nur die umgekehrte Konstellation ist erlaubt (vgl. den 5. Teil der Islam-Serie)!

Martin Rupprecht gibt zu, dass es hier schwierig wird, und viele solcher Paare wollen über ihre Verbindung nicht öffentlich reden. Aber er ist überzeugt: Liebe zwischen religionsverschiedenen Partnern ist eine Realität, der man sich nicht entziehen kann. Auch der Islam müsse sich darauf einstellen: "Man kann den Menschen ja nicht verbieten, einander zu lieben!"

Und es bewegt sich auch der Islam: Rupprecht zeigt ein Rechtsgutachten der islamischen Theologin Beyza Bilgin aus Ankara, das die Eheschließung einer Muslimin mit einem Christen als möglich erklärt. Rupprecht weiß, dass diese Rechtsmeinung in der islamischen Welt wenig akzeptiert ist; auch der weitere Weg dahin wird steinig sein. Aber er erzählt von einem Paar, das er selbst vor kurzem getraut hat, der Bräutigam - Ministrant aus seiner Pfarre, die Braut - Afghanin: Ein afghanischer Imam aus Deutschland hat gemeinsam mit Rupprecht die Trauungszeremonie in der Kirche geleitet.

Rupprecht hat in der Begegnung mit dem Islam viel Bereicherndes - Gastfreundschaft, Herzlichkeit - erfahren. Er zitiert gern Verse des türkischen Dichters Yunus Emre: "Wenn du Gott suchst, / So in deinem Herzen nur - / Nicht in Jerusalem, nicht in Mekka, / Nicht auf der Pilgerfahrt." Der Pfarrer von Neufünfhaus ist überzeugt: Lässt man sich auf diesen Herzensweg ein, werden die Grenzen zwischen den Religionen überwindbar.

Auch ein Erlebnis vom Vortag gibt ihm zu denken. Eine Muslimin ist weinend zu ihm gekommen, erzählt Rupprecht: Sie hielte es nicht mehr aus, weil sie auf der Straße immer wieder wegen ihres Kopftuchs angepöbelt würde. Rupprecht hat schon im Pfarrblatt seine Gemeinde aufgefordert, in solchen Situationen Zivilcourage zu zeigen: "Aber wenn dieses Mädchen in ihrer Verzweiflung zu mir, dem katholischen Pfarrer, kommt: Ist das nicht auch ein Zeichen dafür, dass die Annäherung langsam greift?"

Hinweis: Pfarrer Martin Rupprecht bietet auch nächstes Jahr ein Partnerschaftsseminar für christlich-muslimische Paare an. Zeit: Sonntag, 7. September 2002, Ort: Kardinal-König-Haus, 1130 Wien, Lainzer Straße 138, Tel. 01/804 75 93, www.kardinal-koenig-haus.at

Buchtipps

MITEINANDER LEBEN. Christen und Muslime im Gespräch. Von Thomas Lemmen und Melanie Miehl. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001. 144 S., TB, öS 145,-/e 10,54

CHRISTENTUM UND WELTRELIGIONEN. ISLAM. Von Hans Küng & Josef van Ess. Piper Verl., München, 4. Aufl. 2000. 204 Seiten, TB, öS 145,-/e 10,54

CHRISTEN BEGEGNEN MUSLIMEN.

Von Petrus Bsteh. Hg. Pastoralamt der Erzdiözese Wien (Past. Handreichungen 17), 1994. 36 S., kt., öS 25,-/e 1,82

MUSLIME BEGEGNEN CHRISTEN.

Von Petrus Bsteh. Hg. Pastoralamt der Erzdiözese Wien (Past. Handreichungen 20), 1996. 36 S., kt., öS 25,-/e 1,82

Zu beziehen bei:

Kontaktstelle für Weltreligionen, 1090 Wien, Türkenstraße 3, Tel. 01/3178470

KATHOLISCH-ISLAMISCHE EHEN. Eine Handreichung. Hg. vom Erzbischöflichen Generalvikariat Köln, 2., überarb. Aufl. 2001. 96 S., brosch.

Zu beziehen bei: Erzbischöfliches Generalvikariat Köln/Presseamt. D-50668 Köln, Marzellenstraße 32, Tel. 0049-221/1642-1411, Fax -1610

DER ISLAM ALS ANFRAGE AN CHRISTLICHE THEOLOGIE UND PHILOSOPHIE. Hg. Andreas Bsteh. Beiträge von Adel Th. Khoury, Annemarie Schimmel u.a. Verlag St. Gabriel, Mödling 1994. 545 S., kt. öS 289,-/e 21,00

CHRISTLICHER Glaube in der Begegnung mit dem Islam. Hg. Andreas Bsteh. Beiträge von Gisbert Greshake, Adel Th. Khoury u.a. Verlag St. Gabriel, Mödling 1996. 616 S., kt. öS 289,-/e 21,00

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