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Die menschliche Gesellschaft bewegt sich auf eine Zeit steigenden Risikos zu. Hat sie die Entwicklung bereits wahrgenommen? Nur wenig spricht dafür.

Smog in Peking, der inzwischen bis Japan zieht und der dem Ausdruck "atemberaubender Ausblick“ eine ganz neue Bedeutung gibt. Atemberaubend fürwahr und auch Ausblick - auf den großen blinden Fleck unserer Zeit: Am 11. Januar noch berauschte sich Volkswagen daran, "2012 dank glänzender Geschäfte in China und den USA der Absatzkrise in Europa getrotzt und mehr Autos als jemals zuvor“ verkauft zu haben. Die ganze Welt hofft, dass starkes Wirtschaftswachstum in China wie 2008 den globalen Wirtschaftskarren aus dem Dreck zieht. Und doch wissen wir zugleich, dass wir uns diese Art des Wachstums weder für China noch für die Menschheit weiter wünschen dürfen. Die Smogwolke verhüllte die Megastädte Chinas und enthüllte zugleich die Risiken, auf denen dieses Versprechen beruht.

Seit 2007 haben wir eine Kaskade an globalen Krisen mit jeweils spezifischen Risiken erlebt. Die Klimakrise in Form von ungewöhnlichen Wetterkatastrophen in Russland, Pakistan, Texas oder Australien. Eine Energiekrise, als deren Folge immer tiefer nach Öl und Gas gebohrt und auf hoch problematischen Teersand und Schiefergas zurückgegriffen wird.

Atom und Empörung

Einen Atomunfall in Japan, der von Japan bis Deutschland das Ener-giesystem umstrukturierte. Eine Ernährungskrise, welche die Zahl der unterernährten Menschen von 800 Millionen auf fast eine Milliarde ansteigen ließ. Und die Finanz- und Wirtschaftskrise.

Niklas Luhmann bezeichnete einst Systemvertrauen als Grundlage unserer Sicherheit. Und genau dieses Vertrauen erodiert. "Empört Euch“ - die steigenden Nahrungsmittelpreise waren nicht nur in tunesischen Städten Startpunkt für Revolten und den Arabischen Frühling. Inzwischen schwankt weltweit die Zahl der Aufstände im Rhythmus der Nahrungsmittelpreise. Bereits 1975 schrieb Hannah Arendt: "Stets ist die Größe der Wissenschaft gewesen, dass sie den menschlichen Interessen keine Aufmerksamkeit schenkte. Ihre Leitlinie war: Was immer wir entdecken können, das sollen wir entdecken; was immer wir machen können, das sollen wir machen. Doch ihre Ergebnisse, wie wir sie heute sehen, scheinen unwiderruflich auf einen Punkt zuzusteuern, an dem der Mensch an seine Grenzen erinnert und auf seinen Platz zurückverwiesen wird.“ Durch die einander überlagernden Krisen ist nun aus der theoretischen Einsicht der planetaren Grenzen eine praktische Erfahrung geworden.

Nur eine Dekade, nachdem Francis Fukuyama meinte, das Ende der Geschichte ausrufen zu können, schlug Paul Crutzen, Nobelpreisträger für Chemie, 2002 in einem nature-Artikel vor, vom Anthropozän, einem neuen, durch den Menschen geprägten, Erdzeitalter zu sprechen: Klimawandel, Ozonloch, versauernde Meere, explodierende Megacities, bereits 30 bis 50 Prozent der Erdfläche sind vom Menschen gestaltet. Im Februar 2008 legten Wissenschaftler der Londoner Geologischen Gesellschaft nach.

Abschied von der Stabilität

Die zehntausend Jahre des Holozäns, aus dem wir uns verabschieden, waren die stabilste Klimaphase seit zumindest 400.000 Jahren. Alle menschlichen Hochkulturen entstanden in diesem Zeitraum. Aber der gegenwärtige CO2-Gehalt in der Atmosphäre ist bereits ähnlich hoch wie der im mittleren Pliozän. 4 Millionen Jahre ist das her. Der Meeresspiegel lag damals 10 bis 20 Meter höher.

