Sicherheit als preis für die Freiheit

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Der Computer hat unser Leben verändert. Daten über Personen sind im Übermaß verfügbar. Gespeichert werden sie auch aus Gründen der Sicherheit. Das gefährdet unsere Freiheit.

Wenn nicht alles trügt, sind wir dabei, die Freiheit auf dem Altar der Sicherheit zu opfern. Telefonüberwachung, Auflistung von Kontobewegungen, die Aufzeichnung von Internetabfragen und E-Mails, Überwachungskameras an allen Orten: Big Brother sieht zu. Bei allem, was wir tun. Die Nacktscanner zeigen die Richtung, die der Überwachungsstaat einzuschlagen begonnen hat: den Bürger unverhüllt von der Wiege bis zur Bahre unter Kontrolle zu haben. Google behält die Daten von Suchabfragen, wenn auch anonymisiert. Die zwei Millionen User, die in Österreich mithilfe 123people.at nach privaten Informationen stöbern, verstärken den Verlust an Privatheit und an Freiheit, dem alle Computer-Nutzer ausgesetzt sind. Die Freunde der Netzwerke liefern selbst die entsprechenden Daten. Bösartig formuliert, entledigen sie sich freiwillig ihrer Freiheit.

Freilich, inzwischen hat sich auch eine Gegenbewegung entwickelt. Die 35.000 deutschen Bürger, die gegen das Gesetz zur Vorratsspeicherung beim Bundesverfassungsgericht eine Klage einreichten, sind dabei ebenso zu nennen wie die Österreichische Rechtsanwaltskammer, die vor dem Überwachungsstaat warnt, oder wie der Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtes Holzinger, der den gläsernen Menschen als eine reale Bedrohung bezeichnet hatte. Es gilt Abschied zu nehmen von der Vorstellung, Computer, Technik und Technologie seien etwas Wertneutrales, etwa nach dem grobschlächtigen Beispiel, man könne mit einer Axt sowohl Menschen erschlagen wie auch Holz für ein Feuer spalten.

Die Digitalisierung verdoppelt uns

Unbestreitbar hat der Computer unsere Lebenswelt entscheidend verändert. Man muss angesichts der Welt, die uns das Internet, Cyberspace und die Künstliche Intelligenz beschert haben, dennoch nicht gleich mit Jean Baudrillard und von einer „Agonie des Realen“ sowie einer „Ermordung der Realität“ sprechen. Aber seine Gedanken haben viel für sich. Baudrillard: „Nicht nur die künstliche Intelligenz, sondern die gesamte Hochtechnologie illustriert die Tatsache, dass das menschliche Wesen, hinter seinen Doubles und Prothesen, hinter seinen biologischen Klonen und virtuellen Bildern, die Gelegenheit nutzt, um zu verschwinden. So wie der automatische Anrufbeantworter:, Wir sind nicht da. Hinterlassen Sie eine Nachricht‘, so wie es der Videorecorder übernimmt, an unserer Stelle einen Film zu sehen.“ Unser Sein ist zu einem Digital-Sein geworden und die Welt zu einem „Phantomglied der Menschheit“, schreibt Paul Virilio.

Unsere Freiheit wird aber nicht allein von jenem Instrument der Technik bedroht, das wir selbst geschaffen haben. Gewiss ist der Weg vom Homo sapiens zum Homo digitalis nicht mehr rückgängig zu machen. Was aber im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit bedenklich anmutet, ist die Datenspeicherung, die unsere Freiheit und unsere „Privacy“ entscheidend bedroht. Man darf nicht vergessen, dass jenen Freiheitsräumen, die zur Lebensform demokratischer Gesellschaften gehören, ein langer Emanzipationskampf zugrunde liegt. Es scheint, dass wir an der Kippe zu einer Entwicklung stehen, die vom demokratischen Staat, der die Freiheitsrechte seiner Bürger schützt, zu einem Überwachungsstaat führt. Der Grundgedanke war freilich ein anderer.

