Sie haben Flausen im Kopf

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Mit ihren Stories schreibt Tessa Müller gegen das Storytelling der Werbeindustrie an.

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Mit ihren Stories schreibt Tessa Müller gegen das Storytelling der Werbeindustrie an.

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Es ist mutig, als Debüt einen Erzählband herauszubringen, gelten Erzählungen entgegen dem Trend zur Reduktion von Texten auf Bildschirmlänge doch als wenig marktgängig. Das Risiko hat sich gelohnt, und sogar der Klappentext ist hier stimmig und informativ.

Das Coverbild von Tessa Müllers "Etwas, das mich glücklich macht" zeigt vor einem flächig gestreiften Hintergrund in den Farben des Lilienfelder Porzellans eine junge Frau, die auf einem Geländer balanciert. Ihr Kopf steckt in einer Pappschachtelmaske, der Farbstreifen dahinter ist ,unpassend' orange, jener unter dem Geländer zart altrosa. Eindeutig, die Frauen, von denen Tessa Müller erzählt, haben Flausen im Kopf, und ihre Abstürze geraten so unheroisch, wie das der Alltag für die kleinen Leben in der Mittellage vorsieht.

Stories ist die Genrebezeichnung für die elf Geschichten und auch das ist wohl durchdacht, denn die 1983 geborene Autorin schreibt mit ihren Lebensabschnittsprotokollen gegen jene Bilder und Mythen an, die das Storytelling der Werbeindustrie vom Leben und Lieben im neuen Jahrtausend pausenlos und in allen medialen Kanälen über uns ausschüttet.

Alltägliche Kämpfe, schmerzliche Verluste, kleine Siege

Auch Tessa Müllers Heldinnen wünschen sich "Etwas", das sie "glücklich macht", aber das lässt sich oft, zumal an der Schwelle zum Segment der Working Poor, schwer finden. In ihren Leben kommt schon etwas so Aufregendes wie ein Einbruch kaum vor. Deshalb erfindet eine von ihnen einen Einbrecher als Mitbewohner und organisiert allmählich unter seiner imaginierten Beobachtung ihren Alltag neu. Als das Projekt eines gemeinsamen Haushalts mit ihrem Freund schließlich doch Realität wird, wiegt der Verlust der Fantasiefigur schwerer als der erwartbare Gewinn durch das reale Zusammenleben. Als hätte sie die nachfolgende Erzählung "Die Mütze" schon gelesen. Hier wird der unglücklichen Ehefrau und Mutter zweier Kinder nach dem Familienbesuch bei Freunden schlagartig klar: Mit dieser Mütze, "wie sie sich Mütter aufsetzen, damit die Kinder lernen, dass nichts dabei ist, so herumzulaufen", ist ein Neuanfang einfach unmöglich.

"Hätte ich vierzig Zentimeter weiter links gesessen, Jonas hätte mich geküsst", ist eine der Erzählerinnen überzeugt. Doch der Kuss traf die beste Freundin, und bald schon beginnen die beiden, "alles was sie besaßen, zusammenzutragen, und schließlich teilen sie sich auch noch Jonas' Nachnamen. Ich verstehe nicht, warum Menschen das tun, es gibt genügend Nachnamen auf der Welt."

Das ist der lapidare Ton, in dem die Autorin ihre Figuren von ihren alltäglichen Kämpfen, von schmerzlichen Verlusten und kleinen Siegen erzählen lässt. Das kann ein junges Mädchen sein, das an Atemnot leidet und Gesangsunterricht nimmt, oder eine vom Partner verlassene Frau, die auf den Klimawandel hofft, der schließlich auch das Liebesglück ihrer Nachfolgerin überschatten wird. Für eine andere kann der Trost schon darin liegen, ein Fernsehprogramm zu wählen, das die beiden Verliebten sicher nicht anschauen.

Es sind alltägliche Irrungen und Wirrungen, von denen Tessa Müller mit präziser und unaufgeregter Sprache erzählt, immer den richtigen Ton treffend und immer mit großer Achtung vor den Schräglagen in den Leben ihrer Figuren. "Ich wollte nicht zu diesen Frauen gehören, die einem leid tun. Es gab so viele davon", sagt eine von ihnen, und ihre Würde wissen sie alle zu wahren - und sei es wie im Schlusstableau mit einem kleinen Inferno: Da die alternde Bäuerin nicht mehr für ihre Hühner sorgen kann, fackelt sie ihren Stall kurzerhand ab.

Etwas, das mich glücklich macht

Von Tessa Müller

Jung und Jung 2015. 120 S., geb., € 16,90

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