Der Übergang ins Anthropozän verändert grundlegend die Risikostruktur der Weltgesellschaft.

Erstens entwertet er die statistische Grundlage der letzten zehntausend Jahre für unsere intuitiven oder berechneten Risikokalkulationen. "Die Würfel sind gezinkt“, so James Hansen.

Zweitens wissen wir, dass es Katastrophenschwellen im Erdsys-tem gibt. Hinter diesen möglichen Kipppunkten lauern unabsehbare Risiken für ganze Kontinente. Schmelzprozesse in Grönland und der Westantarktis, ein Kippen des Monsuns in Indien, des Amazonas-Regenwaldes oder der Korallenriffe in den Meeren.

Drittens drohen die Risiken sys-temisch zu werden. Dies würde das Versicherungskalkül - jedes Jahr geht es für die meisten gut, nur für manche nicht - auf den Kopf stellen - und damit die Versicherbarkeit wichtiger Risiken.

Viertens aber verändert sich im Anthropozän - dem vom Menschen gestalteten Zeitalter - die Zuordnung der Risiken. Was bisher Naturkatastrophen waren, wird nun ganz oder teilweise dem Menschen zugerechnet - und damit politisch kritisierbar.

Fünftens haben aber auch die Risikovermeidungsstrategien ihre eigenen Risiken. Biosprit und seine Folgen für die Welternährung sind nur ein Beispiel. Wie verlässlich aber sind die Institutionen, welche die Veränderungen der Risikostruktur für die Wirtschaft und Politik bewerten sollen? Dieser Tage hat die US-Regierung die Rating-Agentur Standard & Poor‘s auf fünf Milliarden Dollar verklagt. Der Kern des Vorwurfs: Standard & Poors vergab weiter Bestnoten für die Wertpapierkategorien, die die Finanzkrise auslösten, obwohl der verantwortliche Direktor schon Dezember 2006 in einem vertraulichen Memo geschrieben hatte: "Dieser Markt ist ein sich wild drehender Kreisel, der schlecht enden wird.“

Wo sind die Auftriebskräfte?

Macht heißt, so Hannah Arendt: "wir wollen und wir können.“ Barack Obama hat vor gut vier Jahren seinen Wahlkampf unter dem Motto geführt: "Yes - we can.“ Aber ist er nicht ein weiteres Beispiel, dass das "wir wollen“ und das "wir können“ immer weiter auseinander treten? Tritt hier nicht eine strukturelle Handlungsunfähigkeit zu Tage? Angst und Perplexität führen zur politischen Horizontverengung. Aber wir haben bessere Verteidiger gegen eine wild gewordene Globalisierung verdient, als T-Party, Al Quaida, jüdische Siedlungsbewegung und rechtspopulistische Bewegungen.

Wo sind die Aufwärtskräfte in diesem Abwärtsstrudel? Mit der Finanzkrise hat die seit 1990 dominierende Ideologie, alles gesellschaftliche Leben, habe sich der globalisierten Ökonomie unterzuordnen, Flurschaden erlitten. Der Occupy-Bewegung gelang, das Thema der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich auf die Agenda zu setzen. Im vergangenen Jahr wurde weltweit fast so viel Geld in Erneuerbare Energien investiert wie in alle anderen Energieträger. Die Energiewende in Deutschland, die neuen Klima- und Energiegesetze in Mexiko, die Niedrigemissionszonen in China sind wichtige Versuche, das Ruder herumzureißen. Es gibt immerhin Ansätze, das Friedensprojekt und die Handlungsfähigkeit der EU unter dem Stichwort Nachhaltigkeit wiederzubeleben. Ja, und der große Fleck über China hat dort eine gewaltige Debatte losgetreten und die Regierung zu Überlegungen geführt, den Einsatz von Kohle zu begrenzen. Wenn das passieren würde, würde er zum Symbol einer Energiewende beim größten CO2-Produzenten der Welt

Der Autor ist polit. Geschäftsführer der NGO Germanwatch

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