Sicherheit versus Freiheit

Die UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948, die KSZE-Schlussakte von 1975 sowie die EU-Charta von 2002 unterstreichen den Zusammenhang der Menschenrechte und der Freiheit. Auch in der Tradition des liberalen Denkens, in der die Freiheit im Mittelpunkt steht, hat sie Vorrang vor der Sicherheitsfunktion, die der Rechtsstaat zweifelsfrei zu gewährleisten hat. Andererseits gehört aber die Sicherung der Freiheit auch zu den Verpflichtungen des Rechtsstaates. Was wir allerdings erleben, grenzt die Freiheitsrechte zugunsten des Bedürfnisses nach Sicherheit entscheidend ein.

Die Angriffe auf die Freiheit haben sich von verschiedenen Seiten her verdichtet. Der Frontalangriff auf die menschliche Freiheit erfolgt auch vonseiten der Wissenschaft, der ebenfalls Freiheit zugesichert ist.

Wenn Hirnforscher erklären, dass unsere Freiheit eine Illusion sei, dass nicht wir, sondern im Grunde genommen unser Gehirn entscheidet, und wir nur aus sozialen und kulturell-traditionellen Gründen an dieser Illusion der Freiheit festhalten, so kippt diese Logik ins Absurde. Denn dann wäre kein Terrorist für seine Taten verantwortlich zu machen, dann wären unsere Vorstellungen von Schuld, Verantwortung und auch von Strafe obsolet. Dann hilft auch kein „Nacktscanner“ oder „Körperscanner“, wie dies nunmehr verschämt genannt wird, dann würde nur, um präventive Maßnahmen zu setzen, ein genaues Bild unseres Neuronenspiels im Gehirn erraten lassen, welche Entscheidungen, nein nicht von der Person, sondern vom Gehirn zu erwarten sind.

Gerade im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit taucht nicht zufällig der Begriff der Würde auf. Menschenrechte und Würde stehen in einem engen Zusammenhang, wie es etwa auch in den einschlägigen Erklärungen und besonders deutlich im deutschen Grundgesetz von 1949 formuliert ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Würde, wie abstrakt sie sein mag, hat etwas mit dem Umgang der Menschen untereinander, aber eben auch mit dem Umgang von Institutionen, vornehmlich des Staates mit seinen Bürgern, zu tun.

Das Misstrauen ist entwürdigend

Und gibt es etwas Entwürdigenderes als den Nacktscanner? Entwürdigend ist aber schon zuvor das grundsätzliche Misstrauen gegenüber den Bürgern und der Verdacht, dass jeder einzelne Bürger zum Terroristen werden könnte. Die manchmal lächerlichen Sicherheitsvorkehrungen auf Flughäfen zeugen davon. Das grundsätzliche Misstrauen des Staates gegenüber seinen Bürgern, die verdachtlose Erfassung vertraulicher Verbindungen und Bewegungen der gesamten Bevölkerung, lässt sich hier ohne Weiteres als eine Verletzung der Würde bezeichnen. Denn abgesehen von der Verfolgung möglicher Straftaten gibt es für den Staat, der sich als Rechtsstaat versteht, keinerlei Motiv nachzusehen, wer um 17.31 Uhr Tante Doris angerufen hat und wer um 23 Uhr nach einem italienischen Restaurant gegoogelt hat.

Die aufgeheizten Debatten um Kriminalitätsraten und zunehmende Terrorismusgefahr haben die Folge, dass jeder von uns, der sich nur im Geringsten mit einer mit Verdacht beladenen Person in Verbindung setzt, in den Ruf eines potenziellen Verbrechers kommt. Das gern angeführte Argument, der Unschuldige habe nichts zu verbergen, gilt nicht.

Wenn wir nicht Gefangene im globalen Dorf werden wollen, dann gilt es eine ausgewogene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden. Absolute Sicherheit wird es ebenso wenig geben wie grenzenlose Freiheit. Wenn der Weg vom Rechtsstaat zum Überwachungsstaat weiter so beschritten wird, wie das bisher der Fall zu sein scheint, so nähern wir uns einer Gesellschaft, der gegenüber die Utopien eines Orwell oder eines Huxley nahezu lächerlich erscheinen. Vor die Alternative gestellt, Sicherheit oder Freiheit, gilt immer noch die Devise „In dubio pro libertate“.

* Der Autor, Professor für Philosophie, war Dekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften an der Universität Wien

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