"Sie erkannte ihn sofort"

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Bettina Balàkas Roman "Eisflüstern": engagierter Krimi über das Mörderische des Krieges.

Bis nach Wladiwostok ist er gekommen, der k. u. k. Oberleutnant Balthasar Beck, 8000 Kilometer in acht Jahren, hin und zurück. Erst im Herbst 1922 bringt ihn ein Donauschlepper zurück bis Mannswörth. Grauenvolles hat er gesehen, Unfassbares erlebt, und endlich viel gefroren. Als Offizier eines Kaiserreichs hat er 1914 Wien verlassen, war Kriegsgefangener, kämpfte in der Roten Armee, und am Anfang von Bettina Balàkas Roman "Eisflüstern" kehrt er zerlumpt in eine winzige Republik zurück. Damit nicht genug: Als er weg musste, hat er eine Frau zurückgelassen, die schwanger war. Hat sie auf ihn gewartet? Was wird das Kind zu dem ihm fremden Mann sagen? Solche Fragen sind es, die Beck durch den Kopf gehen, als er im Türkenschanzpark eine Parkbank "bezieht", weil er sich nicht nach Hause wagt. Zur gleichen Zeit wird im Hinterhof von Becks Wohnhaus ein Skelett gefunden, schön aufbereitet auf einem Stück grünen Filzes, nur ein Oberschenkelknochen fehlt.

Penibel recherchiert

Atmosphärisch dicht beginnt das Buch. Der Einstieg signalisiert zugleich, dass es sich dabei um eine Kombination aus einem historischen und einem Kriminalroman handelt. Ganz anders aber als in Dan Browns ebenso erfolgreichem wie spekulativem Thriller Sakrileg vermengt die 1966 in Salzburg geborene Autorin die Genres nicht, um die Leserschaft zu verdoppeln, sondern um das Mörderische des Krieges sinnfällig zu machen. Eisflüstern ist nicht nur ein spannender Krimi, nicht nur ein penibel recherchierter Roman über den dumpfen Nachhall der Donaumonarchie, sondern auch ein engagiertes Buch. In eindringlichen Bildern führt es vor Augen, wie die Todesmaschinerie des Krieges fortwirkt in die Friedenszeit.

Eines Tages steht Beck dann doch vor der Türe, hinter der er sich viele Jahre zuvor von seiner Frau Marianne verabschiedet hat - gespannt, wer öffnen wird. "Sie erkannte ihn sofort", heißt es lapidar. Dass er ihr in der Folge verschweigt, am Baikalsee eine Geliebte zurückgelassen zu haben, und sie ihm verschweigt, ihren Verehrer an seiner statt erwartet zu haben, hilft, die Ehe fortzusetzen. Für die Tochter jedoch bleibt Beck vorerst einmal "keiner von uns". Er ist jetzt aber entschlossen, nicht nur in seine Familie, sondern auch in seinen Beruf als Kriminalinspektor zurückzukehren. Dabei kommt ihm der Skelettfund in seinem Wohnhaus zu Hilfe. Und bald danach wird die nächste Leiche entdeckt.

Spannung bis zum Schluss

In der Verschränkung der verschiedenen Ebenen des Romans zeigt sich die kompositorische Kunst der Autorin: Wie bei einer Symphonie schlägt sie mehrere Themen an und verknüpft Gegenwärtiges mit Vergangenem, Privates mit Beruflichem, Erlebtes mit Erinnertem bzw. Erdachtem zuletzt zu einem Ganzen. Diese Struktur bietet dem Leser nicht nur größtmögliche Abwechslung, sie hat auch den Vorteil, die Spannung bis zum letzten Kapitel zu erhalten. Als die dritte Leiche, wieder mit einem versteckten Hinweis auf den Mörder, gefunden wird, dämmert Beck, dass die Toten etwas mit ihm und seiner Zeit in einem Lager in Sibirien zu tun haben (könnten). Alle drei Tote gehörten nämlich einem Gefangenenkomitee an, das dafür verantwortlich war, Fluchtpläne der Häftlinge dem Kommandanten zu melden, andernfalls zehn Prozent der Lagerinsassen getötet würden. Nur bestand das Komitee damals aus vier Männern. Der vierte war Beck.

Der Spannung wird bei Balàka nicht alles untergeordnet: Zeitkolorit und die Moral spielen eine ebenso große Rolle. Für Joseph Roth verklärte sich die Habsburgermonarchie durch alles, was danach kam. So nimmt der Bezirkshauptmann Trotta das unehrenhafte Ausscheiden seines Sohnes aus der Armee vergleichsweise gelassen hin. Becks Vater dagegen wird bei Balàka zum sadistischen Tyrannen, der seinen Sohn dafür verachtet, dass er sich gefangen nehmen lässt.

Ähnlich wie Karl Kraus rechnet die Autorin mit dem Gerede von der "großen Zeit" ab und all jenen, die im Krieg nur so eine Art Abenteuer sehen wollen. Was dabei ein wenig zu kurz kommt, ist die "Beziehungsgeschichte" zwischen Beck und seiner Frau Marianne. Wie es die beiden schaffen, wieder zusammenzufinden, wäre aber wohl ein eigener Roman. Dieser hier erzählt jedoch nachdrücklich davon, was passiert, "wenn die Normalen allesamt kriminell" werden.

EISFLÜSTERN

Roman von Bettina Balàka

Literaturverlag Droschl, Graz 2006

387 Seiten, geb., e 24,-

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